Sharner Kobold Sharner Kobold

 

u
Transmetropolitan 2 - Der neue Abschaum
Bewertung:
(4.2)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 03.07.2014
Autor:Warren Ellis (Autor), Darick Robertson(Zeichner)
Übersetzer:Claudia Fliege
Typ:Comic / Graphic Novel
Setting:SF/Cyberpunk
VerlagPanini Comics
ISBN/ASIN:978-3-86201-673-0
Inhalt:300 Seiten, Hardcover, A 5
Preis:29,95 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt:

Es scheint, als sei Spider Jerusalem nach seiner langen Abwesenheit endlich wieder in seiner gehassten Stadt angekommen. Seine regelmäßigen Kolumnen werden gelesen und er hat schon längst wieder seinen alten Kultstatus erreicht. Aber Spider scheint sich zu langweilen, bietet ihm der Moloch nicht neues und aufregendes. Das ändert sich aber schlagartig, als der Wahlkampf beginnt und Spider seine große Chance sieht, dem personifizierten Ausdruck menschlicher Schande ins Handwerk zu pfuschen. Jedoch freut er sich etwas zu früh, bekommt er doch eine neue Assistentin an die Seite gestellt. Yelena Rossini ist nicht sonderlich erfreut über den oftmals drogenumnebelten Verstand und die nicht vorhersehbaren Verhaltensweisen ihres Vorgesetzten, aber dennoch lässt sie sich auf dieses „Abenteuer“ ein.

 

Im Kampf um das Amt des Präsidenten bewirbt sich neben dem Amtsinhaber Senator Gary Calahan, der liebevoll der „Smiler“ genannt wird auch Bob Heller, dessen Partei stark faschistische Züge trägt und sich überaus patriotisch präsentiert. Spider bekommt die Chance, ein Interview mit Calahan zu führen und macht Bekanntschaft mit dessen Assistentin, Vita Severin, in die er sich mehr oder weniger im Rahmen seiner Möglichkeiten verliebt, scheint diese doch aus dem gleichen Holz geschnitzt zu sein wie er.

 

Während sich Spider Jerusalem selbst einigen Ärger verschafft, nachdem er mit seiner Assistentin Yelena Rossini eine heiße Nacht verbracht hat, an die weder er noch sie sich erinnern kann, scheint es, als hätte Spider im Rahmen seiner Berichterstattung über den Wahlkampf geradewegs in ein Wespennest gestochen. Spätestens als man Vita Severin tot auffindet, macht sich Spider auf die Suche nach den schmutzigen Geheimnissen des „Smilers“ und scheint fündig zu werden. Auch gibt es ein Wiedersehen mit Channon und ein denkwürdiges Gespräch mit dem Präsidenten, den Spider abfällig nur „Das Monster“ nennt.

 

Und so kommt es schließlich zur großen Wahlnacht, in der sich die Geschicke des Landes für die nächsten Jahre entscheiden und Spider dürfte wahrscheinlich die Nummer 1 auf der Abschusslisten einiger mächtiger und einflussreicher Leute werden – aber das ist er ja gewohnt.

Schreibstil & Artwork:

Der Brite Warren Ellis (geb. 1968) zählt zu den renommiertesten Comic-Autoren der Gegenwart und begann seine Karriere 1990 in englischen Magazinen, bevor er 1994 erstmals für den US-Verlag Marvel unter anderem an den Reihen „Hellstorm“, „Marvel 2099“ und „Thor“ arbeitete. Für Aufmerksamkeit sorgten vor allem die Reihen, die bald darauf für DC Comics entstanden, nämlich „Stormwatch“, „The Authority“ und vor allem „Transmetropolitan“. In der Folge entwickelte sich Ellis zu einem der wenigen Star-Autoren des Mediums, dessen Synonym für hochklassige, intelligente Science-Fiction-Comics wurde. „Global Frequency“ und „Planetary“ untermauerten diesen Status nachhaltig.

 

In den letzten Jahren schrieb Ellis viele kontroverse Comics für den Verlag Avatar (unter anderem „Black Summer“, „No Hero“, „Crecy“ und „Supergod“), moderne Action-Stoffe für Marvel (unter anderem „Nextwave“, „Astonishing X-Men“, „Ultimate Iron Man“). Ellis vielbeachteter erster Roman „Gott schütze Amerika“ („Crooked Little Vein“) erschien im Juli 2007 in den USA und zwei Jahre später in deutscher Übersetzung bei Heyne. Sein zweiter Roman, der Thriller „Gun Machine“, erschien ebenfalls 2013 in deutscher Übersetzung. Warren Ellis lebt in Southend-on-Sea in England und pflegt seine sehr aktive Online-Persönlichkeit.

 

„Transmetropolitan“ ist eine große dunkle Geschichte, voller Gewalt und Gemeinheiten, in der es kein Tabus gibt und somit die Reihe eigentlich nur dem erwachsenen oder aber zumindest dem hartgesottenen Leser empfohlen sei. Nachdem Warren Ellis im ersten Band einige Facetten der Stadt vorgestellt hat, schickt er seinen übelgelaunten, elenden Bastard Spider Jerusalem durch dieses Babylon der Zukunft, der nur mit seinem schwarzen Humor, reinstem Hass und einem seltsamerweise recht eigen ausgestatteten Gerechtigkeitssinn sich anschickt, eine klein wenig schlichter Menschlichkeit zu verbreiten.

 

Und immer wieder scheint es Ellis zu gelingen, in den Szenarien noch ein wenig mehr zu übertreiben, ohne dabei unglaubwürdig mit seinen Ideen zu werden und erschafft eine vom Cyberpunk beeinflusste Welt erschuf, wie sie der Leser bislang im Bereich SF noch nicht kannte. Erzählerisch dicht, spannend und voller unerwarteter Wendungen bietet auch dieser Band eine Tour-de-Force durch die Niederungen des menschlichen Daseins, wie es nicht nur in der Zukunft aussehen kann.

 

Der amerikanische Zeichner Darick W. Robertson hat in seiner zwanzigjährigen Karriere Hunderte von Comics für alle großen US-Verlage gezeichnet. Sein erster Profi-Job war eine Story für „Justice League Quarterly“, gefolgt von einer kurzen Strecke für die Serie „Justic League Europe“ (beide für DC Comics). Danach wechselte er zu Marvel, wo er – nach einer Wolverine-Ausgabe – bei den „New Mutants“ landete. Nach einigen Arbeiten für Malibu und Acclaim kehrte er zu DC zurück, wo er „Transmetropolitan“ zeichnete. Dieser riesige Erfolg machte Robertson zu einem der berühmtesten und begehrtesten Comic-Zeichner Amerikas. Anschließend arbeitete er an „The Boys“ von Garth Ennis. Derzeit illustriert er Grant Morrisons neue Mini-Serie „Happy“, die bei Image Comics erscheint.

 

Robertson lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern zurzeit in Napa, Kalifornien, wo er in seiner Freizeit an „Custom Action Figures“ bastelt, Musik schreibt und sich dem Singen und Gitarre spielen widmet.

 

Im Vordergrund der Zeichnungen von Robertson stehen eindeutig die Akteure, allen voran natürlich Spider Jerusalem, mit der er eine leicht erkennbar Kultfigur geschaffen hat, die, gekleidet in einem schwarzen Anzug, oftmals aber eher mit nacktem Oberkörper, der von diversen Tätowierungen bedeckt ist, seine leidlich geschmacklose bunte High-Tech-Sonnenbrille trägt und den Dreck der Straßen seiner Stadt in sich aufsaugt. Zwar weiß Robertson seine Straßenszenen immer wieder mit allerlei abstrusen und spektakulären Hintergründen und Details zu füllen, doch immer wieder kehren die Einstellungen den Figuren zurück, die oftmals vor fast monochromen Hintergründen postiert werden und mit ihrer Mimik und Gestik überzeugen. Mit den Präsidentschaftskandidaten Bob Heller und Callahan schafft er problemlos zwei überzeugende Politiker, wie sie das echte Leben nicht überzeugender hätte gestalten können.

 

Rund 15 Jahre nach ihrem ersten Erscheinen haben die Zeichnungen nichts von ihrer seltsamen Faszination verloren, auch wenn man nicht unbedingt behaupten kann, Darick W. Robertson sei mit „Transmetropolitan“ stilbildend für eine ganze Generation gewesen. Aber Robertson ist ein überzeugender Handwerker, der mit der Unterstützung insbesondere von Rodney James als Tuscher, die zum Tei abstrusen Ideen von Warren Ellis umzusetzen weiß. Und so ist es letztlich die präzise Charakterzeichnung der einzelnen Figuren, die sich mit stimmigen Hintergrundkulissen vereint und nebst Kolorierung von Nathan Eyring ein harmonisches Ganzes ergibt.

Qualität, Ausstattung & Übersetzung

Die zweite von insgesamt fünf solide verarbeiteten Hardcoverausgaben versammelt die Hefte 13 bis 24 der Reihe „Metropolitan“ und die Ausgaben 2 und 3 von „Vertigo: Winter’s Edge“. Konnte der erste Sammelband noch mit einem Vorwort von Garth Ennis aufwarten, so muss man in diesem mit einer kurzen biographischen Notiz zu Warren Ellis und Darick W. Robertson vorlieb nehmen. Dafür gibt es aber wieder die verteilt über den ganzen Band die Cover der Einzelhefte. Die Übersetzung stammt von Claudia Fliege, die das böse Flair der Originaltexte gekonnt umgesetzt hat. Puristen mögen zwar einwenden, die Übersetzung sei hier und da nicht ganz so dicht am Original, aber ich finde sie absolut überzeugend.

Fazit:

Man kann sich eigentlich nur staunend die Augen reiben: Da versucht der Brite Warren Ellis seinen Protagonisten Spider Jerusalem der Verlogenheit von zwei Präsidentschaftskandidaten auf die Spur zu kommen und treibt sein Szenario zu einem furiosen Finale. Allerdings ist das Szenario nunmehr rund 15 Jahre alt, aber es sieht so aus, als sei dieser Entwurf einer SF-Utopie schneller Wirklichkeit geworden, als man meint. Was bösartig unter der schillernden Oberfläche der Stadt brodelt und den Leser fasziniert, ist längst Realität geworden. Lügen, falsche Versprechungen und mediale Omnipräsenz von Politikern, bei denen jeder Schritt durchdacht ist. Aber da gibt es noch Spider Jerusalem, der hinter diese Fassade schaut und den Leser mitnimmt auf eine abenteuerliche Reise durch seine Stadt, man mit ihm leiden kann bei seiner Ohnmacht vor den herrschenden Verhältnissen oder ihn einfach nur als fiesen Kotzbrocken betrachtet, der sein Ding gnadenlos durchzieht.

 

Ich sagte bereits, das „Transmetropolitan“ zeichnerisch eigentlich nicht viel mehr als ein typischer amerikanischer Mainstream-Comic ist. Was diese Reihe allerdings ausmacht sind ihre Szenarien, die den Protagonisten mit seiner dunklen und zornigen Art antreibt. Wer „Transmetropolitan“ bislang verpasst haben sollte oder die alten Ausgaben nicht komplett hat, der kommt hier voll auf seine Kosten, insbesondere, wenn man auf der Suche nach einer bitterbösen und geradezu zeitlosen Satire auf eine nicht mehr unbedingt allzu entfernte Zukunft ist.