Sharner Kobold Sharner Kobold

 

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Der Spieler
Bewertung:
(3.9)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 23.09.2012
Autor:Stéphane Miquel (Szenario) und Loïc Godart (Zeichnungen)
Übersetzer:Resel Rebiersch
Typ:Comic / Graphic Novel
Setting:Russland
VerlagSplitter Verlag
ISBN/ASIN:978-3-86869-443-7
Inhalt:96 Seiten, Hardcover mit SU
Preis:19,80 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt:

Der junge Alexej Iwanowitsch ist Hauslehrer der Familie eines hoch verschuldeten, und nie namentlich benannten, russischen Generals, der sich zum Zeitpunkt des Geschehens der Erzählung in einer Stadt aufhält, die ironischerweise den Namen Roulettenburg trägt. Die Herrschaften der russischen Generalsfamilie verkehren hier mit den besten Kreisen und lassen es sich an nichts fehlen. Doch der Schein trügt, hat doch der General das komplette Vermögen der Familie an den Spieltischen in den Casinos von Roulettenburg verschleudert und seinen Grundbesitz in Russland für seine horrenden Schulden verpfändet. Einzig die Hoffnung auf den baldigen Tod einer kranken Tante und das damit verbundene Erbe dienen dem General als letzte Hoffnung auf eine Wende und auf die Gunst von Mademoiselle Blanche, in die er sich Hals über Kopf verliebt hat, die sich aber nie mit einem bankrotten General einlassen würde.

 

Inmitten dieser Geschehnisse steht die unerwiderte Liebe von Alexej Iwanowitsch zu Polina Alexandrowna, der Stieftochter des Generals und sein hohes Maß an Ahnungslosigkeit über die familiären Probleme. Ihn grämen vielmehr die penetranten Annäherungsversuche von Marquis des Grieux, den irgendetwas mit Polina zu verbinden scheint und des Engländers Astley. Selbst Polina scheint mit dem jungen Lehrer ein übles Spiel zu spielen, wird er doch von ihr immer wieder gedemütigt, mit kapriziöser Grausamkeit gequält und später sogar für ihre eigenen Zwecke missbraucht. So gerät Alexej Iwanowitsch immer weiter in den Strudel der Familiengeheimnisse, bis schließlich die fast schon für tot geglaubte Erbtante des Generals leibhaftig und scheinbar sich bester Gesundheit erfreuend in Roulettenburg auftaucht. Zum Entsetzen des Generals findet die Tante, die sich von Alexej Iwanowitsch begleiten lässt, Gefallen an den Spieltischen und verliert innerhalb weniger Tage ein Vermögen um schließlich wieder unversehens wieder abzureisen. Aber auch Alexej Iwanowitsch scheint von der Sucht nach dem Spiel befallen zu sein und so wagt er ebenfalls das große Spiel an den Tischen von Roulettenburg.

 

Schreibstil & Artwork:

Der Franzose Stéphane Miquel arbeitete mehr als 15 Jahren als Journalist und Fotograf in Frankreich und im Ausland, bis er nach der Rückkehr von einer längeren Reportage beschließt, seine Leidenschaft zu Schreiben mit Nicolas Tackian, einem befreundeten Szenaristen, zu teilen und beginnt erstmals Szenarien für Kurzfilme und auch größere Filmproduktionen zu schreiben. Danach arbeitet er gemeinsam mit Nicolas Tackian für den Verlag Soleil an den Comics „Les Insurgés d’Edaleth“, „Kookabura Universe T.5.“ und „L’Anatomiste“, wo er auch den Zeichner Loïc Godart kennenlernte. Das internationale Parkett der Comicwelt hat er mit dem spanischen Zeichner Mike Ratera 2006 betreten, mit dem die Reihe „Bad Legion“ entstand. Im Frühjahr 2007 arbeitete er an dem Szenario der Reihe „Black Bank“ mit, der für den Verlag Soleil entstand.

 

Miquel präsentiert mit seiner Adaption des Klassikers der russischen Literatur den Roman von Dostojewski als sadistisches Universum voller Zweifel und Verzweiflung. Der Hauslehrer Alexej erscheint als rauschhaft besessener Charakter, den ein fast schon sadomasochistische Verhältnis mit Polina, der Tochter des Generals verbindet. Die draufgängerische Lebenskraft der plötzlich auftauchenden Erbtante, zu der sich der Altersstarrsinn hinzugesellt und die ihr Vermögen im Casino verschleudert sind ebenso bravourös umgesetzt, wie die Gesellschaft derjenigen, die auf das baldige Ableben der Erbtante gehofft hat und die blankes Entsetzen über die Geschehnisse und den Verlust des sicher geglaubten Vermögens ergreift.

 

Der Kenner der Vorlage mag an einigen Stellen Veränderungen im Szenario wahrnehmen, doch galt es nicht zuletzt diese sperrige Kost für einen Comic aufzubereiten, der mit anderen Mitteln arbeiten muss und sich selten überzeugend auf die Innenansichten seiner Protagonisten beziehen kann. Gemeinsam mit den Bildern von Loïc Godart liest sich „Der Spieler“ in dieser Fassung aber überaus dynamisch und pointiert und macht dem Begriff „Adaption“ alle Ehre.

 

Der 1980 geborene Loïc Godart studierte an der renommierten Kunsthochschule Emile Cohl in Lyon, die er 2002 mit einem Diplom in der Tasche verließ. Was ihn anzog war die 9. Kunst – ein Universum voller Möglichkeiten, in dem man sich treiben lassen kann, um andere mit seinen Bildern zu verzaubern, die man mit drei Federstrichen zu Papier bringt, um Graphiken voll perfekter Harmonie zu Papier zu bringen. Und so entwickelt sich sein Design eines Szenarios immer unweigerlich mit der Geschichte.

Zu seinen Vorbildern im Comic-Bereich zählt er Bézian und auch Teddy Christiansen, bei den „klassischen“ Malern ist er von den Arbeiten Egon Schiele oder George Grosz begeistert, doch ist es die alltägliche Kunst, die Godart interessiert. So kann ein Graffiti an einer Wand, Werbung oder das Design von Möbeln ihn ebenso begeistern wie vermeintlich „hohe Kunst“. Dadurch entsteht in der Gedankenwelt von Godart eine regelrechte Bibliothek von Bildern, unterschiedlichen Empfindungen und Eindrücken, die sich nachhaltig in seinem zeichnerischen Ausdruck äußern, wie er sie bereits in dem Band „l'Anatomiste“, der 2005 bei Soleil erschien oder in der Reihe „Bang!“ mit dem Szenaristen Jean-Christophe Deveney bewiesen hat.

 

Es mag übertrieben sein, Godart als Zauberer zu bezeichnen, dennoch ist sein Stil erfrischend anders und seinen Panels wohnt ein seltsamer Zauber inne, der mich überaus fasziniert hat. Auch wenn die Hintergründe absolut realistisch und voller schön gearbeiteter Details sind, so stechen doch die fast schon an Karikaturen erinnernden Charaktere hervor, die fast wie Skizzen hingeworfen wirken ohne dabei ins Komische abzugleiten. Ganz im Gegenteil – durch diesen Kunstgriff schafft es Godart seinen Protagonisten sogar noch mehr Leben und Dynamik einzuhauchen, als dies mit einer realistischen Darstellung der Fall wäre.

 

Die Aufteilung der Panel ist klassisch und ohne großen Modernismus, was dem Thema und den Möglichkeiten des Erzählers sehr zugute kommt, doch ein wenig hat mich die Kolorierung gestört, die mit recht muffigen Ocker oder unterkühlten Blautönen daherkommt. Hier hätte meines Erachtens ein wenig mehr Farbe gut getan, um den recht eigenwilligen Protagonisten und Hintergründen Rechnung zu tragen.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung:

In Sachen Qualität und Verarbeitung steht die kleine und handlichen Reihe der Splitter Books ihren großformatigen Geschwistern des Verlags in nichts nach. Die Verarbeitung des Hardcover-Bandes (nebst Schutzumschlag) ist entsprechend ordentlich und man erhält für einen überaus günstigen Preis ein komplettes Album von 96 Seiten. In Sachen Ausstattung zeigt sich dieser Band allerdings etwas karg und so gibt keine sonderlich großen Extras zu entdecken - hier bekam man in der Vergangenheit bei einigen anderen Ausgaben der SplitterBooks schon wesentlich mehr geboten. Die tadellose Übersetzung der französischen Texte stammt von Resel Rebiersch.

 

Fazit:

Auch wenn der Zeichenstil von Godart nicht unbedingt massenkompatibel sein mag, so ist doch die stilistische Umsetzung der nicht ganz einfachen Romanvorlage von Dostojewski aus meiner Sicht ein voller Erfolg, da Miquel da komplizierte Gerüst der Dialoge und auch der zahlreichen Innenansichten seiner Protagonisten auf wesentliche Elemente reduziert und nicht Gefahr läuft, den Leser mit gigantischen Sprechblasen zu erschlagen.

Wer sich bislang vor vermeintlich allzu schwerer russischer Kost gescheut hat, dem sei dieser Band als leichter Einstieg in die Befindlichkeiten der russischen Seele auf jeden Fall empfohlen. Für mich auf jeden Fall eine kleine, aber feine Entdeckung in der Reihe SplitterBooks, die deutlich zeigt, das die Adaption von Klassikern der Weltliteratur in Comicform nicht das Ende des zivilisierten Abendlandes bedeutet.