Sharner Kobold Sharner Kobold

 

u
Reisende im Wind 3 - Handel mit schwarzer Ware
Bewertung:
(4.0)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 24.04.2010
Autor:Francois Bourgeon (Autor und Zeichner)
Übersetzer:Delia Wüllner
Typ:Comic / Graphic Novel
VerlagSplitter Verlag
ISBN/ASIN:978-3-86869-076-7
Inhalt:56 Seiten, Hardcover, übergroßes Albumformat (230 x 320 mm)
Preis:14,80 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt

Isa und ihre Gefährten müssen Frankreich verlassen, um vor den Nachstellungen ihrer Häscher sicher zu sein und so reisen sie gemeinsam an Bord des Schiffes „Marie-Caroline“ von Nantes aus ab. Doch das Schiff ist kein gewöhnliches Passagier- oder Frachtschiff, sondern ein Sklavenschiff, welches zunächst Kurs auf den Golf von Guinea an der westafrikanischen Küste einschlägt, um dort Sklaven für den Weitertransport und den Handel in den Kolonien aufzunehmen.

Auch wenn der überaus biedere Kapitän Boisbeauf die Überfahrt für seine Passagiere so kurzweilig wie möglich gestalten möchte, so kommt es doch Unweigerlich zu Spannungen zwischen Isa und Leutnant Bernadin, dem Beauftragten für den Sklavenhandel und einige hitzige Diskussionen zwischen den Beteiligten entflammen.

Das Schiff trifft in Dahomey (der heutigen Republik Benin) ein und es werden Anstalten für den ausstehenden Handel an Land getroffen. Isa und ihre Begleiter werden ebenfalls an Land gebracht und dort sehr schnell mit der grausamen Realität der vermeintlich stolzen Kolonien konfrontiert, die eher ein Sammelbecken für menschlichen Abschaum darstellen. Im Fort Saint-Louis de Grégory angekommen, machen die Reisenden Bekanntschaft mit ihren Gastgebern: Olivier de Montaguère, dem Vorsteher des Handelspostens und Estienne de Viaroux, seinem Buchhalter. Erfreut über die Gesellschaft von Damen haben Montaguère und Viaroux eine Wette abgeschlossen, ob dieser es schafft eine der Damen für sich zu gewinnen. Der Einsatz hierfür ist nicht gerade gering, geht es doch um die ausstehenden Spielschulden von Viaroux bei Montaguère.

Während sich der menschenverachtende Handel mit der „schwarzen Ware“ dahinzieht, stellt Viaroux – sehr zum Unmut von Hoel – Isa bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit nach. Doch diese möchte von diesem nichts wissen und weist dessen Avancen brüsk von sich. Währenddessen treibt die Unzufriedenheit John Smolett immer öfter zu heftigen Trinkgelagen mit seinen englischen Freunden im benachbarten Fort und selbst seine ansonsten recht lebensfrohe Frau Mary beginnt ihn langsam zu verabscheuen. Als einen der wenigen aufrechten Menschen lernt Isa Pater Forrissier kennen, dem es verboten wurde, die Bevölkerung zum Christentum zu bekehren und der selbst von den weißen Menschen im Fort Saint-Louis angewidert ist. An der Seite des Schiffsarztes Rousselot verfolgt Isa aufmerksam, wie unmenschlich die Händler bei der Auswahl ihrer „Ware“ vorgehen und wird Zeuge, wie die Sklaven mit einem Brandzeichen gekennzeichnet werden.

 

Da die Zeit drängt und seine bisherigen Versuche erfolglos waren, greift Viaroux schließlich zum äußersten. Er beauftragt seinen Diener Sognigbé damit Hoel ein Gift zu verabreichen, welches ihn außer Gefecht setzen soll, damit er ungestört Isa nachstellen kann. Es dauert nicht lange und Hoel erkrankt ernsthaft. Glücklicherweise kann ihr Pater Forrissier helfen, der Isa von den Gerüchten erzählt, Viaroux und Montaguère hätten eine Wette auf sie abgeschlossen. Da Viaroux einen Diener namens Sognibé besitzt, der sich mit den Künsten des Vooduno auskennt, dürfte die Erkrankung von Hoel vielleicht damit im Zusammenhang stehen.

 

Und schon bald stellt sich die Gelegenheit für Isa ein, Viaroux eine Falle zu stellen um sich an ihm zu rächen und an ein Gegenmittel zu kommen. Hierbei wird sich glücklicherweise von Pater Forrissier und seinem Diener Aouan, einem Einheimischen, unterstützt und muss zuletzt – da ihr Plan misslingt - aus einer überaus brenzligen Situation vor aufgebrachten Dorfbewohnern gerettet werden.

 

Montaguère, der die Vorfälle im Dorf untersucht, bei der auch zwei Eingeborene ums Leben kamen, wird schließlich mit den Missetaten von Viaroux konfrontiert. Doch bleibt nicht viel Zeit die Geschehnisse aufzuklären, da eine Einladung von König Kpengla im Fort eintrifft und der König insbesondere die weiße Frau Isa kennen lernen möchte. Die Residenz des Königs befindet sich in Abomey, welches einige Tagesmärsche von der Küste entfernt liegt und Isa ist sich zunächst unsicher, ob sie diese Einladung annehmen soll. Doch nachdem ihr Pater Forrissier und Aouan versprechen, sich um den immer noch kranken Hoel zu kümmern, macht sie sich mit den Männern auf den Weg.

 

Schreibstil & Artwork:

Der französische Comiczeichner François Bourgeon wurde am 05.07.1945 in Paris geboren und durchlief eine Ausbildung zum Glasmaler an der Pariser „Ecole des Métiers d'Art“. Bereits 1971 musste er allerdings seinen Beruf aufgeben, da die allgemein schlechte Auftragslage in seinem Metier nicht für seinen Lebensunterhalt reichte. Anfang der 70er Jahre gelangte er, eher zufällig, in Kontakt mit der Jugendzeitschrift „Lisette“, für die er 1972 die Serie „L´Ennemie vient de la mer“ erschuf, die mit ihren stark schematisierten Zeichenformen noch deutlich Bourgeons Prägung durch die Glasmalerei erkennen lässt. Nach dem Konkurs von „Lisette“ folgten weitere kleinere Arbeiten für Magazine wie „Fripunet“, „J2“ und „Pif Gadget“.

 

Einen ersten, wenngleich auch kurzen, Ausflug ins Mittelalter unternimmt Bourgeon bereits 1973 mit dem Comic „Brunelle et Colin“ (dt. „Britta und Colin“, Carlsen). Die von Robert Génin für das Comicmagazin „Djinn“ geschriebene Serie um eine tollkühne Prinzessin und ihren Pagen gibt er allerdings bereits nach zwei Bänden wieder auf, die Génin dann aber ab 1982 mit dem Zeichner Didier Convard fortsetzt.

 

Im Jahr 1979 gelingt Bourgeon mit dem historischen Zyklus „Reisende im Wind“ der Durchbruch in der frankobelgischen Comicszene. Dies allerdings nicht unbedingt durch seinen Zeichenstil, sondern vielmehr durch seine Neuerungen auf dem Gebiet der Bilddramaturgie des Comics: Als Bourgeon Anfang der 70er Jahre die Comic-Szene betrat, war die Seitenaufteilung des Mediums noch weitgehend klassisch und konventionell geprägt: Die einzelnen Panels folgten linear aufeinander und bildeten ein starres Gerüst. Bourgeon hob diese Beschränkung einfach auf und wechselte die Panelgröße je nach Verlauf und Absicht seiner Erzählung. So fügt er beispielsweise kleinere Detailbilder in größere Panoramen ein und erzielt so mitunter Effekte, wie sie der Leser aus der Erzählsprache der Filmkunst kennt. Doch nicht nur die visuelle Erzählweise von Bourgeon war für die damalige Comic-Kultur wegweisend, sondern auch die Entwicklung der Charaktere innerhalb einer Comic-Reihe wie in „Reisende im Wind“, die man bislang in dieser Form nicht kannte.

 

Bourgeon pflegt in „Reisende im Wind“ einen insgesamt sehr realistischen und detaillierten Zeichenstil, wobei er oft auf der Grundlage von historischen Studien von Landschaft, Technik und Bauwerken arbeitet. Seine nie geschönten oder idealisierten Figuren basieren auf anatomisch genauen Vorgaben, ohne dabei allerdings ins Photorealistische überzugehen.

 

Doch nicht nur der Zeichenstil besticht, sondern auch die historische Genauigkeit, die Bourgeon in der Reihe an den Tag legt:

Der französische Sklavenhandel hatte zwar schon 1525 begonnen, dieser kam aber erst im 17.Jahrhundert richtig in Gang, nachdem auf den französischen Kolonien Martinique, Guadeloupe und Haiti Zuckerrohr angebaut wurde. Ab 1640 schufteten in den karibischen Besitzungen Frankreichs bereits 27.258 afrikanische Sklaven, so das auf einen weißen Siedler fast zwei schwarze Leibeigene kamen. Der gigantische Bedarf an Arbeitskräften war gleichzeitig ein lukratives Geschäft mit der Ware Mensch, wobei dieser nicht anders betrachtet wurde als der Handel mit Wein oder Weizen - Mitgefühl oder moralische Bedenken hatten hier keinen Platz.

Zu den französischen Städten, die mit dem Sklavenhandel reich geworden sind, gehören Bordeaux, La Rochelle und besonders Nantes. Die Bürger der Hafenstadt Nantes bekamen am Kai allerdings weder Sklavenschiffe noch Sklaven zu sehen, denn die Schiffe stachen mit normaler Handelsware in See und kamen mit Gütern aus der Karibik. Die vorgenannten Städte lebten jahrhundertelang im Rhythmus des „Dreiecksgeschäftes". Von den Häfen aus fuhren Schiffe voller französischer Stoffe und Glasperlen nach Afrika. Dort wurde die Ladung gegen Menschen getauscht, die dann in die Karibik transportiert wurden. Mit dem Erlös aus dem Sklavenverkauf erwarben sie wiederum Rohstoffe aus den Kolonien, wie beispielsweise Zucker, Kaffee oder Indigo. Geldanlagen im Sklavenhandel waren allgemein beliebt und so investierte selbst der große französische Philosoph Voltaire beträchtliche Teile seiner Mittel in diese lukrative Anlageform.

Doch auch die anderen Kolonialmächte arbeiteten beim globalen Handel mit der menschlichen Ware und gemeinsam verschleppten sie bis zum endgültigen Ende der Sklaverei schätzungsweise mehr als 20 Millionen Afrikaner aus ihrem Heimatland.

 

Die afrikanischen Westküste in Höhe des heutigen Guinea war auf rund 450 Kilometer mit einer Vielzahl von Handelsposten und Forts der Kolonialmächte versehen, an denen die Schiffe mit den notwendigen Versorgungsgütern und einer Vielzahl von Handelswaren anlegen konnten. Dabei waren die Schwerpunkte des Handels an der Küste sehr genau unterteilt, wie die Namen „Kornküste“, „Elfenbeinküste“ und „Goldküste“ deutlich machen.

 

War erst einmal Platz an Bord der Schiffe durch den Verkauf der Handelsware wieder frei, wurden die ersten Menschen auf das Schiff gebracht. Auf der langen Überfahrt würde jeder Gefangene circa 30 mal 150 Zentimeter Platz für sich beanspruchen könne und über sich nur etwa 60 Zentimeter freien Raum. Neben den psychische Belastungen durch die Enge mussten diese Menschen mit medizinischer Unterversorgung, Seekrankheit, Hunger und Durst kämpfen. Die Sklaven wurden angekettet und geschlagen, kauerten in ihren Exkrementen und vegetierten vor sich hin. Viele von ihnen wurden schwerkrank, viele überlebten die Torturen der Überfahrt nicht. Im ernsten Krankheitsfall und bei Ansteckungsgefahr wurden sie von der Besatzung oft einfach über Bord geworfen.

 

Frankreichs Politiker haben sich erst sehr spät an dieses heikle Kapitel ihrer Geschichte herangewagt und so werden seit Ende der 90er-Jahre eine Vielzahl von Ausstellungen, Debatten und Veröffentlichungen zu diesem Thema organisiert. Vorläufiger Höhepunkt war sicherlich das Jahr 2001, in dem das französische Parlament die Sklaverei zu einem „Verbrechen gegen die Menschheit" verurteilte. Ein symbolischer Schritt, der bis heute bedauerlicherweise weltweit einzigartig blieb und den Bourgeon lange Zeit vor diesen Überlegungen zeichnerisch und inhaltlich aufbereitete.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung

Solide Fadenheftung in gediegener Hardcover-Qualität – das dürfte beim Splitter Verlag sicherlich eine Selbstverständlichkeit sein, so wie es auch die gelungene Übersetzung von Delia Wüllner ist, an der es nichts zu bemängeln gibt. Das ursprüngliche Titelbild der Erstausgabe wurde vom Verlag geändert, was jedoch zu verschmerzen ist, da es das ehemalige Cover der Erstausgabe als „Zugabe“ in Form eines qualitativ hochwertigen und herausnehmbaren Druckes im Band gibt.

 

Natürlich hat sich auch in Sachen Drucktechnik seit den 80er Jahren einiges getan und so sehen die Farben dieser Neuauflage frischer und freundlicher als sein etwas in Jahre gekommener Vorgänger aus. Zudem hat Bourgeon dem Projekt seine eigens dafür digitalisierte Handschrift für ein modernes Computer-Lettering zur Verfügung gestellt, welche den Band um so lesenswerter macht.

 

Seine historische Genauigkeit belegt Bourgeon auch mit dem Grundriss des Fort Saint-Louis in Ouidah, wie es dies wirklich im Jahre 1776 gegeben hat und den umfangreichen und detaillierten Zeichnungen des fiktiven Schiffes „Marie Caroline“, welches ebenfalls auf authentischen Angaben des Schiffes „Marie-Séraphine" basiert, einem Handelsschiff aus Nantes. Um die Ansichten und Details so originalgetreu wie möglich zu zeichnen, hat sich Bourgeon eigenhändig selbst das Modell dieser historischen französischen Fregatte als Vorbild gebaut.

 

Fazit

Francois Bourgeon nimmt im dritten Band der Reihe „Reisende im Wind“ den Leser weiter mit auf der abenteuerlichen Reise, die seine Protagonistin nunmehr auf den schwarzen Kontinent verschlägt. Im Vergleich zu manch anderem historischen Abenteuercomic geschieht bei Bourgeon allerdings nichts unbedingt Spektakuläres, vielmehr erzählt er eine fast schon authentisch wirkende Geschichte vor dem überaus real skizzierten Hintergrund des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Was macht also diesen ungeheuren Reiz dieser Geschichte aus?

Wie in den Rezensionen zu den beiden ersten Bänden bereits ausgeführt, war es sicherlich der vollkommen neuartige Umgang mit den Panels im Bildaufbau, der für die damaligen Verhältnisse geradezu bahnbrechend war, auch wenn Bourgeon sicherlich nicht der einzige Zeichner war, der zu dieser Zeit mit dem Layout von Comics experimentierte, und sein Zeichenstil sich nicht immer unbedingt als absolut überragend hervorhebt. Dennoch ist es (für damalige Verhältnisse) neuartige Darstellung, die sich mit gemeinsam mit dem durchaus anspruchsvollen Dialogen vor authentischer Kulisse anschickt, den Leser in seinen Bann zu ziehen.

Wer die Reihe „Reisende im Wind“ noch nicht kennt, sollte sich diese überaus beeindruckende Geschichte nicht entgehen lassen und einen „echten Klassiker“ des Historien-Comics für sich entdecken. Ein Hochgenuss für einen ausgedehnten, ruhigen und anspruchsvollen Leseabend!