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Dungeon Twister - Basisspiel
Bewertung:
(4.3)
Von: Ralf Schemmann
Alias: Uthoroc
Am: 05.11.2006
Autor:Christophe Boelinger
Typ:Brettspiel
System:Brettspiel
Setting:Targanum (DT Universum)
VerlagPro Ludo
ISBN/ASIN:
Inhalt:8 Dungeonräume, 2x8 Charakteraufsteller, 2x8 Charaktercounter, 2x6 Gegenstände, 2x16 Karten, 2 Sichtschirme und mehr
Sprache:Deutsch

Übersicht

2004 in Frankreich veröffentlicht, hat Dungeon Twister inzwischen seinen Weg auch in den deutschen und englischen Sprachraum gefunden. 2005 erschien es bei Pro Ludo in Deutschland, und 2006 wurden die ersten Offenen Europäischen Meisterschaften auf der Spiel'06 in Essen ausgetragen.

 

Auf den allerersten Blick scheint Dungeon Twister ein Dungeon-Crawl-Spiel in der Tradition von Heroquest zu sein, aber sobald man etwas genauer hinschaut, erkennt man, dass dieser Eindruck täuscht. Stattdessen handelt es sich um ein sehr taktisches Zweierspiel, das sehr wenige Glückselemente enthält und mit einer Spielzeit von 45 bis 90 Minuten deutlich unter der üblichen Dauer typischer Dungeon-Spiele liegt.

 

Es treten zwei identische Gruppen von acht Abenteurern und Monstern gegeneinander an, die jeweils versuchen, die gegnerischen Charaktere zu schlagen oder über die gegenüberliegende Seite des Spielbretts aus dem Dungeon zu entkommen. Wer zuerst 5 Siegpunkte erreicht, hat gewonnen, wobei prinzipiell gilt, dass jeder entkommene Charakter und jeder besiegte Gegner einen Siegpunkt zählt (zu Ausnahmen später mehr).

 

Durch die identischen Spielfiguren und symmetrischen Siegbedingungen der beiden Spieler hat das Grundprinzip des Spiels mehr mit Schach oder Dame zu tun, als mit Heroquest oder Descent. Das heißt jedoch nicht, dass Dungeon Twister ein „trockenes“ und abstraktes Strategiespiel ist. Im Gegenteil, der Spielablauf gestaltet sich sehr abwechslungsreich und bunt.

 

 

Das Spielmaterial

In diesen Zeiten der von Plastik überbordenden Mega-Spiele nimmt sich der Umfang und die Ausstattung von Dungeon Twister eher bescheiden aus. Die Box kommt in der Größe alter Rollenspielboxen daher (leicht über A4, relativ niedrig) und enthält neben einem 15-seitigen Regelheft allesamt auf feste Pappe gedruckte Dungeonräume, Charaktere, Gegenstände, Sichtschirme und Marker auf vorgestanzten Pappbögen. Die Pappe ist dick und stabil und verspricht eine gute Haltbarkeit. Allerdings ist die Vorstanzung mangelhaft und man sollte beim Herauslösen sehr vorsichtig sein, um die bedruckte Oberfläche nicht zu beschädigen.

 

Das Grafikdesign ist durchgehend hervorragend. Die Illustrationen und Charakterbilder sind in einem schönen, leicht comicartigen Steampunk-Stil gezeichnet, klar zu erkennen und leicht zu unterscheiden. Die eine Partei ist in einem dunklen Blau gehalten, die andere in einem kräftigen, aber nicht aufdringlichen Orange. Persönlich finde ich die Farbgebung ausgezeichnet, wenn es auch Stimmen im Internet gibt, die sie als etwas zu bunt empfinden.

 

Die Charakterfiguren werden nach dem Herauslösen in Plastikbasen gesteckt und so aufgestellt auf dem Spielplan verwendet. Das ist zwar nicht ganz so ansehnlich und plastisch wie Zinn- oder Plastikminiaturen, ist aber wesentlich preisgünstiger und im Spiel praktischer, da auch die Spielwerte der Figuren auf die Pappe aufgedruckt sind.

 

Jeder Spieler erhält einen Satz runder Spielmarken, die seine Charaktere (im verwundeten Zustand) und Gegenstände repräsentieren, und einen Sichtschirm für die geheime Startaufstellung, der nach Beginn des Spiels nicht mehr benötigt wird und dann als Referenzblatt fungiert.

 

Der Spielplan wird in jeder Partie zufällig (und zu Beginn verdeckt) aus den 8 quadratischen Dungeonräumen zusammengelegt. Jeder Raum zeigt ein kleines Labyrinth aus Wänden, Gruben, Fallgittern und Rotationsmechanismen. Jeweils 2 Räume sind farblich klar miteinander verbunden. Auch hier verbindet das grafische Design stimmungsvolle Aufmachung und klare Funktionalität in sehr ansprechender Weise.

 

Insgesamt gefällt mir die materialtechnisch einfache, aber grafisch aufwändige Produktion des Spiels sehr gut. Es ist leicht zu transportieren, nimmt nicht viel Platz weg und ergibt aufgebaut doch ein hübsches Bild. Der preisliche Vorteil gegenüber Megaspielen wie Descent, Ringkrieg oder World of Warcraft ist immens. Wer jedoch auf eine sehr üppige Ausstattung seiner Spiele mit ausufernden Spielbrettern und vielen Miniaturen Wert legt, wird vielleicht etwas enttäuscht sein.

 

Zum Abschluss ein ein bisschen trauriges Wort zu den deutschen Regeln. Zwar sind sie nicht besonders lang und mit zahlreichen Beispielen illustriert, aber bei der Übersetzung haben sich mal wieder ein paar Fehler eingeschlichen. So ist die Liste der Dinge, die man bei der Bewegung tun darf oder nicht, widersprüchlich und der Gegenstand „Seil“ ist in den Beispielen durchgängig fälschlich mit dem Marker „Schwert“ illustriert. Und auch insgesamt liest sich der deutsche Text eher holprig. Ich würde mir bei der Übersetzung fremdsprachiger Regeln wirklich mehr Sorgfalt der deutschen Verlage wünschen. Ein FAQ oder aktualisiertes Regelwerk gibt es von Pro Ludo bisher nicht.

 

Das Spielprinzip

Bei Dungeon Twister besitzen beide Spieler genau die gleichen Charaktere und Gegenstände. Eine „Mannschaft“ besteht aus Diebin, Krieger, Magier, Kleriker, Troll, Goblin, Wand-Läuferin (ja, kein Tippfehler, nicht Waldläuferin) und Mechanork. Als Gegenstände stehen Seil, Schwert, Rüstung, Feuerballstab, Schatz und Schnelligkeitstrank zur Verfügung.

 

Zu Beginn werden die 8 Dungeonräume gemischt und verdeckt zu einem Feld von 2x4 Räumen ausgelegt. Die Spieler legen ihre Startzonen an den gegenüberliegenden Schmalseiten des so entstandenen Bretts an und entscheiden sich geheim für je 4 ihrer Charaktere, die sie auf diesen Startzonen platzieren. Die restlichen Charaktere und alle Gegenstände werden nun abwechselnd von den Spielern verdeckt auf den Räumen platziert. Sie kommen erst ins Spiel wenn die entsprechenden Dungeonräume erkundet (d.h. umgedreht) werden.

 

Dann beginnt das eigentliche Spiel. Wenn ein Spieler an der Reihe ist, spielt er eine von 4 Aktionskarten, die ihm 2, 3, 4 oder 5 Aktionspunkte geben. Eine einmal gespielte Karte bleibt auf dem Tisch liegen, bis er keine mehr auf der Hand hat, dann nimmt er sie alle wieder auf. So hat jeder Spieler in einem Kartenzyklus 14 Aktionspunkte zur Verfügung, aber in was für „Blöcken“ er sie anwendet, ist variabel.

 

 

Mit den Aktionspunkten kann er Züge auf dem Brett ausführen. Für einen Punkt kann er

• einen Raum erkunden (umdrehen) wenn eine seiner Figuren angrenzend zu diesem steht,

• eine Figur entsprechend ihrer Bewegungsweite ziehen (von 2 für den Troll bis 5 für die Diebin),

• mit einer Figur einen benachbarten Gegner angreifen,

• die Spezialfähigkeit eines Charakters verwenden,

• die Spezialfähigkeit eines Gegenstandes verwenden,

• oder einen Raum oder sein Gegenstück drehen, wenn eine eigene Figur auf dessen Rotationsmechanismus steht.

 

Ziel ist, seine eigenen Charaktere auf die Startzone des Gegners und damit aus dem Dungeon zu bringen oder die gegnerischen Figuren im Kampf zu besiegen. Beides gibt jeweils einen Siegpunkt für eine Figur, mit der Ausnahme des Goblins, der beim Entkommen aus dem Dungeon 2 Punkte wert ist. Außerdem gibt der Schatz einen Extrapunkt, wenn er aus dem Spiel gebracht wird.

 

Man sieht schon, dass man längst nicht die gesamte Truppe aus dem Labyrinth führen muss. Häufig reichen zwei bis drei Entkommene plus ein paar getötete Gegner für den Sieg. Es kommt also darauf an, seine Figuren taktisch geschickt zu bewegen, so dass sie anderen Figuren das Entkommen ermöglichen, gegnerische Figuren blockieren und schwächere Gegner angreifen und besiegen können. Dabei behindern Gruben, Wände und Fallgitter, die sich teilweise mit Gegenständen (z.B. Seil) und Spezialfähigkeiten der Charaktere (z.B. der Diebin) überwinden lassen, den Weg der Charaktere.

 

Dabei kann ein Charakter immer nur einen Gegenstand tragen, was regelmäßig zu schwierigen Entscheidungen führt: Lässt mein Goblin jetzt eine schöne Rüstung liegen, weil er das Seil braucht, um über die nächste Grube zu klettern? Nimmt die Diebin den Schatz mit, der ihr zwar direkt nichts nützt, aber bei ihrem Entkommen einen zusätzlichen Siegpunkt bringt? Gegenstände sind übrigens nicht auf eine Seite beschränkt, man kann auch die des Gegners verwenden, wenn man sie findet.

 

Die Kämpfe sind ziemlich einfach und absichtlich recht berechenbar gehalten. Jede Figur hat einen Kampfwert (von 1 für den Goblin bis 4 für den Troll), die im Kampf miteinander verglichen werden. Dazu spielt jeder Spieler eine Kampfkarte, von der er einen Satz mit Werten von +0 bis +6 hat. Wer insgesamt das höhere Ergebnis hat, gewinnt und verwundet den Gegner. Ein verwundeter Charakter kann sich nicht mehr bewegen und handeln. Wird er in einer späteren Runde nochmal besiegt, stirbt er.

 

Der Clou ist, dass einmal gespielte Kampfkarten (außer der +0) aus dem Spiel sind. Nur einmal im Spiel kann ich also meine beste Karte (+6) verwenden. Daraus ergibt sich eine Kombination aus Bluff und Gedächtnisspiel (welche Kampfkarten hat mein Gegner noch auf der Hand?), die den Kampf spannend halten.

 

Verwundete Charaktere können zwar von anderen Figuren ihrer Farbe durch die Gegend geschleppt werden, aber nur der Kleriker kann sie heilen (bis auf den Troll, der sich regenerieren kann). Das macht den Kleriker zu einer sehr wichtigen Figur, auf die man gut aufpassen muss. Da er sich selbst nicht heilen kann, sind die Möglichkeiten zur Heilung verloren, wenn er selbst verwundet wird. Aber auch mit einem verlorenen Kleriker kann man das Spiel durchaus noch gewinnen.

 

Ein anderer zentraler Mechanismus des Spiels, vom dem es auch seinen Namen hat, ist die Drehbarkeit der Räume. Jeder Raum besitzt ein Feld mit einem Rotationsmechanismus. Wenn dort ein Charakter steht, kann er für einen Aktionspunkt den Raum um 90° in Richtung des Mechanismus drehen – oder auch das farbliche Gegenstück des Raumes. Da sich alle Charaktere und Gegenstände auf den Räumen natürlich mitdrehen, eröffnen diese Spielzüge häufig völlig neue Möglichkeiten. Um sie zu erkennen, braucht man jedoch ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen, denn man darf eine Drehung nicht ausprobieren und muss sie sozusagen „im Kopf“ durchspielen. Ich würde sogar behaupten, das Beherrschen der Rotationsmechanismen und das Erkennen von deren Möglichkeiten sind die Schlüssel zum Sieg in Dungeon Twister.

 

Durch die Vielzahl an Möglichkeiten, die man hat, seine Aktionspunkte zu verwenden, besteht die Gefahr, dass das Planen eines Zuges überhand nimmt, und das Spiel in Grübeln über dem Brett erstarrt, wenn die Spieler versuchen den absolut optimalen Zug zu finden. Persönlich hatte ich den Effekt in meinen Partien noch nicht, aber ich kenne Spieler, bei denen es sicherlich zum Problem werden könnte. Die Regeln empfehlen, in diesem Fall einen Timer zu verwenden, der einem Spieler 2 Minuten Zeit für einen Zug gibt. Dadurch kommt sicherlich ein zusätzliches Element von Spannung und Dramatik ins Spiel.

 

Abschließend will ich sagen, dass durch die Spezialfähigkeiten der Charaktere (z.B. kann die Wand-Läuferin für einen Aktionspunkt durch eine Wand gehen) und die verschiedenen Gegenstände (z.B. gibt der Schnelligkeitstrank einmal einem Helden 4 zusätzliche Aktionspunkte) sehr viel Atmosphäre und Abwechslung ins Spiel kommt. Es gibt immer so viele Möglichkeiten, dass der Zug des Gegners nicht wirklich vorhersehbar wird. Aber dadurch, dass dieser nur über eine geringe Anzahl Aktionspunkte pro Zug verfügt, bleibt mein nächster Zug durchaus planbar. Die Verteilung der Räume am Anfang, das versteckte Auslegen der Gegenstände und einiger Charaktere und die verdeckten Kampfkarten verändern das Spiel von Mal zu Mal so stark, dass keine Partie gleich einer anderen ist.

 

Noch eine Anmerkung: Von manchen wird Dungeon Twister im Internet als Fantasy-Schach bezeichnet. Obwohl ich oben den Vergleich mit Schach oder Dame angestellt habe, kann ich dem nicht wirklich zustimmen. Es sind genug Zufallselemente und Unwägbarkeiten enthalten, dass ein, wenn auch kleines, Glückselement erhalten bleibt. Dadurch unterscheidet Dungeon Twister sich entscheidend von sogenannten „Perfect Information“-Spielen wie Schach.

 

Erweiterungsmöglichkeiten

Noch ein paar Worte zu den Ausbaumöglichkeiten von Dungeon Twister. Für das französische Original sind bereits zahlreiche Erweiterungen mit neuen Charakteren, Gegenständen, Dungeonräumen und Regeln erschienen, und auch auf deutsch ist die erste Erweiterung „Paladine & Drachen“ erhältlich. Mit diesen hat man die Möglichkeit, die Abenteurergruppe, mit der man das Spiel bestreitet, dynamisch zusammen zu stellen. Auch verschiedene Szenarien mit unterschiedlichem Aufbau des Bretts gibt es in diesen Zusatzboxen und im Internet. Eine 3-4-Spieler-Erweiterung ist in französisch erhältlich und in deutsch angekündigt.

 

Außerdem gibt es inzwischen von Fenryll Miniaturen zum Spiel, die die Charaktere in vollem 3D zeigen. Auch Dungeonräume in 3D zum Anmalen sind in Arbeit.

 

Nichts von dem braucht man jedoch unbedingt, um eine Partie Dungeon Twister zu genießen. Das Basisspiel funktioniert hervorragend so wie es ist. Es gibt das Basisspiel auch in einer Collector's Box, die zusätzlich einen weiteren Charakter (die Amazone) und beide Grundteams als Plastikminiaturen enthält (nicht die Amazone). Sie ist in der Auflage beschränkt und enthält ein Echtheitszertifikat, kostet aber auch fast das dreifache des einfachen Basisspiels. Ob dieser Inhalt den hohen Preis wert ist, muss jeder selber entscheiden.

 

Fazit

Wenn man einen Spielpartner hat, mit dem man gerne eine nicht allzu lange Partie eines taktischen „Brainteasers“ zockt, sind die 21 bis 25 Euro, die man für Dungeon Twister zahlen muss, eine hervorragende Investition. Das Spiel ist schön gestaltet und erzeugt eine gute Atmosphäre von Spannung und Klaustrophobie während man versucht, seine kostbaren Charaktere vor dem Gegner zu schützen und aus dem Labyrinth zu manövrieren. Eine Partie wird selten länger als 90 Minuten dauern - und wenn doch, kann man sie gut mit einem Timer reduzieren. Wer sich tiefer in das Spiel stürzen möchte, dem steht eine große Auswahl von Erweiterungen zu Verfügung (oder werden zur Verfügung stehen).

 

Wer jedoch eher auf Dungeon-Crawl-Brettspiele mit mehr Figuren, Heldengruppen im Kampf gegen Monster und längerer Spieldauer steht, der ist mit diesem Spiel nicht richtig beraten. Auch sollte man bedenken, dass es kein Glücksspiel ist. Würfel gibt es gar keine und allgemein wird das Zufallselement auf ein Minimum beschränkt. Man muss bereit sein, sich gelegentlich die Gehirnwindungen etwas zu verknoten, um das Spiel zu genießen.

 

Bei uns wird Dungeon Twister sicherlich häufiger den Weg auf den Spieltisch finden, um lange Winterabende zu versüßen. Ich gebe dem Spiel eine 4.0 für ein rundherum gelungenes Design abzüglich ein paar Kleinigkeiten bei der Produktion und den deutschen Regeln, plus 0.3 Punkte für ein paar wirklich herausragend clevere Ideen wie das Drehen der Dungeonräume.