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Ravenloft: Legacy of Blood
Bewertung:
(2.3)
Von: Andreas Miebach
Am: 22.04.2005
Autor:Steve Miller, Anthony Pryor, Penny Williams & Skip Williams
Typ:
System:D20 3.5
Setting:Ravenloft
VerlagSword & Sorcery / Arthaus
ISBN/ASIN:1-58446-089-4
Inhalt:152 Seiten, Softcover
Sprache:Englisch

Great Families of the Core

Stimmungsvolle Quellenbücher waren schon immer und sind glücklicherweise auch noch immer eines der Markenzeichen der Ravenloft-Kampagnenwelt. Nahezu jedes für Ravenloft typische Monster ist schon mit einem „Van Richten’s Guide“ beehrt worden und viele der Domänen wurden ausführlich in einem der „Gazetteers“ beschrieben. So scheint es fast schon unverständlich, dass eine weitere wichtige Komponente von Ravenloft, nämlich die Familienclans, die dort leben, bisher eher stiefmütterlich behandelt wurden. Wer sich noch an das allererste Kampagnen-Set von Ravenloft erinnern kann (die „Realm of Terror“-Box bzw. auf Deutsch „Das Reich des Schreckens“), der wird sich auch bestimmt noch an die Stammbäume entsinnen, die dort in einem der Kapitel enthalten waren. Viele Positionen in diesen Stammbäumen hatten die Autoren offen gelassen, damit der SL sie nach eigenem Gutdünken auffüllen konnte, eventuell sogar mit Spielercharakteren. Diese Idee greift das nun vorliegende Quellenbuch „Legacy of the Blood: Great Families of the Core“ (im Folgenden LotB) auf und reichert sie mit den vielfältigen Möglichkeiten, welche die 3.5-Edition von D&D bietet, an. Gerade im Hinblick darauf, dass die Ravenloft-Kampagne seit der dritten Edition eher darauf ausgelegt ist, dass die Spieler einheimische Charaktere spielen (und nicht mehr wie noch in der zweiten Edition Abenteurer aus anderen Kampagnenwelten, die nur auf Stippvisite sind), wird diese Idee natürlich umso interessanter und macht nun eigentlich auch erst so richtig Sinn.

 

Aufmachung, Gestaltung und Verarbeitung

LotB gleicht in allen Punkten der relativ unspektakulären Aufmachung und dem Layout aller anderen Softcover-Quellenbücher aus der Ravenloft-Reihe: Das vornehmlich schwarze Cover wird nur wieder von dem bekannten, ovalen Edelstein geziert, aus dem uns hier das Antlitz Vlad Drakovs entgegenlächelt (ein Ausschnitt aus einer Zeichnung, die sich auch im Inneren wiederfindet), während der ganze Rest des Buches wie üblich in schwarz-weiß gehalten ist. Der Text ist durchgehend zweispaltig und gut lesbar, wobei jedoch viel Platz für die aufgedruckte Randverzierung (angefressenes Papier und die gotisch geformten Metallspitzen mit den beiden Raben und Schilder für den Kapitelnamen oben und die Seitenzahl unten) benötigt wird. Die Innenillustrationen stammen von vier namhaften Künstlern (Talon Dunning, Brian LeBlanc, Jeremy McHugh und Claudio Pozas), sind jedoch allesamt von bestenfalls durchschnittlicher Qualität (insbesondere die Zeichnungen von Talon Dunning wirken sehr skizzenhaft und unfertig) und zeigen auch bis auf wenige Ausnahmen nur Motive, deren Dramatik sich arg in Grenzen hält: Diverse Familienmitglieder in verschiedenen Posen oder als Portrait.

Die 152 Seiten werden von einer Klebebindung zusammengehalten und teilen sich in eine Einleitung, neun Kapitel (eines für jede Familie) und einen Anhang mit NSC auf. Credits und Inhaltsverzeichnis benötigen je 1 Seite, außerdem wurde für jede Kapitel-Überschrift eine komplette Seite verschwendet – inklusive Einleitung und Anhang also insgesamt 11 Seiten, auf denen nur Kapitel-Überschriften stehen. Glücklicherweise findet man dafür aber keine Werbung und – da Ravenloft ja ein vollwertiges Lizenzprodukt ist – auch keine OGL.

 

Aufbau der Kapitel

Jedes der neun Kapitel, in denen die Familien beschrieben werden, ist nach dem gleichen Schema aufgebaut: Am Anfang findet man einen Flavortext, der den Leser atmosphärisch auf die jeweilige Familie einstimmen soll, wobei es sich um Briefe oder Auszüge aus Tagebüchern handelt. Den umfangreichsten dieser Texte trifft man gleich bei den Boritsis an: Einen dreiseitigen Brief von Jennifer Weathermay-Foxgrove an ihre Schwester, in dem sie von ihrer unangenehmen Begegnung mit Ivana Boritsi berichtet. Ansonsten gehen diese Flavortexte aber in aller Regel nicht über eine einzelne Seite hinaus. Danach folgt eine in der Länge stark variierende, allgemeine Beschreibung der Familienverhältnisse mitsamt der jeweiligen Besonderheiten, wobei ggf. auf die Familiengeschichte, die Ahnenreihe, besondere Ereignisse oder auf verschiedene Äste oder Ableger des Stammbaums eingegangen wird. Leider erstreckt sich diese Beschreibung je Familie auf höchstens zwei bis drei Seiten – bei einigen ist es sogar noch erheblich weniger. Alles in allem erfährt man hier nur selten mehr als man bereits aus den „Secrets of the Dread Realms“ oder aus den diversen Ravenloft Gazetteers kennt, auf die hier auch an mehreren Stellen ausdrücklich verwiesen wird. Es folgen dann noch zwei zumeist kurze Absätze über „Fitting In“ (in welchem beschrieben wird, wie sich die Mitglieder der jeweiligen Familie üblicherweise verhalten – was dem potenziellen Spieler als generelle Richtlinie für das Ausspielen der Persönlichkeit eines Charakters aus dieser Familie dienen soll) und „Claiming Membership“ (in dem das typische Aussehen eines Familienmitglieds und eventuelle Eigentümlichkeiten wie z.B. Erbflüche aufgeführt werden), dann hat es sich auch schon mit dem Fluff-Teil der jeweiligen Familienbeschreibung und wir kommen zum Crunch.

Los geht’s mit den Familienmerkmalen („Family Traits“), die jeder Charakter, der dieser Familie angehört, erhält. Diese reichen von Modifikatoren auf bestimmte Fertigkeiten und/oder Attribute bis hin zu sehr speziellen Dingen (Beispiele folgen im nächsten Abschnitt über die Familien). Die Merkmale haben zwar teilweise recht drastische Auswirkungen, sind aber im Großen und Ganzen noch spielbar, auch wenn einzelne davon sicherlich zu einer ziemlichen Belastung für den Spieler, den SL und den Rest der Gruppe werden können. Es folgen die Familientalente („Family Feats“), die sich einerseits in eine Liste empfohlener Talente aus anderen Werken und ein paar neuen Talenten, die speziell auf die jeweilige Familie zugeschnitten sind, aufteilen. Die empfohlenen Talente stammen dabei nicht nur aus den Grundregelwerken, sondern aus dem „Ravenloft Player’s Handbook“, dem „Ravenloft Dungeon Master’s Guide“, „Champions of Darkness“, „Heroes of Light“, „Van Richten’s Arsenal“ und den „Ravenloft Gazetteers“ Vol. I bis V. Wohl dem, der all diese Bücher sein eigen nennen kann. Pro Familie werden aber auch immer mindestens ein bis maximal fünf neue Talente vorgestellt, so dass sich insgesamt 30 neue Talente über die neun Kapitel verteilen, die mal ganz gut zur jeweiligen Familie passen und mal eher Lückenfüllercharakter besitzen. Anders verhält es sich mit den nachfolgenden Prestigeklassen („Family Classes“), derer insgesamt 14 Stück sich ebenfalls auf alle Familien verteilen (immer eine oder zwei je Familie) – hier würde ich mich tatsächlich schwer damit tun, überhaupt eine Prestigeklasse zu finden, die man als „unpassend“ oder „Lückenfüller“ bezeichnen könnte. Natürlich darf auch die „Family Magic“ nicht fehlen, und so werden hier noch insgesamt fünf neue Zauber und 28 neue magische Gegenstände (darunter nicht wenige Artefakte) vorgestellt, die sich im Besitz der jeweiligen Familie befinden. Abgeschlossen werden die Kapitel dann noch mit einem oder mehreren Abenteueraufhängern („Story Hooks“), die allerdings jeweils nur aus einem winzigen Absatz bestehen, und die somit kaum einer Erwähnung wert sind.

Irgendwie enthält das Buch nicht das, was ich mir vorgestellt hatte. Statt einer eingehenden Beschreibung sämtlicher (bekannter) Familienmitglieder, deren Beziehungen untereinander und zu anderen Persönlichkeiten oder Institutionen, einer Familienchronik, besonderen Gepflogenheiten, dunklen Geheimnissen, einem ausführlichen Stammbaum oder auch nur einer Beschreibung des Familien-Stammsitzes bekommt man hier nicht viel mehr als eine Bauanleitung für (N)SC aus der jeweiligen Familie. Zugegeben: Diese Bauanleitungen sind nicht schlecht – man kann damit durchaus passende und stimmige Charaktere basteln. Aber: Braucht man dazu unbedingt neue Talente, Prestigeklassen oder gar magische Gegenstände? Ich denke, nicht. Mehr bzw. ausführlichere Hintergrund-Informationen über die jeweilige Familie hätten der Sache einen wesentlich besseren Dienst erwiesen, mal ganz abgesehen davon, dass diese auch einen erheblich höheren Nährwert für den SL gehabt hätten. Denkwürdige Charaktere entstehen nun mal durch außergewöhnliche Hintergründe und die rollenspielerischen Künste der Spieler oder des Spielleiters, nicht durch einen Haufen Sonderregeln.

 

Die Familien

Hier sind sie nun, die neun „großen Familien des Kerns“ (bei der Seiten-Anzahl habe ich die Seite mit der Kapitel-Überschrift jeweils nicht mit eingerechnet):

 

Boritsi (15 Seiten): Ivana Boritsi, Darklord von Borca, ist auch das Familienoberhaupt des Boritsi-Clans und meisterhafte Hofintrigantin. Jeder, der nicht nach ihrer Pfeife tanzt, wird früher oder später ihr Gift zu spüren bekommen. Die Boritsis altern nicht so schnell wie andere Leute und ihre bevorzugte Klasse ist der Adlige. Die vier neuen Talente ermöglichen es ihnen u.a., den Schwierigkeitsgrad bestimmter Aufgaben einzuschätzen oder eine Resistenz gegen Gift zu entwickeln. Als passende Prestigeklasse wird hier der „Courtier“ (Höfling) vorgestellt, der bzw. die durch Verführungskünste in die Nähe der wichtigen Persönlichkeiten gelangen möchte. An magischen Gegenständen findet man u.a. „Danzig’s Icon of Ezra“, ein Götterbild mit prophetischen Kräften, das in Ivanas Schlafzimmer steht, sowie den „Deathstone“, in dem über 1.900 Seelen gefangen sind, und aus dem Ivana besondere magische Dolche herstellen kann.

 

D’Honaire (13 Seiten): Die intellektuellen D’Honaires sind in zwei Domänen prominent, und zwar in Dementlieu und Mordent. Familienoberhaupt und Darklord von Dementlieu ist Dominic D’Honaire, dem die geistige Kontrolle über seine Familie zunehmend entgleitet. Die komplizierten Familienverhältnisse sind erfreulich ausführlich dargelegt – es gibt sogar einen „verlorenen“ Zweig der Familie, der sich auf einem verschwundenen Schiff befunden hat, und für den hier zwei Möglichkeiten angeboten werden, was mit diesen D’Honaires passiert sein könnte. Dafür sind die fünf neuen Talente, die sich hauptsächlich um Heilung und Beeinflussung von anderen drehen, wenig interessant, ganz im Gegenteil wiederum zu der Prestigeklasse „Analyst“ (im Sinne von „Psychoanalytiker“), der durch Gespräche und Hypnose bei seinen willigen oder auch unwilligen Patienten schwere psychische Störungen bis hin zum Wahnsinn auslösen oder auch heilen kann. In Ravenloft sicherlich keine uninteressante Fähigkeit.

 

Dilisnya (10 Seiten): Die Dilisnyas besitzen nicht erst seit dem Massaker auf Schloss Ravenloft, bei dem die Halb-Ebene entstanden ist, einen Ruf als Spione, Diebe und Mörder. In vielen Domänen gehasst und verfolgt – ganz besonders natürlich in Barovia – leben die meisten Angehörigen dieser Familie unter falscher Identität über den ganzen Kern verteilt. Das prominenteste Familienmitglied ist sicherlich Ivan Dilisnya, der seit der Grand Conjunction Co-Darklord von Borca ist (neben Ivana Boritsi). Die speziellen Familienbande der Dilisnyas ermöglichen es ihnen, andere Familienmitglieder mittels eines Wurfs auf Wissen (Geschichte) oder Wissen (Lokales) ausfindig zu machen und von diesen Unterstützung zu erhalten, und mittels ihrer Talente können sie beispielsweise die Schwachstellen von Gebäuden ausbaldowern, ihren Multiplikator für kritische Treffer oder ihren Schaden bei einem hinterhältigen Angriff erhöhen. Die Prestigeklasse „Deceiver“ (Betrüger) glänzt dementsprechend neben vielen Schurkenmerkmalen mit ihren Kontakten, mit denen sie sich z.B. Alibis oder einen sicheren Schlupfwinkel verschaffen kann. Im Familienbesitz befindet sich „Nicolai’s Dagger“, ein magischer, intelligenter Dolch, dessen Macht mit der Anzahl der mit ihm getöteten Kreaturen wächst.

 

Drakov (12 Seiten): Vlad Drakov herrscht nicht nur über Falkovnia mit eiserner Faust, sondern versucht auch, mit ähnlich unerbittlichen Methoden seine unzähligen Nachkommen, die aus seinem häufig in Anspruch genommenen „Recht der Ersten Nacht“ entstehen, unter seine Fittiche zu bringen. Diese Kinder Drakovs, ob sie sich nun als dessen bewusst sind oder nicht, werden früher oder später vor den Thron ihres Vaters zitiert und aufgefordert, der Familie die Treue zu schwören. Tun sie dies, sorgt ein Familienfluch dafür, dass sie als Merkmal den barbarischen Kampfrausch erhalten, der sich bei ihnen aber schnell zu einem Blutrausch entwickelt, in dem sie auch Flüchtende und um Gnade flehende niedermetzeln. Mit den drei neuen Talenten können sie durch einen Schrei ihre Feinde demoralisieren, durch ihre Führungskompetenz die Gefährten im Kampf unterstützen oder zu einem Meister der Falknerei werden. Zwei Prestigeklassen werden hier vorgestellt: Der „Hawkmaster“ (der seinen Blutfalken-Tiergefährten nicht nur zur Kaninchenjagd einsetzen kann) und der „Raptor Knight“ (ein gnadenloser Elite-Ritter Vlad Drakovs, dessen Taten von besonderem Blutdurst gekennzeichnet sind, der einen Sturmangriff mit einer Armbrust durchführen und sich in Kampfrausch versetzen kann). Passend dazu gibt es dann noch an magischen Gegenständen die „Figurine of Wondrous Power: Bloodhawk“ und den „Hawk Helm“, der seinem Benutzer u.a. Boni auf Suchen, Entdecken und Rüstungsklasse verleiht.

 

Godefroy (12 Seiten): Die Familie Godefroy besteht zwar eigentlich nur noch aus Lord Wilfred Godefroy (Geist, Darklord von Mordent und Bewohner des berühmten „House on Gryphon Hill“), da aber dessen Vorfahren in die Familien Weathermay und Foxgrove eingeheiratet haben, lassen sich dort auch noch lebende Charaktere mit Godefroy-Blut in den Adern finden. Diese besitzen eine besondere Affinität zu Geistern, wirken sogar geradezu wie Magneten auf diese (Cole „Ich sehe tote Menschen“ Sear lässt grüßen) und werden nach ihrem Tod selbst zu einem Geist. Auch die drei neuen Talente, die es ihnen erlauben, sich auf die Geisterwelt einzustimmen und dadurch eine Art Blindsicht zu erhalten, mit ihren Händen auch Objekte außerhalb ihrer Reichweite zu bewegen oder anderen Leuten einen gehörigen Schrecken einzujagen, sowie die beiden Prestigeklassen „Accomplished Medium“ (das sich einen Berater aus der Geisterwelt zulegen kann) und „Divine Exorcist“ (dessen Spezialität es ist, besessene oder auf andere Art kontrollierte Opfer von ihren Peinigern zu befreien) spiegeln diesen Hintergrund hervorragend wieder.

 

Hiregaard (12 Seiten): Die Hiregaards sind die einzige Familie in diesem Buch, die einen guten Ruf in der Bevölkerung genießt. Zwar herrscht Sir Tristen Hiregaard über das nördliche Nova Vaasa und muss sich dabei dem brutalen Regime von Prince Othmar, dem offiziellen Herrscher dieser Domäne, unterordnen und die hohen Steuern eintreiben, die dieser verlangt, aber die Hiregaards gelten auch als die Beschützer der Schwachen und Helfer in der Not. Natürlich weiß niemand, dass Sir Tristens Alter Ego, Malken, der eigentliche Darklord von Nova Vaasa und für viele Verbrechen verantwortlich ist. Genauso wenig ist bekannt, dass die Hiregaards unter einem alten Fluch leiden: Jeder gescheiterte Ravenloft-Machtwurf lässt einen Hiregaard einen Schritt weiter auf dem Weg in den Wahnsinn gehen, wodurch schon viele ältere Hiregaards längere Zeit in Sanatorien verbracht haben. Das neue Talent „Defender of the Weak“ (verleiht einen Moralbonus bei der Verteidigung von Schwächeren) und die neue Prestigeklasse „People’s Champion“ (ein Volksheld, der gegen Ungerechtigkeiten, vornehmlich der herrschenden Klasse, vorgeht und sich zeitweise durch seinen „gerechten Zorn“ einen Bonus auf Angriff und Schaden geben kann) halte ich jedoch für wenig reizvoll. Auch der neue magische Gegenstand im Besitz dieser Familie, die „Cat’s Paw“, wirkt etwas deplaziert, zumal dessen „wahren“ Fähigkeiten der Phantasie des SL überlassen bleiben.

 

Mordenheim (16 Seiten): Über die Familie selbst erfährt man hier überhaupt nichts, denn über sie ist so gut wie nichts bekannt. Grund genug, fast das komplette Kapitel mit Crunch zu füllen, denn dazu gibt der Hintergrund so einiges her. Gleich fünf neue Talente stehen zur Auswahl, wobei „Create Device“ (Gerät herstellen) wohl das interessanteste sein dürfte. Mit seiner Hilfe kann man unmagische, technische Geräte herstellen, welche die Effekte von magischen Gegenständen simulieren. Als neue Prestigeklassen werden hier der „Learned Physician“ (ein Arzt, der so gut ist, dass seine Behandlung den Effekten diverser Heilzauber gleichkommt) und der „Scientist“ (ein Wissenschaftler, der sich auf ein bestimmtes naturwissenschaftliches Gebiet spezialisiert, und dann entsprechende Geräte herstellen kann, die den gleichen Effekt wie bestimmte Zauber besitzen, die thematisch zu dem jeweiligen Gebiet passen) vorgestellt. Im Bereich „Family Magic“ finden sich dementsprechend viele dieser Geräte wieder, sowie die Öle, die sich mit dem ebenfalls hier vorgestellten Talent „Superior Alchemy“ herstellen lassen.

 

Renier (13 Seiten): Wie wir hier erfahren können, gibt es in Ravenloft zwei Linien der Familie Renier: Die eine besteht aus natürlichen Werratten, die andere nicht. Beide Linien leben inzwischen in Richemulot, der Domäne, in der Jacqueline Renier Darklord ist (zu welcher der Linien sie gehört, dürfe damit wohl auch klar sein). Aber auch jene Reniers, die keine natürlichen Lykanthropen sind, sind für diese Krankheit extrem anfällig, besitzen eine besondere Affinität zu Nagetieren und eine spezielle Abneigung gegen eine bestimmte, zufällig zu ermittelnde Substanz. Auch hier gibt es wieder zwei Prestigeklassen, nämlich den „Recruiter“ (der besonders gut darin ist, mit einer gekonnten Rede schnell einen Mob zusammenzutrommeln, der sich seiner Sache anschließt, und diesen auch zu motivieren) und den „Rumormonger“ (der durch das Streuen von Gerüchten eine Rufmordkampagne auslösen kann). Am Rande wird hier auch die Familie DuBois erwähnt (Jacqueline Renier liebte einst einen DuBois, allerdings ohne Happy-End), deren Mitglieder gegen Lykanthropie besonders resistent sind.

 

Von Zarovich (11 Seiten): Das Oberhaupt dieser Familie muss sicherlich nicht mehr vorgestellt werden, allerdings sind die Autoren wohl irrtümlicherweise davon ausgegangen, dass dies auch auf den Rest der Familie zutrifft. So erfahren wir hier zwar in aller Ausführlichkeit, wie sich ein Von Zarovich zu verhalten hat, aber nicht, um wen es sich dabei handeln könnte (im Sinne von möglichen Verwandtschaftsverhältnissen). Alle Von Zarovichs – wer immer sie auch sind – leiden jedenfalls unter ihrem „befleckten Blut“, das sie besonders anfällig für die Mächte von Ravenloft oder in Kämpfen zu Berserkern macht bzw. Alpträume oder Horrorvisionen erleben lässt. Neue Talente gibt es hier natürlich auch, z.B. um Zauber wirken zu können, ohne dafür Zauberslots zu benötigen, indem man dafür sein eigenes Blut (a.k.a. Trefferpunkte) opfert (oder auch das Blut von anderen), oder um im Kampf „blutende“ Wunden zu schlagen. Fehlen noch zwei Prestigeklassen, nämlich der „Crimson Hound“ (Strahds Wächter, die mit ihrer furchterregenden Erscheinung ihre Gegner demoralisieren) und der „Tyrant Mage“ (die mit ihren Charm Person-, Suggestion- und Domination-Fähigkeiten aus ihren Opfern jede gewünschte Information herausquetschen können), sowie die magischen Gegenstände im Besitz der Familie: z.B. ein Kelch, der Heilung bringt, wenn man Blut aus ihm trinkt, oder das „Tome of Strahd“ (de facto ein „Book of Vile Darkness“).

 

Wenn man sich die Zusammenstellung der Familien so anschaut, dann fällt auf, dass es sich mit Ausnahme der Hiregaards und dem nicht mit Lykanthropie infizierten Teil der Reniers ausschließlich um Familien handelt, die der finsteren Seite der Kampagnenwelt zuzuordnen sind. Für Spieler, die einen Charakter aus einer dieser Familien spielen möchten, wirft das natürlich ein Problem auf, denn auch in Ravenloft wird eigentlich davon ausgegangen, dass die Spielercharaktere die „guten Jungs“ sind. Möchte ein Spieler also einen namhaften Charakter aus diesem Buch spielen, dabei aber nicht mit dem Rest seiner Gruppe anecken, dann ist entweder seine Auswahl sehr eingeschränkt oder er ist gezwungen, das „weiße Schaf“ der Familie zu spielen – und das Letzteres problematischer sein kann, als dem Spieler lieb ist, wird hier zumindest bei den Von Zarovichs sogar ausdrücklich erwähnt. Natürlich kann man sich auch einfach der meisten Prestigeklassen und Talente aus diesem Buch bedienen, ohne dabei notwendigerweise einer der Familien angehören zu müssen (wodurch aber andererseits auch deutlich wird, dass die Zuordnung von Prestigeklassen und Talenten zu Familien generell wenig Sinn macht), aber um LotB für Spieler so richtig interessant werden zu lassen, fehlen hier leider Familien, deren Mitglieder überwiegend der Seite des Guten angehören (Weathermay? Foxgrove? Kolyana? Van Richten?).

 

Anhang: A Rogues’ Gallery (22 Seiten)

Insgesamt 13 NSC werden hier aufgeführt, allesamt Mitglieder der Familien, die in diesem Buch enthalten sind, und häufig auch die Protagonisten aus den Flavortexten der jeweiligen Familienbeschreibung: Bevel Boritsi (ältester Sohn von Anton und Neffe von Ivana Boritsi), James Mousel (Neffe von Dominic d’Honaire), Celeste d’Honaire-Loverde (Nichte von Dominic d’Honaire), Andrei Palasçu und Rodjan Dilisnya (beide Außenseiter des Dilisnya-Clans, wenn auch jeweils auf gänzlich andere Art und Weise), Sir Viktor Helsinger (einer der unehelichen Söhne von Vlad Drakov), Michael Jendalis (Sohn von Pernella Weathermay mit Godefroy-Blut in den Adern), Narana Hiregaard (Enkelin von Sir Tristen Hiregaard), Artisa Juvenoth (die vermisste Eva Mordenheim), Javier Renier (entfernter Vetter von Jacqueline Renier aus dem Zweig ohne Lykanthropie), Louise Renier (die Zwillingsschwester von Jacqueline Renier), Talena von Zarovich (eine entfernte Kusine von Strahd von Zarovich) und Andrez Weissritter (ein Paladin mit Von Zarovich-Blut).

Der Anhang liefert nun endlich einen Teil dessen, was ich mir auch vom Rest des Buches gewünscht hätte, nämlich interessante Charaktere jenseits der hinlänglich bekannten Darklords. Jeder dieser NSC besitzt natürlich einen vollständigen Werteblock, aber auch eine ausführliche Beschreibung seiner Persönlichkeit, Motivation, momentanen Situation, seines Aussehens, Hintergrunds und Kampfverhaltens. Teilweise handelt es sich sogar um solche oben erwähnten „weißen Schafe“, die zwischen ihrer eigenen Weltanschauung und dem Vermächtnis ihres Blutes hin- und hergerissen sind, und die durch diesen Umstand eine erfreuliche Tiefe besitzen und geradezu danach schreien, in einer Ravenloft-Kampagne zum Einsatz zu kommen. Warum nicht gleich so?

 

Fazit

Ich muss gestehen, dass ich von diesem Buch nach dem ersten Durchblättern maßlos enttäuscht war. Bei einem Band über die großen Familien Ravenlofts ist das Letzte, was ich erwartet habe und mir gewünscht hätte, dass es sich wieder einmal fast nur um ein Sammelsurium aus Talenten, Prestigeklassen, Zaubern und magischen Gegenständen handelt – also ein verkapptes Crunch-Buch. Nun, diese Enttäuschung ist inzwischen Ernüchterung gewichen, aber auch unter objektiven Gesichtspunkten fällt es mir schwer, einen potenziellen Interessentenkreis zu bestimmen, für den LotB ein lohnenswertes Buch sein könnte. Spielleiter erhalten hier viel zu wenige neue, konkrete Hintergrundinformationen, die für die eigene Kampagne verwertbar wären, stattdessen einen Baukasten für NSC. Für Spieler wäre dieser Baukasten sicherlich interessant, wenn die Auswahl der Familien nicht so einseitig böse wäre. Was soll man also mit diesem Buch anfangen? Wenn man sich den ganzen Kontext mit den Familien einfach mal wegdenkt, dann erhält man hier zumindest eine recht ansehnliche Sammlung von Prestigeklassen, die – das muss man unumwunden zugeben – toll zum Ravenloft-Setting passen (der Zusammenhang mit den Familien ist nicht zwingend gegeben – viele dieser Prestigeklassen hätten genauso gut in einem der Ravenloft Gazetteers über die jeweilige Domäne stehen können). Auf die Talente trifft dies nur sehr eingeschränkt zu, ebenso auf die magischen Gegenstände. Anders sieht es mit den im Anhang vorgestellten NSC aus: Die gefallen mir wiederum wirklich sehr gut. Leider reicht das nicht aus, um für LotB guten Gewissens eine Kaufempfehlung aussprechen zu können, zumal hier das eigentliche Thema irgendwie völlig verfehlt wurde. Wirklich schade.