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Der Incal 1 - Der Schwarze Incal
Bewertung:
(4.0)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 09.03.2012
Autor:Alexandro Jodorowsky (Szenario) und Moebius (Zeichnungen)
Übersetzer:Resel Rebiersch
Typ:Comic / Graphic Novel
Setting:Science-Fiction
VerlagSplitter Verlag
ISBN/ASIN:978-3-86869-277-8
Inhalt:64 Seiten, Hardcover
Preis:15,80 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt:

John Difool besitzt eine Lizenz als Privatdetektiv, Klasse R, und hat ein Büro in Citta Rossa. Er ist keine große Nummer, aber ein guter Informant. Nach dem Ende eines Auftrages findet er sich auf der Selbstmordallee wieder, wo er von seinen Peinigern über die Brüstung geworfen wird, damit er in den großen Säuresee stürzt. Glücklicherweise wird er in letzter Sekunde von der Polizei gerettet, denen er über seinen letzten Auftrag berichten soll.

 

Er wurde von Nimbea Super Quinq für 50 Kublars engagiert, um diese als Leibwächter bei einem Ausflug in den Roten Ring zu begleiten und sie sicher um Mitternacht wieder in ihre Wohnung zurück zu bringen. Was als vermeintlich einfacher Auftrag beginnt, entwickelt sich im Club „Daredevil“ rasch zu einem Fiasko, als Kill „Hundeschnauze“ auftaucht und die sexuellen Vorlieben von Nimbea Super Quinq bedient. Die Zeit bis Mitternacht ist nur noch knapp und so greift Difool zu seiner Waffe, um dem „Treiben“ ein Ende zu bereiten. Nicht nur, dass er Kill ein Loch ins Ohr schießt, seine Schutzbefohlene verwandelt sich um Mitternacht in eine alte Greisin zurück, da das Hyper-Make-up nicht länger hält. So schafft sich Difool innerhalb kürzester Zeit zwei üble Feinde, die ihm nachstellen. Zum Glück kann Difool durch die Lüftungsschächte entkommen, wo er auf einen riesigen roten Mutanten trifft, welcher tot vor ihm zusammenbricht und er beim Ausrutschen ebenfalls mit dem Kopf anschlägt, um ohnmächtig zu werden.

 

Die Polizei glaubt ihm zwar kein Wort dieser Geschichte, aber Difool kann im Moment froh sein, dem Tod erst einmal entronnen zu sein. Was es wirklich mit diesem Wesen auf sich hat, erfährt der Leser auf den folgenden Seiten. Ebenfalls verfolgt, kann Difool dem seltsamen Wesen helfen und dessen Häscher aufhalten. Schwer verletzt übergibt das Wesen, welches sich als Berk herausstellt, den Incal an Difool – und damit beginnt der Schlamassel von kosmischen Ausmaßen für den Privatdetektiv, der sich von nun an etlichen Feinden und Verfolgern gegenüber sieht und schon bald Bekanntschaft mit Berk-Kommandos macht, die ihn verfolgen, mit der „absoluten Orphidität“ – dem Präsidenten – und natürlich auch dem Incal.

 

Doch was ist der Weiße Incal? Bei diesem kleinen Gegenstand, der von seiner Form her einer Art Pyramide ähnelt, handelt es sich ein Lebewesen, welches gemeinsam mit dem Schwarzen Incal ursprünglich eine Einheit bildete, welche seinem Besitzer schier endlose Macht bietet. Insofern dürfte es auch nicht erstaunen, dass sich John Difool mit seinem unfreiwilligen neuen Besitz allerlei Gefahren ausgesetzt sieht.

 

Schreibstil & Artwork:

Alexandro Jodorowsky wurde 1929 als Sohn russischer Emigranten in Iquique (Chile) geboren. Auf eine unruhige Jugend folgte ein unstetes Leben, in der er sowohl die Literatur als auch das Medium Film für sich entdeckte und sich einen Namen als Filmschaffender von internationalem Rang mit Werken wie „El Topo", „La Montagne Sacrée" oder „Tusk" machte. Dabei zeigte Jodorowsky durchaus Talent, eigene Comics zu zeichnen, wie beispielsweise die Serie „Fabula Panicas“, die wöchentlich im mexikanischen Magazin „Heraldo Cultural“ erschien.

 

Sein eigentliches Debüt im Bereich Comics machte Jodorowsky 1966 in Mexiko mit dem Szenario der futuristischen Saga „Anibal 5", die von Manuel Moro illustriert wurde. 1978 traf er auf Jean Giraud, besser bekannt als Moebius, mit dem er an einer Filmadaption des Romans „Dune" arbeitete. Für Moebius schuf er mit „John Difool" auf Anhieb ein Meisterwerk der Science-Fiction- und Fantasy-Comic-Literatur. 1982 entwarf Jodorowsky für den Zeichner Arno das Szenario zu „Alef-Thau". Über die Jahre hinweg folgten zahllose weitere Szenarien für bekannte Zeichner, darunter beispielsweise „Das weiße Lama" (mit Bess), „Die Meta-Barone" (mit Juan Gimenez), „Lust und Glaube" (mit Moebius), „Mondgesicht" (mit François Boucq), „Die Saga von Alandor“ (mit Cadelo) sowie 1997 „Die Techno-Väter“ (mit Janjetov und Frédéric Beltran).

 

1996 gewann Jodorowsky auf dem Comic-Salon in Angoulème den begehrten „Alph’art“ für das beste Szenario für seine neue Comic-Serie „Juan Solo“. 1999 widmete man ihm dort eine Retrospektive über sein jahrelanges Schaffen als Filmemacher und Szenarist, als Romancier und Poet mystischer Dichtung. Seit 2001 arbeitet er gemeinsam mit dem Zeichner François Boucq an der Western-Reihe „Bouncer“, wobei er sich auch hier zwischendurch Zeit nimmt, um beispielsweise in 2002 gemeinsam mit Jean-Claude Gal an der Reihe „Diosamante“ zu arbeiten.

 

Giraud und Jodorowsky lernten sich kennen, als dieser an der Vorbereitung für die Verfilmung des Romans „Der Wüstenplanet“ von Frank Herbert arbeitet. Auch wenn dieses Projekt an einigen recht lustigen Details scheiterte (mehr dazu im Anhang des vorliegenden ersten Bandes der Reihe), entwickelten beide 1978 gemeinsam den Comic „Die Augen der Katze“ und begannen dann zwei Jahre später für das französische Magazin „Métal Hurlant“ mit der SF-Reihe „John Difool“, die es bis 1989 letztlich auf sechs Bände brachte und rasch Kult-Status erreicht.

 

Jodorowsky hat – ebenso wie Moebius – im Comic das perfekte Ausdrucksmittel gefunden, um seine exzessiven Phantasien umzusetzen. Im Gegensatz zum Film bedarf es hier keiner kostspieliger Aufbauten, launischer Darsteller oder Sorgen um die Finanzierung eines Projektes – man kann jedem Gedankenfetzen freien Lauf lassen. Und dies wird bei den denkwürdigen Erlebnissen des Protagonisten John Difool auf jeden Fall im Szenario überaus geschickt umgesetzt, von Jodorowsky selbst sagte, er habe beim Entwurf der Handlung jegliche logische Vernunft in den Hintergrund treten lassen.

 

Der 1938 in Nogent-sur-Marne (in der Nähe von Paris) geborene Zeichner Jean Giraud, der dem Publikum eher unter seinem Künstlernamen Moebius oder auch Gir bekannt sein dürfte, veröffentlichte nach dem Studium der angewandten Kunst an der Académie des Beaux-Arts in Paris 1956 seinen ersten Comic in Magazin „Far West“. Der eigentliche Durchbruch begann allerdings erst 1963, als er für das Jugend-Magazin „Pilote" die Westernserie „Blueberry“ (dt. „Leutnant Blueberry“) nach einem Szenario von Jean-Michel Charlier zeichnete. Während Jean Giraud klassische Western-Abenteuer mit „GIR" signierte, zeichnet er unter dem Pseudonym „Moebius" humoristische und extravagante Comics für Erwachsene.

 

1975 war Moebius Mitgründer des Verlages "Les Humanoïdes Associés" und des Comic-Magazins "Métal Hurlant" („Schwermetall", „Heavy Metal"). 1980 startete er die skurrile Science-Fiction-Serie John Difool (Text von Jodorowsky). Er arbeitete auch an Filmen wie „Alien“, „Tron“ und „Das fünfte Element“ mit, denen er ein zum Teil ganz typisches und unverwechselbares Design gab. Daneben entstanden aber auch zahlreiche andere Comic-Stories, zu denen unter anderem „Jim Cutlass“, „Le garage hermétique“ (dt. „Die hermetische Garage des Jerry Cornelius“) oder aber die 6-teilige Science-Fiction-Comicserie „Le monde d'Edena“ (dt. „Die Sternenwanderer“) gehören.

 

Als Multitalent arbeitete er aber auch für die Werbebranche und zeichnete zahlreiche Kampagnen. Zu den Kunden gehörten unter anderem den französischen Schuhhersteller Eram, Citroën und für BMW. Im Jahr 2003 entstand sogar die 14-teilige französische Zeichentrickserie „Arzak Rhapsody“, für die Giraud sowohl das grafische Design konzipierte als auch für das Drehbuch verantwortlich war. Nach Aufenthalten in Japan und Los Angeles lebt Giraud seit der Trennung von seiner ersten Frau und der Heirat mit Isabelle Champeralle 1988 wieder in Frankreich.

 

Mit der Reihe „Der Incal“ erschloss sich für Moebius als Zeichner absolutes Neuland. Nach etlichen Jahren konnte er nunmehr in einem ganz anderen Bereich experimentieren und eine ganz neue Art von Kreativität an den Tag legen. Für damalige Verhältnisse besaß die Reihe einen absolut innovativen Stil, der insbesondere durch seine großflächigen Panels mit ihren zahllosen technischen Details und etlichen beeindruckenden Hintergründen. Natürlich sollte man auch die Kolorierung von Yves Chaland erwähnen, die mit ihren zum Teil schrill-bunten Farben den anarchistischen Grundton des Szenarios unterstreicht.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung:

Zuletzt erschien diese mittlerweile etwas betagte Reihe in der Ehapa Comic Collection als edel aufgemachte Gesamtausgabe. Jetzt schickt sich der Splitter Verlag an, die sechs Bände der Reihe um den Protagonisten John Difool in sein Programm aufzunehmen, wobei diese nunmehr mit einigen doch bemerkenswerten Details überzeugen kann. Neben der gewohnt soliden Verarbeitung als Hardcoverband überzeugt die klassische Kolorierung, die diesem Exemplar zugrunde gelegt wurde und auch ältere Fans wieder versöhnlich stimmen dürfte. Schluss mit der leidlich misslungenen Überarbeitung der Farben. Zudem hat man es hier mit einer Collectors Edition zu tun, auch wenn diese Bezeichnung nicht auf dem Cover prangt. Neben einigen biografischen Hintergrundinformationen zum Autor Jodorowsky als auch zu Moebius, gibt es einen recht interessanten Text, in der sich mit dem gescheiterten Filmprojekt „Dune“ auseinandersetzt, welches ursprünglich von Jodorowsky verfilmt werden sollte und bei dessen Planung er Moebius näher kennenlernte. Als besonderen Bonus gibt es in diesem Band einen beigefügten Druck, den in dieser Ausgabe das Cover von Band 1 der ersten Carlsen-Ausgabe ziert. Die Übersetzung stammt aus der Feder von Resel Rebiersch und lässt sich überaus angenehm lesen.

 

Fazit:

Es ist ziemlich schwierig zu beschreiben, was diesen Comic letztlich zu einem echten „Klassiker“ gemacht hat, der auch mehr als 30 Jahre nach einem ersten Erscheinen nichts von seiner Qualität eingebüßt zu haben scheint. Da ist auf der einen Seite der Protagonist John Difool, der mit seiner zum Teil ängstlichen, zugleich aber auch faulen und fast schon anarchistischen Ader durch Zufall mitten hinein in ein gigantisches Abenteuer stolpert und auf der anderen Seite die faszinierenden Bilder von Moebius, der mit fantastischen Bildern eine Vision der Zukunft zaubert, wie man sie heute zum Teil vergeblich sucht. Und falls man sie finden sollte, so war er sicherlich das Vorbild anderer Zeichner für deren Entwürfe!

 

In der Reihe „Der Incal“ treffen zwei herausragende Künstler zusammen, die beide zum damaligen Zeitpunkt noch längst nicht den Zenit ihrer Schaffenskraft erreicht hatten und gemeinsam eine überaus unterhaltsame, manchmal auch verstörende Mixtur aus bombastischem High-Tech, der Verarbeitung absonderlicher traumhafter Inspirationen des skurrilen Autors Jodorowsky und einem hervorragenden Handlungsfaden servieren, der einfach gelesen und gesehen werden sollte.

 

Für mich eine absolute Empfehlung, da dieser Klassiker (auch wenn er aus dem Bereich SF kommt und nicht jedermanns Geschmack sein dürfte) in keinem gut sortierten Comic-Regal fehlen darf.