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Manual of the Planes
Bewertung:
(2.5)
Von: Stefan Koller
Am: 18.01.2009
Autor:James Wyatt, Richard Baker, James Roger und Robert Schwalb
Typ:Quellenband
System:D&D 4.0
Setting:Points of Light/generisch
VerlagWizards of the Coast
ISBN/ASIN:978-0-7869-5002-7
Inhalt:160 Seiten, Hardcover
Sprache:Englisch

Einleitung und Produktaufmachung

Die neueste 4. Edition von D&D überrascht Spieler bisheriger Editionen mit gravierenden Änderungen. Neben der Abschaffung des Vance’schen Magiesystems, der (nun: vollständigen) Entkoppelung der Gesinnungen aus der Spielmechanik und der Verabschiedung der Welt Greyhawk als Kern-Kampagnenwelt, darf die Neufassung der Kosmologie von D&D als vierte große Änderung der 4. Edition gelten. Mit einiger Spannung wurde erwartet, was die Entwickler an die Stelle der bisherigen, so genannten „Great Wheel“-Kosmologie setzen würden, und mit dem vorliegenden Band hebt sich endlich der Vorhang, wo bisherige Produkte Antworten nur andeutungsweise gaben. Vor allem aber lieferte der (im Frühjahr 2008 erschienene) Vorschau-Band „Wizards presents: Worlds and Monsters“ über 50 Seiten fantastisch bebildertes Material zu den neuen Ebenen, das vor allem verriet, welche Erwartungen die Entwickler an das (damals noch im Entstehen begriffene) Ebenen-Handbuch stellten – weshalb ich es auch hier gelegentlich berücksichtigen werde.

 

Nun zum Produkt selbst. Ich beginne mit der Aufmachung, möchte aber eiligere Leser wegen der Textlänge der Kapitelbeschreibungen sofort zum Fazit weiter schicken.

 

Das Buch umfasst 160 Seiten, die sich auf 7 Kapiteln verteilen. Anschließend an drei Seiten Titelbild und Inhaltsangabe enthält Kapitel 1 Einleitendes zum Spiel auf den Ebenen überhaupt, einschließlich einer Übersicht zur neuen Kosmologie (19 Seiten); sowie abschließend drei Porträts von planaren Örtlichkeiten (Sigil, Far Realm, Dreamlands) (7 Seiten). Dann folgt der Kernteil des Buches, der in Kapiteln 2 bis 5 je eine der neuen Ebenengruppierung behandelt (79 Seiten). Kapitel 6 stellt neue in den Ebenen beheimatete Monster vor (27 Seiten), und Kapitel 7 beschließt den Band mit an Spieler gerichtetes Regelmaterial ( „Paragon Paths“, Rituale, und magische Gegenstände) auf insgesamt 21 Seiten, gefolgt von einer Seite Werbung für die RPGA. Diese „Rubriken“ sind allesamt aus dem gleichnamigen Titel der 3. Edition bekannt, wobei die vergleichende Raumbemessung derselben aufschlussreich ist: Einleitendes (ebenso 19 Seiten), Regelmaterial für die Spieler (20 Seiten), Monstereinträge (40 Seiten), Hintergrundinformation zu den Ebenen (147 Seiten). Während die leichte Zunahme (um 4 Seiten) an Regelmaterial für die Spieler und die schon etwas stärkere Abnahme an Monstereinträgen (um 14 Seiten) in einem traditionell an Spielleiter gerichteten Werk relativ verschmerzbar ist, fällt unangenehm auf, dass der Kernteil des Buches, nämlich die Darstellung der Ebenen selbst, fast auf die Hälfte reduziert wurde: von den vormals 147 Seiten bleiben nur 86 (Ende aus Kapitel 1, und Kapitel 2-5), und das bei einem geringeren Anteil Text pro Seite. Wer sich leichter tut, ungewolltes Material wegzulassen als neues hinzu zu denken, wird die bisherige Materialdichte und Vielfalt vermissen.

 

Zum Bildmaterial ist anzumerken, dass nur vier Bilder aus Vorgängerprodukten „recycled“ wurden, aber die Bildauswahl selber sehr unglücklich war, wenn man bedenkt, auf welch hochqualitative und inspirierende Bilder man aus „Worlds and Monsters“ hätte zurückgreifen können. Wenn man im vorliegenden Produkt überhaupt auf dieses Buch zurückgreift, werden die Bilder viel zu klein abgedruckt, so dass deren überwältigender Eindruck im Panorama-Format verloren geht (z.B. Seite 52). Überhaupt überhaupt sind die Mini-Bilder schmerzlich, die etwas armselig daherkommen (z.B. Seite 89). Wieder andere Bilder können sich den großformatigen Abdruck gar nicht leisten (weil für weit geringere Druckgröße gemalt): so leiden die einleitenden Doppelbilder zu Kapitel 2 und 4 an Detailarmut im Vordergrund und sind im Hintergrund einfarbig. Außerdem werden sie viel zu dunkel abgedruckt, was ebenso zu Detailverlust führt (das Treantenblut auf der Axt des Tieflings auf Seite 33 wurde für mich erst in der Online-Artwork-Gallerie als solches sichtbar). Die Druckqualität kommt selten bis gar nicht an die Auflösungvon (beispielsweise) Paizo-Produkten heran. Und wie in allen 4E-Werken sind die Bilder in der Kolorierung sehr schrill, was mitunter zu einer Kinderbuch-Stimmung führen kann. Positiv aufgefallen ist mir hingegen, dass langsam ein Erkennungseffekt bei den 4E „Iconics“ entsteht, und dass gerade dann, wenn man wirklichkeitsnahe Hintergrundszenerien bemüht (S. 48, S. 138), sich jene andersweltliche Stimmung einstellt, die man sich bei einem Produkt dieser Art wünscht. Grafischer Höhepunkt sind die großformatigen Übersichtskarten zur neuen Kosmologie (S.11) sowie zur City of Brass (S. 75), die alles in die Tasche stecken, was uns 3E-Werke in dieser Hinsicht geboten haben. Dennoch, auf insgesamt 160 Seiten ist das visuelle Erlebnis eher enttäuschend und kann nicht zum Kauf anregen. Damit zum Inhalt des Buches.

 

Inhalt

Kapitel 1 erläutert das Spiel auf den Ebenen überhaupt, erklärt also den Aufbau der Kosmologie und wie der Spielleiter das Reisen zwischen den Ebenen mittels Ritualen und Transportfahrzeugen gestalten kann sowie die Vielfalt und Eigenheiten von Portalen. Glanzstück hier ist die Neuschöpfung der „Spelljammer“ als Fahrzeuge, mit denen sich die Sternensee „besegeln“ lässt (näheres in Kapitel 5). Deren Erscheinungsbild ist im Gegensatz zu AD&D Zeiten nicht näher festgelegt (was rückwirkend die Cover-Szene des Buches erklärt, die mich zudem an Disneys Schatzplanet erinnert). Dank einer optisch sehr ansprechenden Übersichtskarte, und der Idee, die Ebenen in vier Gruppierungen zusammenzufassen und bisherige Einzelebenen als Unterdomänen dieser Gruppierungen zu verstehen, entsteht beim Leser schnell eine Übersicht über den Aufbau der neuen Kosmologie. Ähnlich wie in Eberron besteht die Kosmologie aus drei Grundbereichen: die Kernwelt existiert als materielle Ebene „in der Mitte“, die Sternensee (mit dem Gros des Pantheons) als das Reich „darüber“, und das Chaos der Elemente (mit den Niederhöllen) als die Welt „darunter“. Das Schattenfell und das Feenwild existieren als zur Hauptebene parallele Ebenen mit Spiegeleffekten (mehr dazu später). Ebenso wird die bisherige „Great Wheel“-Kosmologie erläutert – hier finden sich wertvolle Querverweise nach dem Schema „Die Ebene X in 3E ist der Ebene Y in 4E (sehr) ähnlich“, welche die Konvertierung zwischen altem und neuen Material maßgeblich erleichtern wird. Misslungen hingegen scheint der kryptische Verweis zur Kosmologie der neuen Vergessenen Reiche – hier wäre auf enorme Unterschiede hinzuweisen gewesen – und die auf eine Seite verkümmerte Rubrik zum Thema „Wie bastele ich mir (als Spielleiter) eine eigene Ebene/Kosmologie“, die im Vorgängerprodukt mit einem eigenen Kapitel bedacht wurde (zu dieser Tendenz, D&D Spielleiterhilfen immer weniger als Werkzeugkasten für Selbstbastler zu gestalten, vgl. Zechis Rezension zum 4E Spielleiterhandbuch). Davon abgesehen halte ich die Einleitung für gelungener, weil übersichtlicher und verständlicher, als im Vorgängerprodukt, selbst wenn die Behandlung vereinzelter Themen wie planare Phänomene und Gefahrenquellen mitunter literarische Mindestqualität und gedankliche Klarheit vermissen lassen.

 

Kapitel 1 schließt mit Themen, die hier nicht so ganz hingehören: aus „Worlds and Monsters“ arg zusammen gekürzte Beschreibungen der Traumebene und der Far Lands (abgelegene Ebenen mit einer Prise Lovecraft). Bei letzteren hatten sich die Entwickler im viermal längeren Originalbeitrag versprochen, hier in Zukunft Kreaturen wie Mindflayern und Illithiden „einen reichhaltigeren, geschichtenfördernderen Hintergrund“ zu schaffen – ein nicht eingehaltenes Versprechen. Umso positiver fallen die viereinhalb Seiten Beschreibung der Stadt Sigil aus, die jedoch samt und sonders aus dem 3E „Planar Handbook“ kopiert wurden (die Grafik stammt aus dem 3E-Abenteuer „Expedition to the Demonweb Pits“) – was hier Platzverschwendung für ältere Spieler darstellt, ist sicher ein Highlight für Neueinsteiger. Die Verortung der Stadt ohne die (in der 4E abgeschafften) „Outlands“ bedeutet jedoch, dass Sigil jetzt eine Ebene für sich ist, auf der Übersichtskarte der Kosmologie (S.11) nicht mit den anderen Ebenen „vernetzt“ dargestellt wird, und insofern in der neuen Kosmologie etwas verloren wirkt.

 

In Kapitel 2 beginnt die Beschreibung der einzelnen Ebenengruppierungen. Diese Kapitel folgen stets demselben Aufbau: zuerst werden „planar traits“ erklärt, zweitens besonders charakteristische Orte der Ebene und drittens die Bewohner derselben geschildert.

 

Zunächst zu den „planar traits“: hier handelt es sich um die Grundeigenschaften der Ebenen bezüglich Schwerkraft, Verformbarkeit, und Magieresistenz. Deren Auswirkungen auf die Spielercharaktere auf Regelebene (bekannt aus früheren Editionen) wurden übrigens samt und sonders abgeschafft. Stattdessen gibt es nur mehr eine „psychic signature“, also eine auf die Psyche der Spielercharaktere einwirkende Eigenheit der Ebene, die jedoch ebenso ausdrücklich keinerlei Auswirkungen auf die Regelebene hat. Hier ist man im Versuch, Spassbremsen bisheriger Editionen (wie „bei Betreten der Ebene der negativen Energie verliert jeder SC eine Stufe“) auszumerzen, eindeutig zu weit gegangen, zumal an Stelle der dadurch entstandenen Lücken nichts vergleichbar qualitatives gesetzt wurde. Die neuen „psychic signatures“ werden bereits ab dem übernächsten Kapitel völlig verschwiegen – will sagen, nähere Ausarbeitung derselben für die Sternensee und das Elementare Chaos gibt es nicht. Und wirklich gelungen ist deren Umsetzung auch nur hier in Kapitel 2, für das Feenwild: das Feenwild weiß mit einer „berauschenden Schönheit“ zu überzeugen, welche bei den Spielern bzw. deren Charakteren für emotionale Verwirrung und intensivierte Naturerfahrungen sorgen wird. Während die Umsetzung sicher viel Spielleitergeschick verlangt, ist das gewiss eine der interessanteren rollenspielerischen Neuschöpfungen in der ansonsten eher kampflastigen 4. Edition.

 

Weit weniger gelungen erweist sich die nächste Rubrik, die Beschreibung der Bewohner. Im Feenwild dominieren die Feen (wie auch anders), die sich in „Häuser“ um Erzfeen gruppieren, wobei jedes Haus eine Jahreszeit oder (wie die Meeresfeen) andere Naturphänomene darstellt. Durch die zahlreichen Rivalitäten unter den Häusern (bekannt aus Drow-Romanen) entsteht hier eine Vielzahl interessanter Questgeber – soweit das erklärte Ziel des Kapitels. Stattdessen werden wir mit einer kitschig-rosaroten Prosa erschlagen, die eigentlich nur eine Shelly Mazzanoble verbrechen kann. Da wäre zum einen die Sommer-Queen, die (wie jede andere Fee im Kapitel auch) als besonders „wankelmütig“ bei ihren Liebesinteressen gilt, und dem einen oder anderen Günstling (natürlich) den euphemistischen „Gefallen“ zukommen lässt. Aber auch die Ladies unter den SC kommen nicht zu kurz – auf sie wartet der „Prinz der Herzen“ (kein Scherz!), vor dem sich die Damen „gar nicht genug in Acht nehmen“ können. Außerdem hat ein so hochstufiger Erzfeenprinz natürlich nichts besseres zu tun, als un(frei)willige Sterbliche zu verkuppeln – denn „falls sich die Auserkorenen anfangs nicht sooo leiden können, vergnügt er sich dabei umso mehr.“ Hiiiiilfe! Die kleineren Rubriken zu den übrigen Bewohnern der Feenwild sind dankenswerter wieder im erträglichen Bereich. Sehr gut gefallen hat mir, dass hier (wie auch in späteren Kapiteln) endlich das Hintergrundmaterial („Fluff“) zu jenen Monstern geliefert wird, die im Monster Manual selbst zu kurz gekommen sind, wie Gnome und Goblins. Da die Einzelrubriken zu Orten und Monstern nicht thematisch sondern alphabetisch gruppiert ist, ist die Suche nach zusammengehörigen Material oft etwas umständlich und erfordert letztendlich die gesamte Lektüre des Kapitels – hier macht sich auch der im Buchanhang fehlende Index bemerkbar.

 

Das Kapitel insgesamt hält den Vergleich mit dem vorab erhältlichen Material zum Feenwild leider überhaupt nicht stand. Zum ersten fehlt wirklich gutes Bildmaterial, wie die Panoramabilder zum Feenwild aus „Worlds and Monsters“. Überhaupt fehlt Bildmaterial zur Veranschaulichung neuer Texte. Zu den Feenhäusern und deren bombastischen Wohnorten gibt es kein einziges Bild, geschweige denn eine Übersichtskarte zum Feenwild selbst – was soll das? Ein Vergleich mit dem (damals noch kostenfreien) DDI-Aufsatz zu den Fomorianern ergibt, dass derselbe Aufsatz im Buch nicht nur auf die Hälfte gekürzt wurde, sondern auch die literarischen Qualitäten und weniger kinderfreundlichen Inhalte des Originals (wie die „bizarren Zuchtmethoden“ der Fomorianern mit ihren Gefangenen) restlos entsorgt wurden. Stattdessen finden sich (wie in späteren Kapiteln) generische Beschreibungen, wie ein typischer Dungeon rund um diese oder jene Kreatur aussieht, wo sich der Endgegner aufhält, wie dick die Tür zu seinem Raum ist, und wo man anschließend mächtige Artefakte looten kann. Anders als bestehendes, höchst originelles Material durch solchen generischen Einheitsbrei im Endprodukt zu ersetzen, lässt sich wohl die Abhängigkeit der Bücher zu digitalen Inhalten nicht bewerkstelligen. Dieselben Schwächen zeigen auch Kapitel 3 und 4; erst Kapitel 5 weiß durch gute (und sorgfältiger illustrierte) Inhalte zu überzeugen.

 

Kapitel 3 erklärt das Schattenfell, eine Ebene, die aus sehr gelungenen Umsetzungen in 4E-Abenteuern wie „Beneath Haunted Halls“ oder „Demon Queen’s Enclave“ bekannt ist. Die einleitende Rubrik zu „planar traits“ mitsamt der „psychic signature“ erklärt, dass wir es mit einer Schattenebene zu tun haben, in der die Toten verweilen, bevor ihnen Einlass in die Sternensee oder Verdammung in den Niederhöllen widerfährt, und die Stimmung vor Ort dementsprechend trübe ist. Bezüglich letzterer vermisse ich jedoch Klarheit. Einmal ist von „Trauer“ die Rede, dann von „Depression“, dann wieder von „Melancholie“ – Begriffe, die vom Autor (fälschlicherweise) als Synonyme gehandhabt und nie näher erläutert werden. Stattdessen hagelt es peinliche Stilblüten („depression wraps its cancerous claws about the heart“) und platte Allgemeinplätze („failure seems assured“). Eine ähnliche Stimmung wurde mit dem Mournland und der Todesebene Dolurrh im (3E) Eberron Kampagnenband – beides unbestreitbare Einflüsse auf das 4E Schattenfell – weit präziser und nachhaltiger vermittelt. Auch das Hintergrundmaterial zu den Bewohnern des Schattenfells kann nicht immer überzeugen, und zeugt manchmal von unfreiwilliger Komik („die Death Creepers verbergen ihre Verachtung gegenüber anderen ...unter ihren dunklen Kapuzen“). Wirklich überzeugt hat mich dagegen die vierseitige Darstellung einer Stadt im Schattenfell – Gloomwrought – die mit einer schönen Übersichtskarte daherkommt und einer Beschreibung, der es gelingt, ein Venedig im Zwielicht zu vermitteln: die doppelseitige Bebilderung zu Kapitelanfang leistet hier einen wertvollen Beitrag. Das Kapitel schließt mit der Beschreibung der „Shadowdark“, eine Art Untertiefe im Schattenfell, deren einzige Eigenständigkeit es leider ist, dass es hier „noch dunkler“ und „noch kälter“ ist, und dementsprechend von jener Generik trieft, mit der schon in Kapitel 2 wertvoller Platz verschossen wurde. Festhalten möchte ich noch die „Seelenfäule“, ein krankheitsartiger Effekt, der jedem Charakter blüht, der in einen „nekromantischen See“ fällt: vergeigt sein Spieler zwei Würfe auf Ausdauer (SG 16), stirbt er augenblicklich und wird als (vom Spielleiter geführter) Zombie wiederbelebt. Dies stellt nach eindringlicher Lektüre des gesamten Buches die einzige Maßnahme dar, mit der die neuen Ebenen überhaupt die klassische Gefährlichkeit der bisherigen Ebenen durchscheinen lassen – mehr dazu in meinem Fazit.

 

Kurz zu Kapitel 4, zum „Elementaren Chaos“, das die bisherigen vier elementaren Ebenen vereinigt. Gerade hier wurden die Erwartungen im Vorfeld besonders hoch gehandelt, wollte man doch erstmals diese Ebenen „spielbarer“ und „interessanter“ gestalten. Dieses Vorhaben ist leider gescheitert. Nachdem gleich am Anfang auf die „psychic signature“ verwiesen wird, finden wir abermals statt genuinen Innovationen wieder nur generische Dungeon-Beschreibungen (diesmal sogar explizit unter dieser Bezeichnung). Eine Erwähnung der laut „Worlds and Monsters“ angekündigten Orte auf dieser Ebene, von den Burgen der Titanen bis zum Pändamoniumsstein der Slaad, sucht man hier vergebens, geschweige denn eine Ausarbeitung derselben. Übersichtskarten zu den Orten oder der Ebene? Fehlanzeige. Als krönenden Abschluss dieser Misere folgt die 11-seitige Beschreibung der „Abyss“. Diese wurde, einschließlich der „City of Brass“, einfach wortwörtlich aus dem „Fiendish Codex I“ (3.5) abgeschrieben, wobei pingelig darauf geachtet wurde, dass Greyhawk-spezifische Elemente sowie jegliches Kartenmaterial und „Adventure Hooks“ gelöscht wurden. Das „neue“ Demonweb veranschaulicht diese Tendenzen sehr gut, hier wird sogar erwähnt, dass „jeglicher Versuch, das Demonweb auf einer Karte abzubilden, zwecklos“ sei – eine Dreistigkeit sondergleichen, bedenkt man, was hier hochqualitative Vorgängerprodukte geleistet haben. Die ursprünglichen Grundideen aus „Worlds and Monsters“, wonach das Elementare Chaos als Schauplatz des äonenalten Krieges zwischen Göttern und Primordialen dient sowie als Brutstätte des vierfaltig elementaren Bösen, scheinen kaum bis gar nicht auf – ein Totalausfall.

 

Umso erfrischender erweist sich Kapitel 5 zur Sternensee („Astral Sea“), das vieles wieder gut macht. Die ursprüngliche Grundidee („a fantastic version of outer space“) wird mit der Rubrik „Sailing the Astral Sea“ sehr gut umgesetzt (vgl. auch Kapitel 1 und 7 zu „Spelljammer“), und verleiht hier der 4. Edition etwas genuin Neues. Und auch wenn auf viele fantastische großformatige Bilder aus „Worlds and Monsters“ oder vergleichbare Bilderqualität verzichtet wird, werden endlich völlig neue Orte, etwa die Himmelsstadt Hestavar, vorgestellt, und das nicht zu knapp. Und altbekanntes wie Skip Williams’ Illumianer, die Ebene Celestia oder die Eiserne Feste (letztere bekannt aus Andy Collins’ gleichnamigen 3.0 Abenteuer) wird hier nicht einfach kopiert sondern hervorragend neu bearbeitet, ebenso wie die Niederhöllen, die Rob Schwalb für die 4. Edition völlig umgekrempelt hat. In diesem Zusammenhang finden wir auch die erste (und einzige) Übersichtskarte über einen einzelnen Ebenenbereich im Buch überhaupt, die die Neugestaltung der Niederhöllen nochmal betont. Auch in Kapitel 5 machen sich die zwei Grundtendenzen der neuen Ebenen bemerkbar. Zum einen die Bemühung, die Ebenen kindgerechter zu machen – die rötlich schimmernden Mauern von Glasseias Palast stöhnen nicht mehr mit Lustgetöne, sondern halten sich dezent statisch in einem weissen Barockton – und zum anderen die Ausmerzung von sogenannten „Save or Die“-Effekten, wie dem bisherigen Effekt des Unterweltflusses Styx (Totalamnesie nach einem vergeigten Willensrettungswurf). Während ich für solche Tendenzen persönlich nichts übrig habe, hat zumindest das Beispiel der „Seelenfäule“ aus Kapitel 2 (s.o.) gezeigt, wie man letztere Effekte wieder einbaut – nämlich mithilfe des „Disease“-Templates im 4E Spielleiterhandbuch.

 

Kapitel 6 enthält 10 neue Monstereinträge, die sich auf die Ebenen wie folgt verteilen:. Für das Elementare Chaos erhalten wir den Luft-Archon, für die Abyss zwei Erzdämonen (Baphomet, Graz’zt) sowie neue Dämonen (4 Seiten) und Raavasta. Für die Sternensee den Dreadnought und den Bladeling, letzterer auch als Spielervolk ausgearbeitet.Für die Abyss: Dispater und 4 Seiten neue Teufel. Für das Schattenfell den Keeper und für das Feywild die Korred. Dass 8 Seiten für neue Teufel und Dämonen aufgebracht wurden, wo das Monsterhandbuch bereits 24 derselben aufweist, und auch ansonsten fast nur Monster für Abyss und Niederhöllen da sind, enttäuscht insofern, als für die (bei der 4E) vier wirklich neuen Ebenen nur jeweils ein neues Monster hinzukommt. Dies erschwert es, einen längeren Kampagnenabschnitt im Schattenfell, im Feywild, dem Elementaren Chaos oder der Sternensee zu planen, es sei denn man weicht auf bestehendes Material aus anderen Quellen aus (oder konzentriert sich von vornherein auf Teufel und Dämonen). Was dies wett gemacht hätte, wäre die Beibehaltung der 14-seitigen Rubrik „templates“ aus dem 3E Ebenenhandbuch, die man hier restlos gestrichen hat, oder die Einführung einer (hier weggelassenen) vergleichbaren Rubrik aus dem neuen Draconomicon, die bestehenden Monstern „Alternative Powers“ verleiht. Auch in dieser Hinsicht muss man auf andere Quellen ausweichen (also auf die ewig zwei gleichen Templates aus dem Spielleiterhandbuch, Feyborn und Shadowborn Stalker). In der Summe ist das alles wenig zielführend für ein Ebenenhandbuch.

 

Zu den neuen Monstern selbst fällt die Einzelbewertung insofern schwer, als sich (anders als bei der 3E) deren Überzeugungspotenzial erst aus Synergieeffekten mit anderen Monstern auf der Battlemap ergibt – etwas, das sich ohne längeres Testspielen nicht bewerten lässt. Deshalb beschränke ich mich auf kurze Kommentare zu zwei „Solomonstern“, die bereits in kostenlosen Web-Previews vorveröffentlicht wurden: den Dreadnought (selbiger ziert das Cover-Bild) und Graz’zt. Bei beiden fällt auf, dass sie harmloser als ihre 3E-Versionen ausfallen. Ähnlich wie schon bei den mechanisch verharmlosten „planar traits“ hat jetzt das Verschlucken durch einen Dreadnought (der neuerdings an existenziell begründeter Bulimie leidet) keine negativen mechanischen Auswirkungen auf die Spielercharaktere mehr, wo sie vormals Säureschaden im Sekundentempo erlitten. Und Graz’zt, der sich seit Gygax’ Erstentwurf vor 30 Jahren in „Lost Caverns of Tsojcanth“ auch im Kampf beliebig weit (und wenn gewollt, in andere Dimensionen) teleportieren konnte, schafft es jetzt nur mehr auf 9 Meter pro Kampfrunde – also 1,5 Meter weniger als ein erststufiger Eladrin. Unabhängig von allen Ansprüchen auf ein Mindestmaß an Plausibilität halte ich eine solche Verharmlosung der mächtigsten Gegner im Spiel für nicht zielführend, um am Spieltisch ein Mehr an Spannung zu erzeugen – mehr dazu im Fazit.

 

In Kapitel 7 geht es um auf Spieler zugeschnittenes Regelmaterial. Zuerst bekommen wir 8 neue Legendäre Klassen (engl. „Paragon Paths“), eine für den Swordmage und je eine für eine der Grundklassen (nur Wizard und Warlock teilen sich eine Legendäre Klasse). Hier finden sich teils alte Bekannte (Planeshifter und Gatecrasher), die aber mit ihren Vorgängerversionen oft nur den Namen gemeinsam haben.

 

Die Legendären Klassen haben mich allesamt enttäuscht, da sie weder auf Crunch- noch Fluff-Ebene planare Eigenheiten bieten. Ich hätte mir etwa erhofft, dass diese (vormals: Prestige-)Klassen, insbesondere Gatecrasher und Planeshifter, wie ihre Vorgängermodelle auf interplanare Reisen ausgerichtet sind, und so etwa leichter (bzw. auf niedrigeren Stufen) an die dazugehörigen Rituale herankommen (s.u.). Da diese Rituale auch noch „Analyze Portal“ und „Planar Portal“ heißen, wären diese Klassen zu ihren namensgleichen Sonderbefähigungen in der 3E gekommen. Fehlanzeige. Stattdessen werden den Klassen „Encounter Powers“ verliehen, welche die Gegner maximal 5 Felder auf der Battlemap teleportieren (was ich ähnlich werte wie den Vergleich oben zwischen Graz’zt in der 3. und 4. Edition). Das mag man dann „Trickster’s Gate“ und „Quick Portal“ nennen und als „planares Teleportieren“ bezeichnen – aber ein auf Regel- und Fluff-Ebene spürbarer Unterschied zu bestehendem Material entsteht dadurch nicht. Der neue „Gatecrasher“ hält im Bild nicht mehr einen Schlüsselband in der Hand, der ihm planare Türen und Tore öffnet, sondern drischt mit einem Hammer einem Monster den Schädel ein. Wieder einmal wird der Schurke auf seine Kampfrolle als „Striker“ reduziert, wo man sich als Komplementierung zum Spielerhandbuch mehr Ausarbeitung der Klasse im Bereich Fluff und Flair erhofft hat, zumal man auf bestehendes 3E-Material zurückgreifen oder dieses verbessern hätte können.

 

Ähnlicherweise hätte ich mir Paragon Paths erwartet, die, wenn nicht schon leichterzu den Ebenen reisen können, so wenigstens dort leichter überleben können. Warum nicht eine Klasse, die die Effekte der „psychic signatures“ der Spiegelebenen negieren kann (vgl. die 3E Eigenschaft „Planar Survival“)? Fehlanzeige. Und selbst die reichlich dargebotenen Angriffs-„Powers“ sind nicht wirklich auf die einzelnen Ebenen und deren Kreaturen zugeschnitten. Zwar gibt es weiterhin etwa den (zur 3E namensgleichen) „Ethereal Jaunt“, aber dessen Regeleffekt hat weder mit der „ethereal plane“ noch deren Bewohnern was zu tun – logisch, diese gibt es in der 4E ja nicht.

 

So entsteht rundum der Eindruck von Einfallslosigkeit und Generischem, wo man sich Ausgefalleneres und vor allem Eigenständiges erwartet hätte. Das bekommen wir dafür auf den nächsten vier Seiten, wo sich 12 neue Rituale vor allem um das Manipulieren von Ebenen und Portalen kümmern. Hier fällt auch positiv auf, dass der neue Fluff aus früheren Kapiteln sehr gut eingebaut wurde. Für jede Ebene gibt es eigene Rituale, um dorthin zu kommen und dann weiter zu reisen, bzw. sich dort zurecht zu finden, was jeweils sehr unterschiedlich und stimmig umgesetzt wurde. Wiederum finden sich alte Bekannte (z.B. Analyze Portal und Rope Trick), und die „Konvertierung“ aus der 3E ist diesmal zu loben.

 

Damit zum Kernteil von Kapitel 7, den magischen Gegenständen. Endlich finden sich auch Regel-Elemente, die auf den Kampf mit planaren Monstern zugeschnitten sind („Symbol of Astral Light“ gegen Kreaturen der Schattenebene, „Gauntlets of Bloodwar“ gegen Unsterbliche in den Domänen der Sternensee). Wie schon im „Adventurer’s Vault“ fällt hier jedoch negativ auf, dass die Beschreibung der Gegenstände, und deren Veranschaulichung mittels Illustrationen, zugunsten der Spielmechanik restlos untergeht. Lediglich 2 von insgesamt 41 (!) neuen Gegenständen werden mit einem Bild versehen, eines davon ist aus dem 3.0 Epic Level Handbook kopiert. Das ist dürftig, und unterstreicht abschließend die Tatsache, dass die großzügigen Doppelbilder zu Kapitelanfang leider dazu geführt haben, dass es in D&D Büchern mittlerweile zu wenige Illustrationen gibt und unter diesen oft noch zu kleine. Das ändert aber nichts daran, dass (bis auf die Legendären Klassen) Kapitel 7 zu den gelungeneren Teilen des Buches gerechnet werden darf.

 

Fazit:

Als interessierter Leser des Ebenen-Vorschaubandes „Worlds und Monsters“ und jemand, dem die (im Spielleiterhandbuch) vorgestellte Kampagnenwelt „Points of Light“ im Rahmen der 4. Edition zusagt, war ich auf das neue Ebenenhandbuch äußerst positiv eingestellt. Jedoch: horrende Stilblüten, generischer Einheitsbrei, armselige Bilder, einfallslose Regelumsetzungen bisheriger Monster und Prestigeklassen, und die Tatsache, dass das Ebenenhintergrundmaterial im Vergleich zum Vorgängerprodukt um annähernd 50% gekürzt wurde – das braucht mehr als Liebe für eine gute Wertung, zumal mit dem Draconomicon kürzlich vorgezeigt wurde, wie inhaltlich überzeugend und liebevoll gestaltet ein 4E-Spielleiterprodukt sein kann. All das ist das neue Ebenenhandbuch nämlich nicht. Die Beschreibung der Sternensee, der ausführliche Monsterfluff und die neuen Rituale stellen die rar gesäten Oasen auf dieser Durststrecke dar. So brutal wie noch nie macht sich hier breit, was in gewissen Kreisen als Spaßtyrannei („Tyranny of Fun“) angekreidet wird: rundum werden in D&D chaotischere Spielelemente aus Vorgängerversionen rausgenommen, ohne dass die Entwickler neues und qualitativ gleichwertiges schaffen. Hochstufige Gegner wie der Dämonenherrscher Graz’zt oder hochstufige Spielercharaktere mit planaren Sonderklassen können sich nicht mehr dimensionen- oder meilenweit teleportieren – sie können sich auf der Battlemap 6 Felder pro Runde bewegen. Solche Einschränkungen halte ich nur für ein Skirmish-Game sinnvoll – bei einem Rollenspiel erwarte ich mir als Spielleiter, aber auch gerade als Spieler, größere Freiheiten.

 

Auch die Ebenen selbst wurden nicht (wie angekündigt) im Bereich der Spielbarkeit interessanter gemacht. Stattdessen wurden sämtliche Gefahrenzonen vom ätzenden Mageninneren eines Dreadnought bis zur Amnesiegefahr bei Berühren des Unterweltflusses Styx einfach aus dem Spiel rgelöscht, ohne dass etwas vergleichbar interessantes hinzugefügt wurde. Was hier entsteht, ist eine Kosmologie, die sowohl auf als auch unter der Oberfläche nur mehr als eine beispiellose Verharmlosung und Verniedlichung zu bezeichnen ist – was für so einiges am Spieltisch sorgen wird, aber gewiss nicht für gesteigerte Spannung beim Erkämpfen epischer Erfolge. Dies ist umso tödlicher, als mit der 4. Edition die herkömmliche Motivation, die Kampagne auf die äußeren Ebenen auszudehnen, ohnehin ausgedient hat. Gemessen an der neuen Kernwelt („Points of Light/Nentir Vale“) sind die äußeren Ebenen nicht länger grundlegend anders und ausreichend exotisch, um den Spielercharakteren Schauplätze zu bieten, in denen das ihnen Vertraute keine Gültigkeit mehr hat: wo die eigenen vier Wände bereits dermaßen exotisch und fantastisch sind, braucht man das ultimative Abenteuer nicht erst in der (interplanaren) Ferne zu suchen. Wer in der 4E eine neue Ebene betritt, weiß nicht mehr, ob er noch oder schon nicht mehr zu Hause ist - diese enorme Stärke des neuen Kern-Settings verdeutlicht wie nichts anderes die restlose Verharmlosung der äußeren Ebenen.

 

So gesehen taugt das neue Ebenenhandbuch bestenfalls als punktueller Ideengeber. Unter diesem Gesichtspunkt ist man aber mit kostenlosen Vorschau-Webinhalten der letzten Monate ebenso gut, und mit dem Kauf des wesentlich günstigeren „Worlds and Monsters“ mitunter besser bedient – in letzterem Produkt sind wesentliche Ebenen und Hintergründe oft detaillierter beschrieben und eindrucksvoller bebildert. Der ältere Kundenstamm sollte sich außerdem im Klaren sein, dass hier von Sigil und der City of Brass bis zu den letzten Unterebenen der Abyss aus älteren Produkten kräftig abgeschrieben wurde, und das neue Regelmaterial selten Originelles enthält, das sich zu konvertieren lohnt. Eher im Gegenteil – ich werde meine 4E-Ebenen, planaren Monster und „Paragon Paths“ aus 3E-Material konvertieren. Einzig und allein Spelljammer-Fans möchte ich eine bedingungslose Kaufempfehlung aussprechen: es passiert nur alle 20 Jahre, dass ein D&D Produkt erscheint, dass Eure Existenz nicht leugnet, also greift zu! Unter dem Strich: ein unterdurchschnittliches Produkt, das die im Vorfeld gestellten hohen Erwartungen leider enttäuscht.