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Jakob
Bewertung:
(3.5)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 03.08.2010
Autor:Benjamin Schreuder (Autor) und Felix Mertikat (Zeichner)
Typ:Comic / Graphic Novel
VerlagCross Cult
ISBN/ASIN:978-3-941248-82-3
Inhalt:64 Seiten, Hardcover, Querformat
Preis:16,80 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt:

Als der achtjährige Jakob morgens in seinem Bett aufwacht, steht er wie gewöhnlich auf und möchte zuerst zu seiner Mutter. Doch diese ist nicht mehr da – sie ist Tod. Der Erwachsene, der vor dem verwunderten und etwas verschlafenen Jakob steht, schafft es nicht dem kleinen Jungen zu erklären, das seine Mutter gestorben ist. Vielmehr bekommt Jakob von diesem erzählt, seine Mutter sei zu einer langen Reise aufgebrochen. Eine Aussage, wie sie vielleicht nur Erwachsenen in einer solchen Situation geben und verstehen können. Jakob hingegen, der seine Mutter sehr vermisst, macht sich auf den Weg um seiner Mutter zu folgen und hofft sie irgendwo zu finden. So folgt er zunächst den Sargträgern, welche seine Mutter vom Haus wegtragen und hört bei ihnen einen Spruch: „Frag nur, frag, niemand weiß die Antwort auf deine Fragen. Den nur die Raben kennen den Weg. Nur die Raben."

 

Dies ist der Punkt, an die Geschichte sich ändert und in die surreale und kindliche Welt des Jakob eintaucht, der nicht länger den Sargträgern folgt und sich auf die Suche nach einem Raben begibt, der ihm vielleicht den Weg nennen kann.

 

Auf seiner Suche begegnet er hilfsbereiten und verschlagenen Menschen, verspielten und verzweifelten Wesen, und sie alle befinden sich, ohne es zu ahnen, auf derselben Reise. Immer wieder begegnet man sprechenden Tieren, sei es der Rabenkönig, der über ein Reich aus Unrat herrscht, dem greisen Fuchs, der seiner Jugend nachtrauert und sich durch einen Tausch durch die Jacke von Jakob diese wieder zurückholt. Aber auch seltsam anmutenden Menschen, wie das Waisenkind, das sich für eine Schildkröte hält, weil diese ihr Heim immer mit sich mittragen oder aber die Frau die Jakob bei sich behalten will.

 

Letztlich findet Jakob seine Mutter und seine Suche hat ein Ende – der Preis den Jakob dafür bezahlen muss ist allerdings hoch...

 

Schreibstil & Artwork:

Der Autor Benjamin Schreuder wurde 1981 in Schongau/Oberbayern geboren und erfand schon als Kind eigenwillige Bildergeschichten. Mit 14 Jahren versuchte er sich an einem Fantasy-Roman und schrieb von da an auch Gedichte und Kurzgeschichten. In dieser Zeit begann auch seine Faszination für den Bereich Deutsche Romantik, wobei er von den Werken von Novalis, Ludwig Tieck, E.T.A. Hoffmann, aber auch von den Gebrüdern Grimm und Hans Christian Andersen geprägt wurde. In seinem Studium der Filmwissenschaft und Allgemeinen & Vergleichenden Literaturwissenschaft (in Tübingen, Zürich und Mainz) beschäftigte er sich neben diesem Bereich besonders mit Kinderliteratur, Träumen, Märchen, Mythen und Tiefenpsychologie.

 

Seit Herbst 2008 studiert er Drehbuch an der Filmakademie Baden-Württemberg. Dort lernte er Felix Mertikat kennen, mit dem er die grafische Novelle „Jakob" als Diplomprojekt am Animationsinstitut entwickelte. Während ihrer Zusammenarbeit entstanden eine ganze Reihe weiterer Ideen für Comic-Projekte (u.a. „Opus Anima: Dr. Prestauxs Kinder“, „Der Wal und sein Mensch“, „Die Kinder des Winterhauses“), die in naher Zukunft umgesetzt werden sollen. Darüber hinaus arbeitet Benjamin Schreuder an seinem Diplomdrehbuch „Altental", der als Schwarzwald-Thriller konzipiert ist und arbeitet als freier Lektor für diverse Filmproduktionsfirmen. Gemeinsam mit Felix Mertikat arbeitet er am Aufbau des Crossmedia Studio „ZEITLAND“ aufzubauen. Die Veröffentlichung von „Jakob“ im CrossCult Verlag ist das Debüt des Autoren.

 

Seine Ideen speisen sich aus seinen Träumen, aus bizarren Kinderbüchern und Songtexten, den Gemälden von Caspar David Friedrich, Marc Chagall und Tor Lundvall, den Studio Ghibli-Filmen (die sich unter anderem für Klassiker wie „Chihiros Reise ins Zauberland" verantwortlich zeigen), einigen Computer- und Videospielen, die er als Jugendlicher spielte, den Geschichtswelten eines Franz Kafka und Haruki Murakami – und Eindrücken, die er während langer Spaziergänge durch die Wälder und Felder der Eifel sammelte.

 

Der Zeichenkünstler und Maler Felix Mertikat wurde 1983 in Esslingen bei Stuttgart geboren. Nach dem Abitur hat er sich erst einmal als Biologie-Student versucht, sich jedoch dann nach einem einjährigen Praktikum in einer Werbeagentur dafür entschieden, an der Filmakademie Baden-Württemberg sein Glück zu versuchen. Während seiner Studienzeit hat er als Illustrator für verschiedene Projekte und Verlage gezeichnet (Call of Cthulhu, Shadowrun, DSA, Snickers, etc.) und 2008 sein eigenes Rollenspiel „Opus Anima“ auf den Markt gebracht. „Jakob“ ist seine erste Comic-Veröffentlichung. Derzeit baut er zusammen mit Autorenkollegen Benjamin Schreuder und weiteren kreativen Partnern die Crossmedia-Agentur „ZEITLAND“ auf, für die er weitere Graphic-Novel-Projekte in Planung hat.

 

Der von mir sehr geschätzte Zeichner und Illustrator Mertikat besticht in diesem Band durch seine ruhige Mischung aus Bleistiftvorzeichnungen und Aquarellkolorierung, in denen er sehr realistische Figuren zeichnet. Auf den ersten Blick erscheinen die Bilder wie aus einem Kinderbuch, doch bei näherem Betrachten und in Kombination mit dem Text erschließt sich erst deren etwas schwergewichtigere Bedeutung. Bedingt durch den Einsatz der Aquarellkolorierung ist die Farbgebung sehr sanft und hell und steht damit im Gegensatz zu dem eigentlich recht dunklen und düsteren Thema. Auf einen klassischen Comic-Aufbau wird fast gänzlich verzichtet und so gibt es eine rasante Tour de Force für das Auge, in dem sich großformatige Bilder, unterbrochen durch einzelne Panels mit einander übergehenden Panels abwechseln und den Leser und auch optisch auf eine höchst interessante Suche einladen.

 

Qualität & Ausstattung

Die Aufmachung des Hardcoverbandes ist mit dem Format 270 mm x 210 mm sicherlich etwas ungewöhnlich, dürfte aber letztlich ein Zugeständnis an den Aufbau der Bilder gewesen sein, welche das Format eine „normalen“ Hardcoverausgabe gesprengt hätten. Mit 64 Seiten dürfte der Band den Standardumfang eines Comics nur unwesentlich überschreiten, allerdings hätte ich mir bei diesem Umfang auch einige erklärende Worte der Autoren über ihre Intention erhofft.

 

Fazit:

Der Band „Jakob“ ist die erste reine Comic-Arbeit, die an der renommierten Filmakademie Baden Württemberg als Abschlussprojekt anerkannt wurde und ein Beweis dafür, dass die Medien Film und Comic mehr miteinander gemein haben, als man auf den ersten Blick meint.

 

Dieser Comic ist verstörend, in seiner Sprache manchmal poetisch und nicht zuletzt auch mit sehr schönen Illustrationen ausgestattet, bei denen sich alles um Verlust und Trauer aber auch Hoffnung dreht. Doch leider ist die Geschichte des kleinen Jakob sehr diffus und wirkt mit ihren zahlreichen Figuren und Tieren zum Teil restlos überfrachtet, auch wenn die handwerklich sehr gelungenen Illustrationen des von mir sehr geschätzten Felix Mertikat dieses Manko ein wenig wett machen.

 

Die Geschichte des kleinen Jakob, der sich auf die Suche nach seiner Mutter macht setzt sehr stark auf Symbolik, aber der menschliche Wunsch des Lesers, diese Symbole zu interpretieren mag irgendwie nicht gelingen. Als Leser und Betrachter vermuten oder erkennen wir Symbole, ohne ihre spezifische Bedeutung erklären zu können. Das ist eigentlich ein Teil des symbolisches Prozesses, denn das, was symbolisiert wird, IST schwer zu sagen und mit Worten nicht zu fassen. Aber bedingt durch den surrealen Charakter der Geschichte entziehen sich diese vermeintlich erkennbaren Symbole ihrer Bedeutung. Und da beißt sich leider die Katze in den Schwanz, denn erst durch ihre Deutung werden Gegenstände und Ereignisse zu Symbolen. Hier gibt es aber irgendwie „Ars gratia artis“ (Die Kunst um der Kunst willen), was sicherlich nichts schlechtes sein muss und mir persönlich auch große Freude bereitet hat, doch das zieht irgendwie an dem vorbei, was der Klappentext dem Leser anpreist – bei weitem keine Geschichte die stilistisch in die Richtung von „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry oder „Pinocchio“ Carlo Collodi geht.

 

Für ein Resümee bin ich diesem Comic allerdings trotzdem sehr dankbar: Mit Kindern oder aber sogar dem eigenen Kind über den Tod reden und diesen begreiflich zu machen ist ganz gewiss keine leichte Aufgabe und es ist auch nicht immer möglich Kinder behutsam und rechtzeitig auf den Tod vorzubereiten, wenn beispielsweise ein nahes Familienmitglied stirbt.

 

Man sieht sehr deutlich an Jakob, was in Kindern geschehen kann, wenn wir den Tod verschweigen – fast schon traumatisch können Kinder anfangen zu fantasieren, sie reden sich ein, sie seien Schuld am Wegbleiben eines geliebten Menschen oder seien sogar selbst die Ursache des Todes. Diese Gefühlswelt kann in Kindern seelische Schäden verursachen und so ist es wichtig Kinder nicht vor dem Erleben des Todes, sondern vor dem Verdrängen von Tod, Leid und Trauer zu schützen und sie stark zu machen um diese schwierige Erfahrung zu verarbeiten. Was man einem Kind verschweigt, füllt es mit eigenen Phantasievorstellungen – und die können viel schlimmer und bedrohlicher sein als die Wirklichkeit, wie es dem Leser in „Jakob“ deutlich vor Augen geführt wird.

 

Der Stil des Autors, sein Satzbau, die Konstruktion der Geschichte, die verwendete Metaphorik bzw. Bildersprache wirken manchmal sehr angestrengt, die Illustrationen überfrachtet und in Verbindung mit dem Text um eine Originalität bemüht, die aus wohl künstlerischen Erwägungen auf den Leser oftmals keine Rücksicht nimmt. Und – wie bereits gesagt – erschließen sich etliche Details und Nuancen der Geschichte aufgrund der verwendeten sibyllinischen Symbolik nur mühsam - wenn überhaupt. Dieser Comic ist deshalb nicht als liebevolle „Gute-Nacht-Geschichte“ für Kinder geeignet und gehört in die Hände eines Erwachsenen.

 

Trotz aller Kritik hat dieser Comic bei mir einen durchaus bleibenden Eindruck hinterlassen, zumal er ja auch mehr oder weniger das Drehbuch für den gleichnamigen ca. 30 Minuten langen animierten Comic-Film ist. Für viele sicherlich nicht leicht verdaulich und ein wenig geistige Ausdauer muss man trotz der „nur“ 64 Seiten schon mitbringen – ich bin mir auf jeden Fall sehr unschlüssig, ob es sich um hochgradig vergeistigten Unsinn handelt, der uns augenzwinkernd hier aufgetischt wird, oder aber um einen ambitionierten und recht philosophisch angelegten Comic, wie man ihm nicht alle Jahre begegnet.