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Der tönerne Thron 1 - Der Ritter mit der Axt
Bewertung:
(3.7)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 06.04.2011
Autor:Nicolas Jarry, France Richemond (Autoren) und Théo Caneschi (Zeichner)
Übersetzer:Tanja Krämling
Typ:Comic / Graphic Novel
Setting:Historisches Frankreich
VerlagSplitter Verlag
ISBN/ASIN:978-3-86869-186-3
Inhalt:56 Seiten, Hardcover
Preis:13,80 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt:

Paris im Jahre 1418: Während vor den Toren der Stadt die Truppen der Burgunder stehen, hat Tanneguy du Châtel, Vogt von Paris und eines der Oberhäupter der Partei der Armagnacs, weiterhin Sorge um den geistig verwirrten König Charles VI., der in seinem Wahn sogar vor imaginären Mördern versucht, aus dem königlichen Palast zu fliehen. Doch Charles, sein gleichnamiger Thronfolger, der Dauphin von Frankreich, hegt einen schlimmen Verdacht diesbezüglich: Vielleicht sei sein Vater verhext und in Wirklichkeit nicht verrückt. Aber auch der Dauphin fürchtet in diesen unruhigen Zeiten um sein Leben, wurden seine beiden älteren Brüder Jean und Louis doch ermordet. Es obliegt Tanneguy du Châtel nicht nur den König, sondern auch den jungen Dauphin zu schützen und dafür zu sorgen, dass dieser eines Tages das Erbe seines Vaters antritt.

 

Durch Zufall wird Tanneguy du Châtel in der Kapelle Saint-Nicolas Zeuge, wie sein Oberfeldherr d´Armagnac den Mord an den beiden Thronfolgern Jean und Louis zugibt. Tanneguy ist außer sich über diesen Verrat, doch verschont er dessen Leben. Die einzige Aussage die Bernard d´Armagnac gegenüber Tanneguy machen kann, ist zum Wohle des Thrones gehandelt zu haben, da beide Söhne mit einflussreichen Töchtern aus dem Hause Burgund liiert waren. Nur durch deren Tod konnte der zukünftige Einfluss der Burgunder auf den Thron Frankreichs gestoppt werden.

 

Die Bevölkerung in der belagerten Stadt ist gespalten – einige halten zu den Burgundern, andere wiederum zu den Armagnacs. Tanneguy wird auf dem Rückweg von der Kapelle Zeuge eines schicksalhaften Zusammentreffens einiger Jungs auf den Gassen von Paris, die sich streiten. Perrinet, der Sohn von Leclerc, dem Quartiermeister des Stadttores, wird für seine Anhängerschaft zu den Burgundern verprügelt und schwört hierfür Rache zu nehmen.

 

Tanneguy hat sich in eine Schenke zurückgezogen und trifft dort auf den Ritter Ambroise de Loré, mit dem er freundschaftlich verbunden ist. Während beide bis nachts über die Situation in Paris und die Lage des Königreiches Frankreich diskutieren, gelingt es den Burgundern in die Stadt einzufallen. Dabei macht das Gerücht die Runde, der Sohn von Leclerc habe das Tor Saint-Germain-des-Prés für die Truppen der Burgunder geöffnet.

 

Der Aufstand tobt in den Straßen und Häusern der Stadt und die Burgunder sind auf der Suche nach den Gefolgsleuten der Armagnacs, die sie gnadenlos töten. Überall wüten die Truppen, während der Oberfeldherr geflüchtet und der König endgültig seinen Verstand verloren hat, um mit dem Burgunderkreuz als Standarte durch die Straßen von Paris zu ziehen. Doch Tanneguy hat noch andere Sorgen in diesen schweren Stunden – er muss den Dauphin finden und ihn beschützen. Der Dauphin hat sich mit einigen Gefolgsleuten im Hôtel des Tournelles verschanzt, bei weitem keine sichere Zuflucht. So machen sich Tanneguy du Châtel und Ambroise de Loré auf den Weg, um den Dauphin zu retten, damit sie ihn aus der Stadt bringen können.

 

Schreibstil & Artwork:

Der Autor Nicolas Jarry wurde am 19.06.1976 in Rosny-sous-Bois, einem Vorort von Paris, in Frankreich geboren und wandert als Szenarist für Comics, sowie als klassischer Romanautor zwischen den beiden Genres. Seine erste große Romanproduktion hieß „Les Chroniques d'un guerrier Sînamm“, ein drei Bände umfassender Fantasy-Zyklus, der zwischen 2000 bis 2001 bei Editions Mnémos erschien. Beim renommierten „Festival du Film Fantastique“ in Brüssel lernte er Jean-Luc Istin kennen, mit dem er für den Verlag Soleil ab 2003 die Reihe „Les Brumes d'Asceltis“ und später „Les exilés d'Asceltis“ schuf.

 

Gemeinsam mit Autor France Richemond schrieb er bereits an den beiden Bänden „Sphinx“ und „Le peuple de la mer“, einer historisch-mythologische Saga, die im Verlag Rocher veröffentlicht wurde. Als Autor ist er unter anderem an dem Band „L'essayeur des anneaux“ (dt. „Die Mär der Ringe“; Epsilon Verlag) beteiligt, die 2003 bei dem Verlag Delcourt erschien und die Geschichte von Tolkiens „Herr der Ringe“ satirisch aufs Korn nimmt, als auch an der Fantasy-Reihe „Les Contes de Brocéliande“, die als Comic seit 2004 im Verlag Soleil erscheint. Überaus umtriebig folgte 2003 die Reihe „Les Chroniques de Magon“ und 2005 der One-Shot „Maxime Murène“ für den Verlag Delcourt. Im Jahr 2006 folgte in Zusammenarbeit mit dem Zeichner Djief der erste Band von „Tokyo Ghost“.

 

Rahmenhandlung der Reihe „Der tönerne Thron“ ist der Hundertjährige Krieg, der zwischen Frankreich und England tobte: Der offizielle Vorwand für die Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und England im 14. und 15. Jahrhundert war die Frage der französischen Thronerbe. Nach dem Tod des Königs Karl IV., der keine direkten Nachfolger hatte, erhoben gleichzeitig zwei Kandidaten ihre Ansprüche auf den Thron: Philipp VI. - Cousin des verstorbenen Königs und Neffe Philipps des Schönen sowie Eduard III. - englischer König und mütterlicherseits Enkel Philipps des Schönen. Die Streitigkeiten über die Thronfolge, die mit diversen Unterbrechungen über hundert Jahre dauerten und später im französischen Bürgerkrieg der Armagnacs und der Burgunder mündete, ist der Aufhänger für die Geschichte von Jarry und Richemond, die im Jahre 1418 in Paris beginnt.

 

Die Autoren wenden sich den authentischen Geschehnissen des mittelalterlichen Frankreichs zu, wie man sie vielleicht aus Geschichtsbüchern kennt und dennoch weiß ihr Szenario weitaus mehr zu bieten, als eine trockene Lehrstunde über die nicht immer glorreiche Vergangenheit von Frankreich. Die historisch belegte Rahmenhandlung des erbitterten Krieges zwischen den Armagnacs und Burgundern wird als Vorlage genommen und den Protagonisten authentisches Leben eingehaucht, ohne dabei mit unlauteren Mitteln einen falschen Eindruck von historischen Ereignissen und ihrer Interpretation zu vermitteln.

Mit der Figur des Tanneguy von Châtel schaffen es Jarry und Richemond im ersten Band einen seltsam zerrissenen Helden zu erschaffen, der zwischen Pflichterfüllung und Ohnmacht zu schwanken scheint und damit zu einem authentischen Sympathieträger wird. Ob diese Figur in den Folgebänden fortgeführt wird oder ob der fünfzehnjährige Dauphin Charles sich zum Protagonisten der nächsten Bände entwickelt, ist allerdings offen.

 

Der Zeichner Théo Caneschi wurde 1973 in Vinci, in der Toskana, geboren. Nachdem er einige Kurse an der „Scuola Internazionale di Comics“ besucht hatte, wurde er 1998 Mitglied im bekannten Florenzer Inklink-Studio, wo er mit Künstlern wie Luigi Critoni zusammenarbeitete. Caneschi schuf zahlreiche Illustrationen und historische Rekonstruktionen für italienische und europäische Museen. Der französische Verlag Delcourt sprach ihn schließlich im Jahr 2000 an, ob er nicht Interesse daran hätte, als Zeichner für einen historischen Comic-Serie zu arbeiten. Caneschi willigte ein und so entstand nach dem Szenario von Nicholas Jarry und France Richmond die Reihe „Der Tönerne Thron“.

 

Der sehr realistisch geprägte Zeichenstil weiß zu überzeugen, da jede der Figuren und jedes Gesicht individuell gestaltet ist und vor Leben strotzt. Es sind aber auch die abwechslungsreichen und gefälligen Bilder des mittelalterlichen Paris, in denen er sich in zahllosen Details austobt, egal ob es sich um Gebäude, Straßen oder Hinterhöfe handelt, die sich vielleicht erst beim zweiten oder dritten Lesen des Comics zeigen. Unterstrichen wird diese Wirkung durch die flächige Kolorierung von Lorenzo Pieri mit ihrem sehr schön inszenierten Spiel aus Licht und Schatten gedeckten Farben, die zu einer überaus passenden Atmosphäre beitragen.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung:

Die solide Heftung in gediegener Hardcover-Qualität als großformatiges Album spricht für den hohen Standard des Splitter Verlags bei seinen Produktionen. In Sachen Ausstattung gibt es im hinteren Teil des Einbandes eine Übersicht über die wichtigsten Akteure in diesem Reigen aus politischem Ränkespiel, Mord und Verrat und einen kurzen geschichtlichen Abriss über die Hintergründe des Hundertjährigen Krieges. Die, wie so oft, gelungene Übersetzung stammt von Tanja Krämling, an deren Arbeit es auch hier absolut nichts zu bemängeln gibt.

 

Fazit:

Die Verarbeitung von historischen Motiven oder kompletten Lebensläufen prominenter Personen aus Kultur, Geschichte oder Politik dürfte im Comic-Bereich sicherlich nichts Neues mehr sein und den erfahrenen Leser nicht ohne weiteres neugierig machen.

Was die Autoren Jarry und Richemond allerdings hier aus einer recht trockenen und für den Außenstehenden recht unübersichtlichen historischen Epoche zaubern, kann sich allerdings sehen und lesen lassen. Weitab davon eine peinlich genaue historische Authentizität zu schaffen, dennoch mit ihrer Geschichte dicht an der überlieferten Wirklichkeit zu bleiben und dabei den Leser auf eine spannende Reise mitzunehmen, ist schon ein kleines Kunststück – zumindest, wenn man die historischen Hintergründe kennt.

Aber auch ohne Kenntnis der Geschehnisse des Hundertjährige Krieges, des erbitterten Krieges zwischen den Armagnacs und Burgundern und dem Kampf gegen die britischen Invasoren macht dieser Comic großen Spaß, da er sich dem komplexen Stoff mit einer gewissen Leichtigkeit annimmt und dennoch nicht mit großen Szenen und überzeugenden Dialogen spart. Dies alles in Kombination mit den sehr gelungenen Illustrationen von Théo ergibt einen Historiencomic, der sich mit seinen lebendigen und facettenreichen Charakteren überaus wohltuend von der breiten Masse abhebt und für mich auf jeden Fall eine Empfehlung wert ist.