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Dragon Lords of Melniboné
Bewertung:
(3.7)
Von: Daniel Heymann
Am: 15.11.2003
Autor:Charlie Krank, Lynn Willis, Richard Watts
Typ:
System:d20
VerlagChaosium Inc.
ISBN/ASIN:
Inhalt:208 Seiten, Softcover
Sprache:Englisch

Dragon Lords of Melniboné

Dragon Lords of Melniboné basiert auf den Erzählungen von Michael Moorcocks Elric-Saga und stellt das einzige Kampagnensetting für D20 und D&D bis dato dar, welches sich in seinen Wurzeln auf eine Romanvorlage berufen kann. Die mittlerweile beinahe dreißig Jahre andauernde Elric-Saga umfaßt in ihrem Kern neun Romane von Michael Moorcock, die auch in dem Kampagnensetting verarbeitet wurden. In der langen Historie der Saga wurde die Geschichte bereits mehrfach als Basis für ein Rollenspiel herangezogen, wobei das bereits angegraute Stormbringer langsam dem neuen ELRIC! (welches Chaosium als D100-System bezeichnet) weichen muß. Das eigentliche Hauptsystem rund um die Welt der jungen Königreiche geht im Sommer diesen Jahres in die zweite Edition, so daß Chaosiums Ausflüge in die Welt von D20 eher eine Ausnahme bleiben werden. Dies legt die Vermutung nahe, daß Dragon Lords of Melniboné mehr ein Werbeprodukt für das eigentliche ELRIC! ist, als eine ernstgemeinte Initiative die Welt aus Moorcocks Romanen langfristig als D20-Kampagne anzubieten.

 

Das Buch selbst kommt in gewohnter Kampagnenbandstärke von immerhin 200 Seiten daher und wird als schwarz-weiß gedrucktes Softcover angeboten. Auf den ersten Blick, fallen die recht zahlreich im Buch untergebrachten Illustrationen auf, die aus vielen Jahren Sturmbringer und ELRIC! resultieren. Viele der verwendeten Illustrationen bebildern somit ein wenig auch die Geschichte dieser beiden Systeme, wobei ein Teil der Zeichnungen aus Übersetzungen von Chaosium Vorlagen stammen, deren Künstler dem Verlag selbst nicht mehr bekannt sind. Die Illustrationen rangieren somit von sehr einfachen Zeichnungen in recht klassischem Stil zu sehr aufwendigen Illustrationen, wobei Lineart und Bleistiftzeichnungen sehr gemischt Verwendung finden. Die Qualität der Illustrationen ist unterschiedlich ? einige Zeichnungen vermitteln durchaus den Flair von Rollenspielpublikationen der frühen 80er Jahre. Der Zeichensatz ist gut lesbar, wenn auch heutzutage eher kleinere und dichter gesetzte Schriftsätze verwendet werden. Durch die zahlreichen, teilweise freigestellten Illustrationen wird das sonst sehr klassische und steife zweispaltige Layout des Buches ein wenig aufgelockert, wobei das ganze dennoch ein wenig antiquiert wirkt. Die Weltkarte der jungen Königreiche ist leider sowohl von ihrer Druck- wie auch ihrer Zeichenqualität sehr einfach geraten und auch nicht sonderlich groß ausgefallen. Einige Detailkarten und Ausschnittsvergrößerungen würden das Leben des Spielleiters deutlich vereinfachen.

 

Die Welt des Settings ist die Welt von Elric, dem 428ten Herrscher von Melniboné. Seit mehr als 20.000 Jahren regieren die Melnibonéans, gestärkt durch die Macht des Chaosfürsten Arioch, über alle anderen Völker mit eiserner Hand. Im Laufe der Jahrtausende wurden die Herrscher immer dekadenter und auch wenn die ersten Versuche ihrer Vasallen ihre Freiheit zu erlangen blutig niedergeschlagen wurden, gelang es immer mehr Reichen der Menschen, sich ihrer Unabhängigkeit zu versichern. Gehaßt für ihre rücksichtlose Unterdrückung und Ausbeutung, gefürchtet für ihre unübertroffene Macht über die Kräfte der Magie und ihre Herrschaft über die Drachen von Melniboné, waren jedoch nur sie selbst in der Lage, ihrer grausamen Herrschaft ein Ende zu setzen. Zerfressen von Dekadenz, war es ihr eigener Herrscher, der nach langen Reisen in den Ländern der neuen Königreiche, den Fall des alten Reiches herbeiführte, als er bei seiner Heimkehr von seinem Cousin als Verräter gebrandmarkt wurde. Unter der Führung von Elric zerstört die Flotte der neuen Reiche die träumende Stadt, das Zentrum der Melnibonéanschen Macht und Elrics eigene Heimat. Die neuen Königreiche müssen nun ihre grausamen Herrscher nicht mehr fürchten und eine wahre Renaissance bricht über die Welt der jungen Reiche herein ? in dieser Zeit ist das Kampagnensetting angesiedelt. Das Setting selbst bietet eine ungewöhnliche Stimmung, da es auf die klassische Trennung von Gut und Böse verzichtet, was besonders auch in der wichtigsten Figur Elric zum Tragen kommt: Geboren in einem schwachen Körper, kann Elric sein Schicksal nur durch die Hilfe seines Schwertes, Sturmbringer, erfüllen, welches ihm zum Preis der Seelen der Erschlagenen die Macht gibt, sein Leben immer wieder zu erhalten und zu verlängern. Sein Leben ist gekennzeichnet von Tragik, Verrat und Schmerz, denn obwohl Elric versucht, sich dem Chaos und auch Sturmbringer zu verwehren, wird er dennoch immer wieder ein Opfer seines Schicksals und muß hilflos mit ansehen, wie seine einzige und wahre Liebe durch seine Hände den Tod findet. Elric ist bezeichnend für die gesamte Welt, die sich gerade durch die Stimmung deutlich von anderen Kampagnen unterscheidet ? Gut und Böse verschwimmen hier miteinander, wobei der Spielleiter selbst Schwierigkeiten haben wird, die wahre Stimmung der Saga auf den Spieltisch zu transferieren, wenn er die Romane nicht gelesen hat.

 

Betrachtet man sich das Buch inhaltlich, bekommt man so einiges geboten, was sicherlich der berühmten Romanvorlage zu verdanken ist. Dankbarerweise wird zunächst ein Überblick über die Saga von Elric und seinem legendären Schwert Sturmbringer gegeben, damit auch Spieler und Spielleiter, die sich noch nicht mit Moorcocks Werken auseinandersetzen konnten, einen direkten Einstieg in die Welt finden können. Anschließend folgt eine Übersicht über die Welt der jungen Königreiche, wobei sowohl für das Zentrum der Welt Melniboné, wie auch für die drei Hauptkontinente nur jeweils wenige Seiten zur Verfügung stehen. Da die Elric-Saga einige Änderungen und Abweichungen von klassischen D&D- oder D20-Kampagnen aufweist, folgen anschließend die zahlreichen Sonderregeln und Erweiterungen, um eine Elric-Kampagne spielen zu können. Drei neue Rassen ersetzen alle nichtmenschlichen des D20-Systems, die in den jungen Königreichen nicht bekannt sind. Während die Melnibonéans und die Halb-Melnibonéans in ihrer Physiologie ein wenig an Elfen erinnern, muten die Myyrrhn eher als Menschen mit Adlerflügeln an. Neben den drei neuen Rassen, werden die menschlichen Völker der neuen Königreiche und ihre Heimatländer vorgestellt. Um dem zentralen Thema der Saga, dem Kampf zwischen Ordnung und Chaos gerecht zu werden, werden für das Kampagnensetting neue Regeln eingeführt, die die Zugehörigkeit der Charaktere zu den einzelnen Aspekten meßbar machen und in Zusammenhang zum Spielgeschehen setzen. Dies geht so weit, daß einem Charakter die Gelegenheit gegeben wird, sich bis zum Champion von Ordnung, Chaos oder dem Gleichgewicht entwickeln zu können. Die Vorstellung der Herren der Ordnung und des Chaos und vor allem erweiterte Regeln für den Umgang mit Dämonen und Magie versuchen, das notwendige Flair der Saga auf das D20-System zu portieren. Es folgt ein im Vergleich zu anderen Bereichen des Buches recht ausführliches Bestiarium, welches auch die wichtigsten Charaktere der Saga, unter anderem auch Elric selbst, beinhaltet. Dieser Bereich nimmt fast ein Drittel des Buches ein, was ein wenig üppig erscheint, vor allem, wenn man bedenkt, daß es bereits zahlreiche Quellen für Monstrositäten gibt. Diesen Platz hätte man besser für eine tiefergreifende Beschreibung der Völker und Länder der jungen Reiche verwenden können. Die abschließenden Worte an den Meister mit Hinweisen, wie eine Kampagne in den jungen Königreichen geleitet werden kann, kommt etwas kurz und bietet wenig Anhaltspunkte, um die doch sehr weitgefächerten Informationen zu einer wirklich stimmungsvollen und atmosphärischen Kampagne verdichten zu können.

 

Abschließend betrachtet muß man Dragon Lords of Melniboné eine ungewöhnliche Atmosphäre bescheinigen, die die Welt deutlich von anderen Kampagnen abhebt. Ein Studium der Romane ist jedoch in jedem Fall zu empfehlen, wodurch die Welt noch deutlich an Tiefe gewinnt. Das Buch selbst bietet nur einen sehr groben Abriß der Welt, wobei sehr viel Platz für Regelerweiterungen und -änderungen und vor allem auch das Bestiarium aufgeboten wird, was die eigentlichen Zentralaspekte eines Weltenbuches ein wenig in den Hintergrund gleiten läßt. Gerade in der Beschreibung der Welt, der verschiedenen Reiche und seiner Bewohner wird das Buch der Romanvorlage nur bedingt gerecht. Hier fehlt es deutlich an Tiefe und vor allem auch an einem roten Faden, denn die Präsentation in diesem Bereich versteht es nicht, ein homogenes und in sich schlüssiges Bild zu zeichnen, worunter die Atmosphäre deutlich leidet. Die solide Präsentation bietet wenig Innovation und erinnert ein wenig an ältere Publikationen, beinhaltet jedoch auch keine wirklichen Schwachstellen.

 

Der Kampagnenband lebt in erster Linie von der berühmten Vorlage und von den vorangegangenen Publikationen zu Sturmbringer und ELRIC!, ohne jedoch wirklich rund zu wirken. Bedenkt man, daß ELRIC! eigentlich die rollenspieltechnische Umsetzung der Moorcock Romane darstellt, bleibt zu befürchten, daß der D20-Ableger in Zukunft wenig Aufmerksamkeit erhalten wird, was Folgepublikationen angeht.