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Die mechanische Welt
Bewertung:
(3.5)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 12.05.2010
Autor:Jean-Baptiste Andreae (Autor und Zeichner)
Übersetzer:Resel Rebiersch
Typ:Comic / Graphic Novel
Setting:SF – Near Future
VerlagSplitter Verlag
ISBN/ASIN:978-3-86869-108-5
Inhalt:144 Seiten, kleinformatiges Hardcover mit SU
Preis:19,80 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt:

Eigentlich sollte es ein Abend wie so viele andere auf dem gigantischen Ozeandampfer „Mekaton“ werden, der über die Meere der Welt kreuzt und von vielen menschlichen und phantastischen Personen bevölkert wird, die zum Teil halb Mensch und halb Tier sind.

Man bereitet sich auf ein weiteres abendliches großes Fest vor, welches in dem riesigen Ballsaal die Passagiere belustigen soll. Für jeden nur erdenklichen Komfort und Luxus ist bestens gesorgt und so macht sich Edmée mit ihrem Sohn Bruno für dieses allabendliche Ereignis bereit. Doch Bruno ist alles andere als begeistert von den dauernden Feiern und ist fast froh darüber, als die riesige Party jäh durch eine spektakuläre Verfolgsjagd unterbrochen wird.

Phileon – ein Rhinozeros mit humanoiden Zügen– hat sich entschlossen die „Mekaton“ verlassen, die er als Gefängnis betrachtet um hinaus in die Welt zu ziehen. Doch eine solche „Revolte“ wird durch das Sonderkommando des fast schon adlerartig aussehenden Wesen namens Feinvogel und seinen Schergen nicht zugelassen. In einer turbulenten Flucht vor seinen Häschern quer durch das Schiff trifft Phileon auf den Jungen Bruno, der diesem von seinem Plan erzählt, die Welt kennen zu lernen die er bislang nur aus Büchern kennt und endlich frei zu sein. Bruno bringt Phileon mit in die Kabine seiner Mutter und nach anfänglichem Zögern scheint er die beiden fast schon ein wenig von seinem tollkühnen Plan das Schiff zu verlassen überzeugen zu können. Zumindest ist Phileon erst einmal in Sicherheit, da weder Edmée noch Bruno ihn an das Sonderkommando verraten wollen und ihn verstecken.

 

Das Sonderkommando setzt natürlich in der Zwischenzeit alles daran, um Phileon habhaft zu werden. Selbst die Passagiere werden dazu animiert den Flüchtigen zu suchen, wobei man diesen allerdings erzählt, der Gesuchte leide an einer gefährlichen und ansteckenden Krankheit. Gepackt von seinem Wahn entmachtet Feinvogel sogar den Kapitän des Schiffes und übernimmt selbst das Kommando. Doch für Phileon wird das Versteckspiel auf dem Schiff immer schwieriger und an eine Flucht ist kaum noch zu denken. Als das Schiff sich in der Nähe des Nordpols befindet, kommt es zu einer dramatischen Verfolgungsjagd, als man Phileon entdeckt in deren Verlauf dieser, Edmée und Bruno sogar den Kapitän des Schiffes befreien und es schließlich in Beiboot schaffen, mit dem sie „Mekaton“ verlassen können. Doch sind sie nicht die einzigen Passagiere in diesen Boot. In dem Beiboot befindet sich auch ein junges Mädchen, welches Bruno durch Zufall vor kurzem im Ballsaal gesehen hat. Doch auf ihrer gemeinsamen Flucht bleibt nicht viel Zeit für lange Gespräche, zumal das Mädchen ohnehin nicht zu sprechen scheint.

 

Die unerwartete Flucht gelingt und so macht es sich diese ziemlich seltsame Gruppe zunächst in einer Höhle in der Eiswüste des Nordpols gemütlich. Während der Kapitän seinem Kommando auf dem Schiff nachtrauert und Phileon sich seiner neu gewonnenen Freiheit erfreut, widmet sich Edmée eher dem Gedanken, ob und wann man sie und ihren Sohn wohl wieder aus dieser Einöde abholt. Schließlich war es eigentlich nicht ihre Absicht zu flüchten und die Unannehmlichkeiten des täglichen Überlebens werden ihr zuwider.

 

Bei einem ihrer täglichen Jagdausflüge stoßen Phileon und die anderen auf Hinweise, wonach sich scheinbar noch andere Menschen in ihrem Gebiet aufhalten dürften. Nach einigem Zögern und hitzigen Diskussionen macht sich die gesamte Gruppe auf den Weg, um Ausschau nach diesen zu halten. Und wirklich – es gibt noch andere Menschen, die hier zwischen Eis und Schnee ihr Dasein fristen. Aus sicherer Distanz können sie beobachten, wie diese Menschen gerade dabei sind mit Knüppeln einige Roboter zu zerstören. Die anfängliche Furcht vor den seltsamen Fremden hält aber nicht lange vor und so nimmt der Stamm der Bären die Flüchtigen bei sich auf und diese erfahren dann einiges über die Roboter, die den Menschen beständig auf den Fersen sind und noch einiges mehr.

 

Feinvogel zeigt sich unterdessen allerdings auch nicht untätig. Dank eines Verräters aus dem Stamm der Bären, der es bis zur „Mekaton“ geschafft hat, die im Eis vor Anker liegt, plant er den Flüchtigen endlich habhaft zu werden. Doch auch die Roboter wissen nun um das Versteck der wahrscheinlich letzten Menschen am Nordpol und so dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis es zur großen und entscheidenden Konfrontation kommt. Doch gibt es noch viel mehr in dieser abenteuerlichen Geschichte zu erleben, die den Leser bis in die gewaltigen Stadt Meccapolis führt, in denen die Roboter herrschen und in der es ein überaus unerwartetes und sehr lesenswertes Finale gibt!

 

Schreibstil & Artwork:

Jean-Baptiste Andreae wurde am 10.01.1964 geboren und studierte Kunst in Bordeaux (Beaux Arts de Bordeaux section publicité). 1991 traf er auf den Szenaristen Mathieu Gallié, mit dem er an der dreibändigen Reihe „Mangecoeur“ (dt. „Herzfresser“) zusammen arbeitet und die zwischen 1993 bis 1996 im Verlag „Vents d´Ouest“ erschien. Der erste Band dieser Reihe erhielt den „Prix du Lion à Bruxelles“ und Gemeinsam setzten sie ihre recht erfolgreiche Arbeit 1998 mit zwei Bänden der Serie „Wendigo“ fort, die ebenfalls im Verlag „Vents d´Ouest“ erschien.

In 2001 arbeitete er mit dem Szenaristen Patrick Fitou an der Reihe „Die mechanische Welt“, die in drei Bänden in den Jahren 2002 bis 2006 im Casterman-Verlag erschien. Im Anschluss an diese Reihe arbeitete er wieder mit Mathieu Gallié zusammen für den Verlag Delcourt. Hier erschien 2007 der erste Band der Reihe „Die Bruderschaft der Krabbe“, den der Splitter Verlag im September 2010 veröffentlicht. Neben seiner Tätigkeit als Zeichner für Comics arbeitet Andreae auch als Illustrator für ganz unterschiedliche Projekte.

 

Was uns Andreae sowohl als Autor, den auch als Zeichner präsentiert ist ein geradezu fabelhaftes SF-Märchen, wie man es sich besser nicht vorstellen könnte. Die von ihm präsentierte Szenerie auf dem Schiff sieht aus, als seien die Kostüme von Jean-Paul Gaultier entworfen und die Kulissen aus dem Kopf von Luc Besson entsprungen, während der Feinschliff der Charaktere durch Jean-Pierre Jeunet erfolgte. Es beginnt mit skurrilen Handlungen auf dem Schiff, die in zahllosen Details, Menschen, Tierwesen, Effekten und etlichen zeichnerischen Raffinessen ein einfach nur pralles und buntes Leben einer degenerierten und dekadenten Gesellschaft auf einem gigantischen Amüsierdampfer darstellt, wobei Handlung und Logik hingegen zum Teil zur Nebensache werden. Der Einbruch des fast schon beängstigenden Phileon in diese vermeintlich heile Welt wirkt dabei schon ein wenig wie die Ankunft eines Messias, der von einem besseren Leben in Freiheit predigt – wenn er es dann auch mit dessen Worten könnte.

 

Doch auch Feinvogel und seine verschroben komischen Helfer des Sonderkommandos passen wunderbar in diesen Kosmos, in dem man sich eigentlich fragt, nach welchen Gesetzmäßigkeiten er eigentlich funktioniert. Niemand kann die Herkunft dieses Sonderkommandos auf hoher See erklären und warum dieses dann ausgerechnet Phileon unter den scheinbar tausenden von Gästen auf die Spur kommt, darf ebenfalls ungeklärt bleiben. Was auch letztlich ziemlich egal ist, da Andreae uns einfach eine phantastische Erzählung vorsetzt, die nicht unbedingt immer Wert auf diese Erklärungen setzt, zumal sie diese auch nicht braucht.

 

Erst am Nordpol scheint ein Stück weit Ruhe einzukehren und die Geschichte um die Gruppe der Flüchtlinge bekommt eine Verschnaufpause um sich von dem turbulenten ersten Teil zu erholen. Hier setzt Andreae nun auf eine andere Facette seiner zeichnerischen Stärke.. Die Charaktere sind zwar immer noch überzeichnet und skurril, doch scheint sich der Nebel etwas zu lüften, als die Charaktere einiges über die Städte der Roboter und deren Umgang mit den Menschen erfahren, die sie überall entführen. Während am ersten Teil noch Patrick Fitou als Autor fungiert hat, so übernimmt nun Andreae auch diesen Teil und führt die Geschichte weiter.

 

Als zu guter letzt Andreae in der Stadt Meccapolis eine recht eigene und freie Interpretation der Asimov’schen Robotergesetze präsentiert und den Vorhang hinter dem Geheimnis der Roboter lüftet, so mag mir diese wunderbare Geschichte doch sehr gut gefallen, zumal die kleine Liebesgeschichte, die sich zwischen Bruno und dem Mädchen vom Schiff entwickelt, sich nicht als bloßer Nebenschauplatz herausstellt, sondern im weiteren Verlauf der Handlung ein zentrales Element entwickelt.

 

Als Zeichner weiß Andreae auf jeden Fall mit einem traumhaften Stil zu überzeugen, der durch Detailfreude zu überzeugen weiß und durch die fast schon aquarellartige Kolorierung einen ganz besonderen Ton erhält. Auch wenn es einige lustige (und auch makabere) Momente gibt, so gleitet er nie ab in Richtung Funny, sondern behält seine realistische Darstellung seiner Figuren vor, bei denen er sich – wie bereits erwähnt – in der Ausgestaltung förmlich austobt. Die Anordnung der Panels ist dabei schon fast bieder und Andreae zeigt keinerlei Freude an Experimenten, die seiner Geschichte sicherlich gut gestanden hätten. Etwas unglücklich erscheinen mir manchmal die Sprechblasen in ihrer Anordnung bzw. Ausrichtung, so als habe Andreae manchmal nicht das richtige Gespür für seine Dialoge gehabt. Dennoch – insgesamt sicherlich eine Augenweide.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung

Der Splitter Verlag präsentiert die drei Bände „Oceania“, „Antartica“ und „Urbanica“ als Intégrale in seiner Reihe „Splitter Books“, die sich bereits mit der Veröffentlichung einiger anderer sehr guter und auch innovativer Comics trotz ihres kleineren Formates einen sehr guten Ruf gemacht hat. Die Verarbeitung und die Qualität lassen dabei keine Wünsche offen und so gibt es auf der Innenseite des Umschlags sogar noch einen kurzen Werdegang von Jean-Baptiste Andreae für den Leser, ansonsten aber kein weiteres zusätzliches Material. Nicht zuletzt wegen seiner beeindruckenden Bilder wären die einzelnen Bände im „normalen“ Splitter-Format sicherlich eine noch größere Augenweide geworden, doch man hat es letztlich geschafft, das optimale an Qualität bei der Größe des Formats heraus zu holen. Die Übersetzung von Resel Rebiersch liest sich an manchen Stellen etwas „holprig“, ist aber insgesamt gut.

 

Fazit:

Jean-Baptiste Andreae präsentiert mit „Die mechanische Welt“ eine spannende und sehr unterhaltsame Geschichte vor einem skurrilen Hintergrund, der aus einer schier unglaublichen Vielfalt von Versatzstücken zahlreicher Genres stammt, egal ob es sich um Steam Punk, klassischen SF oder Anleihen von Mangas handelt. Doch bei aller Leichtigkeit, aber auch der Geschwindigkeit seiner Erzählung, transportiert er doch auch einiges an gewichtigen Aussagen für seine Leser, die sich zwar nur langsam erschließen, dafür allerdings auch nie mit dem erhobenen Zeigefinger daherkommen. So ist es vielleicht ein abstruses modernes Märchen, welches dem Leser zahlreiche Interpretationsmöglichkeiten bietet, als auch einfach nur eine gelungene Geschichte, die sehr angenehm zu lesen ist.

 

Für mich eine sehr schöne Intégrale im handlichen „Splitter Book“-Format, die mich von der ersten Seite an in ihren Bann gezogen hat. Zwar gibt es hier und da einige Schwächen, doch insgesamt hatte ich große Freude dem seltsamen Geschehen zu erfolgen und war mehr als positiv über das unerwartete Ende im Dritten Band überrascht.