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Peter Pan 4 - Rote Hand
Bewertung:
(4.2)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 26.01.2010
Autor:Régis Loisels
Übersetzer:Eckart Sackmann
Typ:Graphic Novel – Peter Pan
VerlagEhapa Comic Collection
ISBN/ASIN:978-3-7704-0843-6
Inhalt:62 Seiten, Softcover
Preis:10,00 EUR
Sprache:Deutsch

An Interpretationen von James Mathew Barries legendären Kinderbuchklassiker „Peter Pan“ gab es seit seinem Erscheinen bzw. seit seiner Premiere als Theaterstück noch nie einen Mangel. So schließt sich auch der Autor und Zeichner Régis Loisel diesem Reigen an, wobei er sich allerdings für seine Interpretation in einer kurzen Widmung bei der klassischen Disney-Verfilmung des Jahres 1953 bedankt und seine Adaption als lediglich „frei inspiriert“ durch die Charaktere des schottischen Autors Sir James Matthew Barrie bezeichnet.

 

Doch was Régis Loisel in dieser vierten auf sechs Bände angelegten Comicadaption zeigt, ist eine gänzlich neue und andere Version der Geschichte, wie man sie aus den bislang erschienenen Büchern, Verfilmungen und Theateradaptionen kennt: Mit der Fassung von Loisel bekommt der Leser den Auftakt für ein mal poetisches, mal trauriges, aber in jeder Hinsicht epochales Comic-Kunstwerk in die Hände gelegt.

 

Inhalt (Achtung: Spoiler!):

Am Ende des dritten Bandes „Sturm“ ist Peter nach London geflogen, um sich bei Mr. Kundal Rat einzuholen, wie man die Kugel aus der Brust von Pan operieren kann. Der vierte Band schließt sich hier nahtlos an und beginnt damit, dass Peter, der wieder auf die Insel zurückgekehrt ist, sich ans Werk macht. Alles scheint auch ohne Probleme zu funktionieren – die Kugel kann entfernt werden und müde legt sich Peter nach dem mühsamen Eingriff zur Ruhe. Am nächsten Abend wird Peter vom Heiler Merilin und den anderen Inselbewohnern geweckt, die ihm mitteilen, dass Pan nach der Entfernung der Kugel schweres Fieber bekommen hat und verstorben ist. Gemeinsam mit den anderen Inselbewohnern trauert er um den Toten. Als Erinnerung schnitzt er seinen Namen und den von Pan in einen Baumstamm: Peter Pan. Dabei verletzt sich Peter allerdings an der Hand, so dass sein und Pans Blut, das immer noch an seinen Händen klebt, sich vermischen und über den geschnitzten Namenszug laufen.

 

Doch dann holt Peter seine Erinnerung wieder ein und er erinnert sich an die Mahnung von Mr. Kundal, dass er sich vor der Operation die Hände waschen und das chirurgische Besteck in heißem Wasser abkochen soll – keins von beidem hat er getan! Peter macht sich deswegen schwere Vorwürfe und sieht sich verantwortlich für den Tod von Pan und läuft in den Wald davon. In seiner Verzweiflung und seinem Wahn macht er seine Hand für dieses tragische Missgeschick verantwortlich – voller Wut schlägt er brutal mit einem Ast auf seine Hand ein, die er als „Mörderin“ beschimpft.

 

Die verletzte Hand von Peter entzündet sich und lockt bereits Fliegen an, als er von Indianern gefunden wird. Dank der Fürsprache von Tigerlilly wird Peter versorgt und zu den Inselbewohnern zurückgebracht. Als die Indianer mit dem bewusstlosen Peter erscheinen, sind die anderen Inselbewohner damit beschäftigt, Vorbereitungen zu treffen, um den Leichnam von Pan zu verbrennen. Als Tigerlilly Peter zum Abschied einen Kuss geben möchte, kommt dieser wieder zu Bewusstsein und hält sich nach wie vor für den Tod von Pan verantwortlich, doch kann er glücklicherweise von seinen Freunden und Glöckchen davon überzeugt werden, dass nicht er Schuld am Tod von Pan hat, sondern diese alleine Kapitän Hook trägt, der den tödlichen Schuss auf Pan abgefeuert hat.

 

Die Abschiedszeremonie zu Ehren von Pan wird allerdings jäh durch einen Überfall der Piraten unterbrochen. Da Kapitän Hook seinen Schatz nicht erhalten hat, schwor er, mit allen Inselbewohnern abzurechnen und sie umzubringen, bevor er mit seinem Schiff die Insel verlässt. Nun beginnt er seine Abrechnung zunächst mit der Jagd auf die Nixen ...

 

Während die Inselbewohner und Indianer in das Geschehen eingreifen und die Piraten mit Pfeilen beschießen, fliegt Peter in Richtung von Kapitän Hook, um Rache für seinen toten Freund Pan zu nehmen. Dieser hat sich bei der Flucht vor dem Krokodil auf ein Wrackteil retten können und versucht nun verzweifelt, eines der Ruderboote der Piraten zu erreichen. Peter schlägt Hook mit einem Säbel die rechte Hand ab und wirft sie dem Krokodil zum Fraß vor. Somit hat Peter seine Rache bekommen und aus Freude beginnt er, laut an zu krähen. Die Piraten flüchten mit ihrem verletzten Kapitän und man sieht Peter, der zu Überresten des verbrannten Leichnams von Pan fliegt und sich eine Hand voll Asche nimmt, um sie zu essen – so wird Peter gewissermaßen mit dem toten Pan „vereinigt“. Noch in der gleichen Nacht wird sich Peter vollends seiner Situation bewusst und er nimmt einen neuen Namen an – Peter Pan!

 

Doch Peter Pan ahnt, dass sich Kapitän Hook mit Sicherheit für die neu erlittene Schmach rächen wird. Da die Indianer sich morgens von den Inselbewohnern verabschiedet haben, um in ihr Dorf zurückzukehren, ist von diesen erst einmal keine weitere Hilfe zu erwarten. Peter Pan erinnert sich allerdings an sein Versprechen, das er Schweinbacke gegeben hat, und fliegt erneut nach London, um seine Freunde aus dem Waisenhaus als Verstärkung auf die Insel zu holen. Angekommen in der Stadt trifft er nicht nur auf seine alten Freunde, sondern auch auf zwei andere Kinder, die er kurzerhand mitnehmen möchte. Noch während die Kinder miteinander reden, wird der Leser Zeuge, wie das erste Opfer von „Jack the Ripper“ in den Straßen von London gefunden wird.

 

Schreibstil & Artwork:

Der schottische Schriftsteller Sir James Matthew Barrie hat mit der Figur des Peter Pan einen Mythos erschaffen, der innerhalb kürzester Zeit nicht nur in der Literatur, sondern auch auf der Bühne oder in ihrer filmischen Umsetzung zum allgemeinen und internationalen Kulturgut avancierte. Dabei stand allerdings zumeist eine durchaus kindgerechte Fassung eines modernen Märchens im Vordergrund, die von einem Jungen berichtete, der nie erwachsen werden wollte.

 

Der Bretone Régis Loisel wurde 1951 in Saint-Maixent, Frankreich, geboren. 1972 erschien seine erste Veröffentlichung „Les Pieds Nickelés Magazine“. Im folgenden Jahr besuchte er an der Universität Vincennes Comiczeichenkurse, die insbesondere durch Jean-Claude Mézières („Valerian und Veronique") animiert wurden.

Größere Bekanntheit erreichte er mit Mitte der 80er Jahre mit dem Zyklus „Die Suche nach dem Vogel der Zeit“ nach einem Szenario von Segre Le Tendre, der in der Folgezeit für einige frankobelgische Fantasyreihen stilbildend wurde. Er illustrierte aber auch die sexuellen Fantasien des Autors Le Guirec im Comic „Freudenfeste“. 1991 erschien der erste Band seiner Adaption von „Peter Pan“, für das er unter anderem 1992 den „Max-und-Moritz-Preis“ der Stadt Erlangen erhielt. Erst im Jahr 2005 erschien der sechste und letzte Band der Reihe.

 

Insgesamt bleibt die Geschichte sehr spannend, da sie nicht zuletzt durch die kindlich-impulsiven Handlungen von Peter immer wieder neue Wendungen nimmt. Und so weiß Loisel auch im vierten Band der Reihe seinen Leser sehr wohl auf hohem Niveau zu unterhalten, zumal durch den Tod von Pan und seine „Wiedergeburt“ in Peter die Geschichte eine überaus unerwartete Wendung nimmt.

 

Den Weg bis dorthin weiß Loisel zum Teil sehr drastisch und dennoch einfühlsam darzustellen, von den Qualen, die Peter durchleidet, da er sich für den Tod seines Freundes Pan verantwortlich sieht, bis hin zu seiner Rache an Kapitän Hook. Wobei sich durch die Tat von Peter auf dem Wrack nunmehr auch klärt, wie der Pirat letztlich seine Hand verloren hat. Ob Peter Pan – nunmehr auf sich alleine gestellt und ohne seinen Mentor Pan – seiner Rolle gerecht werden kann, um als vermeintlicher Anführer die Insel zu „retten“, bleibt weiterhin offen. Doch scheint Loisel durch die geradezu rituelle Vereinigung von Pan und Peter einen neuen Peter Pan erschaffen zu wollen, der weit über eine bloße Neuinterpretation hinausgeht.

 

Als Autor nimmt Loisel allerdings auch einen weiteren, eher beiläufigen Handlungsfaden in seine Geschichte mit auf – die von Jack. Dieser Jack begegnet dem Leser am Ende des dritten Bandes zunächst als „Freier“ von Peters Mutter, die letztlich ermordet wird. Wer allerdings den Mord verübt hat, überlässt der Autor dem Auge und der Interpretation des Lesers. Zumindest dürfte dem aufmerksamen (und vielleicht auch interessierten Leser) eine mögliche Adaption von „Jack the Ripper“ in den Sinn kommen, die im vierten Band noch verstärkt wird, da die Person von „Jack the Ripper“ sogar namentlich auftaucht und Loisel sich die Mühe macht, mit einer Fußnote auf den Namen des ersten Opfers hinzuweisen! Welche Rolle diese Figurs im weiteren Verlauf der Geschichte von „Peter Pan“ erhalten soll, lässt der vorliegende Band allerdings offen.

 

Wenn man bedenkt, wie viele Jahre zwischen den einzelnen Bänden liegen, so erstaunt Loisel immer wieder durch sein Höchstmaß an Kontinuität bei den Bildern. Die Figuren mögen sich im Laufe der Geschichte weiterentwickeln, doch bleiben die Landschaft und die Charaktere ihrem bisherigen Stil grundsätzlich treu. Dabei legt Loisel auch mit diesem Band wieder ein Glanzstück seines Schaffens vor, in dem er sich immer wieder auch als Meister der Farbgebung zeigt: Die idyllische Insel mit den sanften und hellen Farben wechselt hart in das dunkle und verkommene London des ausgehenden 19. Jahrhunderts, mystische Gestalten wie Feen und andere Geschöpfe wechseln in verbrauchte und fiese Gesichter der Londoner Halbwelt.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung

In Sachen Qualität und Ausstattung habe ich mich bereits bei den vorhergehenden Bänden mit den immer gleichen Worten ausgelassen und muss mich auch beim vierten Band leider wiederholen:

Bei einem visuell bahnbrechenden Werk hätte ich mir eine etwas gediegenere Hardcoverausgabe mit einigen zusätzlichen Informationen zum Autor oder über die Hintergründe der Geschichte von „Peter Pan“ gewünscht – bedauerlicherweise erscheint die Neuauflage in der Ehapa-Comic-Collection allerdings nur als einfaches Softcover. Dennoch ist die Reihe qualitativ insgesamt gelungen, zumal der günstige Preis auch Neugierige vielleicht etwas schneller zugreifen lässt. Die sehr gute Übersetzung der Texte stammt wiederum von Eckart Sackmann.

 

Fazit:

Mit dem Tod von Pan erreicht die Geschichte zunächst einen traurigen Höhepunkt, den Loisel allerdings geschickt für sich zu nutzen weiß. Aus dem von Selbstvorwürfen zerfressenen Peter, der seinem toten Freund nachtrauert, gestaltet er die Konzeption einer gänzlich neuen Figur, die beide Akteure in sich aufnimmt und auf jeden Fall neugierig auf den weiteren Fortgang der Geschichte macht.

Ein echtes Lesevergnügen mit geradezu literarischem Niveau, wobei die optische Gestaltung dem Inhalt in nichts nachsteht. Die Geschichte von „Peter Pan“ aus der Feder von Loisel dürfte man nach den langsam deutlicher werdenden Geschehnissen wohl nunmehr nach dem vierten Band am ehesten in die Zeit vor der Geschichte von Barrie einordnen, da sie zeitlich vor seiner Erzählung liegt und dem Leser durch die Adaption von Loisel einige Dinge in gänzlich neuem Licht erscheinen – sei es die verlorene Hand von Hook oder aber auch der Wecker im Krokodil.

Für mich persönlich eine absolute Kaufempfehlung eines wahren Meisterwerkes – wenn auch die Ausstattung vielleicht noch etwas schöner hätte sein können.