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Manara Werkausgabe 2 - Ein indianischer Sommer
Bewertung:
(4.5)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 26.01.2010
Autor:Autor: Hugo Pratt; Zeichner: Milo Manara
Übersetzer:Michael Leimer
Typ:Werkausgabe, Historisch
VerlagPanini Comics
ISBN/ASIN:978-3-86607-873-4
Inhalt:164 Seiten, Hardcover mit SU
Preis:24,95 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt

Angesiedelt im Amerika des 17. Jahrhunderts in der Region von Neuengland zur Zeit des „Indian Summer“ beginnt die Geschichte an einem zunächst fast menschenleeren Strand: Eine junge, weiße Frau wird hier brutal von einem Holländer und einem Indianer vergewaltigt. Abner Lewis, ein junger Mann aus dem gleichen Dorf wie die Frau, wird zu spät Zeuge dieser Tat und erschießt die beiden Männer. Er versucht seine Tat zu vertuschen, die Spuren zu beseitigen und bringt die verletzte Frau danach zum Haus seiner Mutter, welches unweit von dem Puritaner-Dorf New Canaan in den Wäldern liegt.

 

Bei der vergewaltigten Frau handelt es sich um Sheva, die Nichte von Reverend Black. Dieser wird über die Ereignisse am Strand informiert und macht sich mit einigen Männern auf den Weg, um seine Nichte zurück in die Sicherheit des Dorfes zu holen. Zwischenzeitlich haben die Indianer ihren toten Stammesbruder am Strand gefunden und die hinterlassenen Spuren bringen sie rasch zu der Erkenntnis, dass diese Tat durch Siedler begangen worden sein muss und nicht durch einen anderen Indianerstamm.

 

Während der Reverend mit einigen bewaffneten Männern bei der Familie Lewis auftaucht, haben sich die Indianer bereits in den Maisfeldern und dem angrenzenden Wald um das Haus der Lewis zum Angriff versammelt, um Rache für ihren toten Stammesbruder zu nehmen.

 

Und so nimmt das Verhängnis langsam seinen Lauf in den letzten schönen Tagen des Spätsommers, bevor der Herbst endgültig anbricht. Unbarmherzig beginnen die Siedler und Indianer einen Krieg gegeneinander, den sie mit aller Macht und Härte durchführen, bis es schließlich zur endgültigen Abrechnung zwischen der Familie Lewis und Reverend Black kommt, die durch einige verborgene und unerwartete Verflechtungen schon seit langer Zeit miteinander verbunden sind.

 

Schreibstil & Artwork:

Kindheit und Jugend verbrachte der am 15.06.1927 in Rimini geborene Ugo Eugenio Pratt, der später unter seinem Künstlernamen „Hugo Pratt“ Ruhm erlangen sollte, in Venedig und Abessinien (heute: Äthiopien). Nach dem Krieg begann Pratt in Venedig ein Kunststudium an der Akademie der Schönen Künste und gründete mit einigen Freunden das Comic-Magazin „Asso di Picche" (deutsch: Pik-As), das sich recht erfolgreich bemühte, den US-amerikanischen Adventure-Strip im Stile Will Eisners oder Milton Caniffs zu kopieren. Bereits zwei Jahre später wurde ihnen angeboten, die Zeitschrift – nicht zuletzt auch wegen des kommerziellen Erfolges - in Argentinien zu vermarkten. So zog Pratt 1949 nach Südamerika, wo er eine Fülle von unterschiedlichen Abenteuerserien gestaltete und später sogar als Lehrer an der neugegründeten „Escuela Panamericana de Arte" Grundbegriffe des Comic-Zeichnens lehrte, bis es ihn 1959 wieder zurück nach Europa verschlug, um in London zu arbeiten. Doch lange hielt es ihn nicht auf der britischen Insel und so kam er 1962 letztlich nach Venedig zurück.

 

Als zwischenzeitlich international etablierter Zeichner kreierte Pratt 1967 für die Zeitschrift „Sgt. Kirk" des Genueser Verlegers Florenzo Ivaldi den Comic „Die Südseeballade". Ivaldi – ein großer Fan von Pratt – schuf mit „Sgt. Kirk“ eine Zeitschrift, die ausschließlich dazu bestimmt war, die Arbeiten von Pratt zu publizieren – eine nicht nur für damalige Verhältnisse einzigartige Entscheidung eines Verlegers. In der Geschichte „Die Südseeballade" sollte dann auch zum ersten Mal die Figur des Corto Maltese auftauchen, der ab 1970 Held einer eigenen Serie wurde und den späteren Weltruhm von Pratt mitbegründen sollte.

 

Pratts zweite große (und bekannte) Serie in diesen Jahren war „Die Wüstenskorpione". Neben der kontinuierlichen Arbeit an „Corto Maltese" arbeitete Pratt in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre vor allem für Bonellis Sammelreihe „Ein Mann - ein Abenteuer", für die er insgesamt vier albumlange Geschichten schrieb und zeichnete. 1984 zog Pratt nach Grandvaux bei Lausanne. Hier widmete er sich neben der Pflege seiner erfolgreichen Serien insbesondere der Kolorierung älterer, schwarzweißer Arbeiten - vor allem albumlangen Erzählungen aus der Geschichte, wie „Cato Zulu" (eine Gestalt aus dem Südafrika der Kolonial-Zeit) oder die von Saint-Exupéry in dem Comic „Sein letzter Flug“ (das auch sein letztes Werk werden sollte). Darüber hinaus schrieb er in dieser Zeit die Szenarios für Milo Manaras „Ein indianischer Sommer" und „El Gaucho" und trat in mehreren Filmen in Nebenrollen auf.

 

Am 20.08.1995 erlag Hugo Pratt in Pully (Schweiz) einem Krebsleiden.

 

Die Inspiration für das Szenario entstand unter anderem durch den Einfluss des 1928 veröffentlichten Romans „The Plains of Abraham“ des US-amerikanischen Schriftstellers James Oliver Curwood. Dieser wurde vor allem durch seine im nördlichen Nordamerika spielenden Abenteuerromane bekannt und entwickelte sich in den 20er Jahren zu einem der bestbezahlten Autoren mit hohen Auflagenzahlen. Pratt sagte von sich selbst, er habe bereits als neunjähriger Junge dieses Buch zum ersten Mal gelesen und in späteren Jahren immer wieder als Lektüre genossen. Aber auch Motive aus dem Roman „Der scharlachrote Buchstabe“ von Nathaniel Hawthorne nimmt Pratt in sein Szenario auf und erschafft eine Geschichte voller Dynamik und Brisanz, die ganz im Gegensatz zu der geschichtlich verklärten Welt der zutiefst religiösen Puritaner Nordamerikas steht.

 

Milo (eigentlich: Maurilio) Manara wurde am 12.09.1945 in Lüsen, einem Ort nahe Bozen in Südtirol, geboren und gehört heute unumstritten zu den renommiertesten Comic-Künstlern weltweit.

Als Zeichner für Comics trat Manara erst in den späten 60er Jahren in Erscheinung. Mit regelmäßigen Zeichnungen für zwei in Italien sehr populäre, zum Teil pornografische Comicmagazine des Genres „fumetti neri“ (ital.; zu deutsch „schwarze Comics“) finanzierte er zwischen 1968 und 1971 sein Architekturstudium an der Universität in Venedig, wo er unter anderem aber auch Plakate für ein maoistisches Künstlerkollektiv mit dem Namen „Miraculo“ anfertigte. Sein Erstlingswerk „Genius“ aus dem Jahr 1969 ist der erste Schritt in eine außergewöhnliche Comic-Karriere. Zwischen 1971 und 1973 zeichnete er die billig produzierte erotische Piratenstory „Jolanda de Almaviva“ und fertigte etliche Comicstrips für die italienischen Magazine „Telerompo“ und „Corriere dei Ragazzi“.

 

Der Durchbruch gelang Manara 1978 mit seiner Comicadaption des chinesischen Literaturklassikers „Der Affenkönig“, dem in der Zeit von 1978 bis 1987 die nach den Vorlagen von Hugo Pratt und Federico Fellini geschaffene Reihe um die Figur des Giuseppe Bergmann folgte. Sein besonderes Faible für Erotik (gemischt mit gediegenem Humor) führte Manara 1983 in der Reihe „Click!“ fort. Weitere internationale Erfolge stellten sich allerdings auch ein – so erschienen beispielsweise „Mann aus Papier“, „Der Schneemensch“, „Candid Camera“ oder aber Ende der 90er Jahre „Kamasutra“. Zu den Höhepunkten seines Schaffens im Bereich des anspruchsvollen erotischen Comics dürften zweifelsohne „Außer Kontrolle“ („Il gioco“), veröffentlicht 1983, und „Der Duft des Unsichtbaren“ („Il profumo dell'invisibile“) gehören.

 

In den 80er-Jahren begann Manara damit, verstärkt mit anderen großen Künstlern wie Hugo Pratt, Federico Fellini oder aber auch Luc Besson zusammenzuarbeiten. Gemeinsam mit Pratt schuf er die beiden Bände „Ein indianischer Sommer“ und „El Gaucho“, mit Fellini entstanden „Die Reise nach Tulum“ und „Die Reise des G. Mastorna“ (beide Geschichten sind als Band 1 der Werkausgabe von Panini erschienen). Doch Manara zeigt sich auch in anderen Genres recht umtriebig. So schuf er mit dem französischen Regisseur Luc Besson zwei Werbespots für die Parfum-Marke „Chanel No. 5“, arbeitete an der Visualisierung verschiedener Spots für Autofirmen mit oder schuf CD-Cover für diverse Interpreten. Derzeit arbeitet Milo Manara unter anderem gemeinsam mit dem Szenaristen Alexandro Jodorowsky an der historischen Comic-Reihe „Die Borgia“.

 

Manaras Zeichenstil besitzt etwas geradezu Betörendes, da seine Figuren (insbesondere die weiblichen!) und Landschaften sich durch realistische Zeichnungen mit einem schwungvollen und dennoch markant-präzisen Strich auszeichnen. Der ehemalige Architekturstudent hat bei dem spanischen Bildhauer Miguel Ortíz Berrocal viel über die plastische Darstellung des menschlichen Körpers gelernt, was sich letztlich auch in seiner hervorragenden Darstellung der Anatomie seiner Figuren äußert.

Man hat Manara oftmals nachgesagt, er sei in seiner manchmal drastischen Darstellung von Sexualität frauenfeindlich, doch dürfte diese Aussage weit am Ziel vorbeigehen. Die Frauen bei Manara sind immer wieder starke und selbstbewusste Menschen, die er in ihrer vollen Weiblichkeit darstellt. Zudem kommen die Männer bei Manara selten sonderlich gut davon, wie man unschwer auch in diesem Comic erleben kann.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung

Insgesamt 164 Seiten als gebundene Hardcoverausgabe mit Schutzumschlag zu einem überaus erschwinglichen Preis machen diesen Band der Manara-Werkausgabe nicht nur inhaltlich zu einem Schmuckstück. Unter dem Schutzumschlag, den eine wunderschön passende Skizze zu dem Comic ziert, verbirgt sich ein gänzlich in rot gestalteter Hochglanzeinband, den auf der Vorder- und Rückseite jeweils eine leicht bekleidete Frau „schmückt“, wie man sie aus dem opulenten Schaffenswerk von Manara kennt.

 

Rein drucktechnisch gibt es von meiner Seite aus nur wenig zu bemängeln. Das verwendete Papier macht einen haltbaren und robusten Eindruck, aber es scheint für die sanfte Farbgebung nicht unbedingt ausreichend zu sein. Ansonsten hat man zu meinem großen Erstaunen gänzlich auf die Nummerierung der Seiten verzichtet. Dies tut dem Lesegenuss sicherlich keinen Abbruch, aber es hat mich doch stutzig gemacht.

 

In Sachen Ausstattung gibt es als Extra im Anhang einen lesenswerten Beitrag von Sergio Rossi, der sich allerdings vornehmlich mit dem Szenario von Hugo Pratt für „Ein Indianischer Sommer“ auseinandersetzt. Dies mag zwar sicherlich in Ordnung sein, doch kommt an dieser Stelle Manara mit seinem Schaffen für diesen Comic ein wenig zu kurz. Hier wäre ein etwas ausgeglichenerer Beitrag, der die Zusammenarbeit beider Künstler an diesem Band berücksichtigt, wesentlich befriedigender gewesen.

 

Fazit

Was sollte man bei einem solchen Werk von zwei großen Altmeistern des Genres noch groß ausführen? Als Illustrator, Designer und Autor von internationalem Rang bedarf Milo Manara keiner weiteren Vorstellung. In der ganzen Welt ist er als Referenz für die visuelle Kultur Italiens anerkannt, und nur wenige haben die Schönheit und Sinnlichkeit des weiblichen Körpers mit solcher Poesie und vollendetem Realismus dargestellt. Und so tobt sich Manara auch in diesem Comic aus, egal ob es frivole Darstellungen oder die grausame Hässlichkeit der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Siedlern und den Indianern sind.

 

Und zu Hugo Pratt, dem genialen Schöpfer der Figur des Corto Maltese, eines Abenteurers und Kapitäns ohne Schiff? Mit der Kunstfigur des Corto Maltese hat Pratt eine berauschende Geschichtsinterpretation vorgenommen, in der er seinen sensiblen und unberechenbaren Helden auf den ausdrucksvollsten historischen Schauplätzen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts erscheinen lässt, um dort seine Abenteuer zu erleben. Zu dem Erschaffer dieses Meilensteins der Comic-Geschichte bedarf es wohl angesichts eines solch großartigen Szenarios für „Ein indianischer Sommer“ keiner weiteren Worte.

 

Insgesamt ein weiterer, sehr schöner Band der Werkausgabe von Milo Manara, der sowohl qualitativ als natürlich auch inhaltlich voll und ganz zu überzeugen weiß. Von meiner Seite aus ein großes Lob für diese erschwingliche Ausgabe eines grandiosen und zeitlosen Meisterwerkes.