Sharner Kobold Sharner Kobold

 

u
Der Incal 2 - Der Incal des Lichts
Bewertung:
(4.0)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 21.05.2012
Autor:Alejandro Jodorowsky (Szenario) und Moebius (Zeichnungen)
Übersetzer:Delia Wüllner-Schulz
Typ:Comic / Graphic Novel
Setting:Science-Fiction
VerlagSplitter Verlag
ISBN/ASIN:978-3-86869-278-5
Inhalt:64 Seiten, Hardcover
Preis:15,80 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt:

Es sieht nicht sonderlich gut aus für den Protagonisten John Difool, der sich gefesselt auf einer Art Altar wiederfindet, wo er vom Techno-Papst geopfert werden soll, damit dieser an den Weißen Incal gelangen kann. Während die getreuen Anhänger des Techno-Papstes noch in Sprechchören skandieren, darauf wartend, dass ein schwarzes Schatten-Ei beschworen wird, obliegt es Dipo, der treuen Betonmöve von John Difool, sich auf den Techno-Papst zu stürzen und dssen Schatten-Tiara zu zerstören. Dies sorgt für ausreichend Chaos und Difool gelingt in dem riesigen Durcheinander dank seines Haustieres die Flucht. Diese Flucht führt allerdings nicht sonderlich weit, sondern nur in das Innenleben einer Techno-Kugel, wo ein gigantisches Monster haust, welches die Techno-Jünger den „Krypdroiden“ nennen und den Schwarzen Incal bewacht. Nur mit knapper Not kann Difool gegen dieses Wesen ein Sieg davontragen, zumal ihm der Weiße Incal dabei zur Seite steht. Der Sieg über den Krypdroiden hat allerdings auch im Techno-Palast seine Spuren hinterlassen, der scheinbar durch den Kollaps dieser Kugel zerstört wurde.

 

Difool besitzt nun durch seinen Sieg über den Wächter sowohl den Schwarzen als auch den Weißen Incal – aber nicht für lange, da er inmitten der Trümmer von Animah, der Königin der Ratten, aufgesucht wird, die ihn auf mehr oder weniger „magische“ Weise um den Schwarzen Incal bittet. Und auch der Meta-Baron betritt die Bühne, wurde er doch von Tanatah, der Königin der Unterwelt, beauftragt Difool tot oder lebendig zu fassen.

 

Währenddessen kommt es in der Metropole zu einem gewaltigen Aufstand der Massen, welche den fliegenden Palast seiner Heiligen Orphidität stürmen. Es sieht so aus, als würde der Volkszorn nicht nur den Palast, sondern auch seine Bewohner vernichten. Doch der Präsident sieht sich in dieser überaus brenzligen Situation (die zudem live im Fernsehen übertragen wird) zu einem letzten, aber entscheidenden Beschluss bereit und ruft die Imperiatricia zur Hilfe.

 

Aber es warten noch einige andere denkwürdige und rasant in Szene gesetzte Abenteuer auf John Difool, der inmitten dieser um ihn tosenden Ereignisse steht.

 

Schreibstil & Artwork:

Alexandro Jodorowsky wurde 1929 als Sohn russischer Emigranten in Iquique (Chile) geboren. Auf eine unruhige Jugend folgte ein unstetes Leben, in der er sowohl die Literatur als auch das Medium Film für sich entdeckte und sich einen Namen als Filmschaffender von internationalem Rang mit Werken wie „El Topo", „La Montagne Sacrée" oder „Tusk" machte. Dabei zeigte Jodorowsky durchaus Talent eigene Comics zu zeichnen, wie beispielsweise die Serie „Fabula Panicas“, die wöchentlich im mexikanischen Magazin „Heraldo Cultural“ erschien.

 

Sein eigentliches Debüt im Bereich Comics machte Jodorowsky 1966 in Mexiko mit dem Szenario der futuristischen Saga „Anibal 5", die von Manuel Moro illustriert wurde. 1978 traf er auf Jean Giraud, besser bekannt als Moebius, mit dem er an einer Filmadaption des Romans „Dune" arbeitete. Für Moebius, schuf er mit „John Difool" auf Anhieb ein Meisterwerk der Science-Fiction- und Fantasy-Comic-Literatur. 1982 entwarf Jodorowsky für den Zeichner Arno das Szenario zu „Alef-Thau". Über die Jahre hinweg folgten zahllose weitere Szenarien für bekannte Zeichner, darunter beispielsweise „Das weiße Lama" (mit Bess), „Die Meta-Barone" (mit Juan Gimenez), „Lust und Glaube" (mit Moebius), „Mondgesicht" (mit François Boucq), „Die Saga von Alandor“ (mit Cadelo) sowie 1997 „Die Techno-Väter“ (mit Janjetov und Frédéric Beltran).

 

1996 gewann Jodorowsky auf dem Comic-Salon in Angoulème den begehrten „Alph’art“ für das beste Szenario für seine neue Comic-Serie „Juan Solo“. 1999 widmete man ihm dort eine Retrospektive über sein jahrelanges Schaffen als Filmemacher und Szenarist, als Romancier und Poet mystischer Dichtung. Seit 2001 arbeitet er gemeinsam mit dem Zeichner François Boucq an der Western-Reihe „Bouncer“, wobei er sich auch hier zwischendurch Zeit nimmt, um beispielsweise in 2002 gemeinsam mit Jean-Claude Gal an der Reihe „Diosamante“ zu arbeiten.

 

Giraud und Jodorowsky lernten sich kennen, als dieser an der Vorbereitung für die Verfilmung des Romans „Der Wüstenplanet“ von Frank Herbert arbeitet. Auch wenn dieses Projekt an einigen recht lustigen Details scheiterte (mehr dazu im Anhang des vorliegenden ersten Bandes der Reihe), entwickelten beide 1978 gemeinsam den Comic „Die Augen der Katze“ und begannen dann zwei Jahre später für das französische Magazin „Métal Hurlant“ mit der SF-Reihe „John Difool“, die es bis 1989 letztlich auf sechs Bände brachte und rasch Kult-Status erreicht.

 

Es stellt sich unweigerlich die Frage, wer mehr Einfluss auf die Reihe „Der Incal“ hatte – waren es die Zeichnungen von Moebius oder das absolut grandios verworren entworfene Universum von Jodorowsky? Auch wenn sich diese Frage wahrscheinlich nie beantworten lässt, so präsentiert sich Jodorowsky in der Fortsetzung des Szenarios als exzellenter Meister, in dem er Versatzstücke aus gängiger SF, utopischen Zivilisationsszenarien und mystischen Glaubensrichtungen mit einem anarchistischen Protagonisten vermischt, der, begleitet von seiner Betonmöwe Dipo, als Held wider Willen immer weiter vorangeschubst wird. Wohin diese seltsam anmutende Reise führt, wusste in diesem Stadium unter Umständen noch nicht einmal Jodorowsky. Doch man würde ihm Unrecht tun, wenn man behauptet, er habe überhaupt kein Konzept besessen.

 

Der 1938 in Nogent-sur-Marne (in der Nähe von Paris) geborene Zeichner Jean Giraud, der dem Publikum eher unter seinem Künstlernamen Moebius oder auch Gir bekannt sein dürfte, veröffentlichte nach dem Studium der angewandten Kunst an der Académie des Beaux-Arts in Paris 1956 seinen ersten Comic in Magazin „Far West“. Der eigentliche Durchbruch begann allerdings erst 1963, als er für das Jugend-Magazin „Pilote" die Westernserie „Blueberry“ (dt. „Leutnant Blueberry“) nach einem Szenario von Jean-Michel Charlier zeichnete. Während Jean Giraud klassische Western-Abenteuer mit „GIR" signierte, zeichnet er unter dem Pseudonym „Moebius" humoristische und extravagante Comics für Erwachsene.

 

1975 war Moebius Mitgründer des Verlages "Les Humanoïdes Associés" und des Comic-Magazins "Métal Hurlant" („Schwermetall", „Heavy Metal"). 1980 startete er die skurrile Science-Fiction-Serie John Difool (Text von Jodorowsky). Er arbeitete auch an Filmen wie „Alien“, „Tron“ und „Das fünfte Element“ mit, denen er ein zum Teil ganz typisches und unverwechselbares Design gab. Daneben entstanden aber auch zahlreiche andere Comic-Stories, zu denen unter anderem „Jim Cutlass“, „Le garage hermétique“ (dt. „Die hermetische Garage des Jerry Cornelius“) oder aber die sechsteilige Science-Fiction-Comicserie „Le monde d'Edena“ (dt. „Die Sternenwanderer“) gehören.

 

Als Multitalent arbeitete er aber auch für die Werbebranche und zeichnete zahlreiche Kampagnen. Zu den Kunden gehörten unter anderem den französischen Schuhhersteller Eram, Citroën und für BMW. Im Jahr 2003 entstand sogar die 14-teilige französische Zeichentrickserie „Arzak Rhapsody“, für die Giraud sowohl das grafische Design konzipierte als auch für das Drehbuch verantwortlich war. Nach Aufenthalten in Japan und Los Angeles lebt Giraud seit der Trennung von seiner ersten Frau und der Heirat mit Isabelle Champeralle 1988 wieder in Frankreich. Am 10. März 2012 verstarb Jean Henri Gaston Giraud, genannt Moebius im Alter von 73 Jahren an Lymphdrüsenkrebs.

 

Man kann es ziemlich kurz und knapp zusammenfassen: Moebius tobt sich weiter mit schier unbändiger Energie aus und präsentiert sowohl seinen Protagonisten als auch eine Fülle von Widersachern in immer neuen Facetten in einer wahren „tour de force“. Was sich im ersten Moment unübersichtlich und nach schierem Chaos anhört, entpuppt sich durch die meisterhaften Bilder von Moebius als absolut stimmiges Gesamtkonzept, welches dem Betrachter nur selten Gelegenheit gibt eine Pause zu machen, um die eindrucksvollen Panels auf sich wirken zu lassen. Müßig an dieser Stelle die endlosen technischen Details und phantastischen Hintergründe zu erwähnen (die von Isabelle Beaumeney-Joanner koloriert wurden) und deren Ideen sicherlich nicht nur auf den Genuss von Rotwein zurückzuführen sind.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung:

Der Splitter Verlag schickt sich an, die sechs Bände der Reihe um den Protagonisten John Difool in einem neuem Gewand an den Leser zu bringen, wobei diese Edition mit einigen bemerkenswerten Details überzeugen kann. Neben der gewohnt soliden Verarbeitung als Hardcoverband ist es die ursprüngliche Kolorierung, die diese Edition auszeichnet und sicherlich auch ältere Fans und Kenner wieder versöhnlich stimmen dürfte. Auch wenn diese Reihe nicht den Titel „Collectors Edition“ trägt, wie man es beispielsweise vom Splitter Verlag aus der Reihe „Comanche“ kennt, so wäre diese Bezeichnung dennoch angebracht. So gibt es einen recht kurzweiligen Text von Jean Annestay, der sich mit dem Protagonisten John Difool und dessen Universum beschäftigt, als auch einen beigefügten Kunstdruck als besonderes Extra. Die absolut gelungene Übersetzung stammt von Resel Rebiersch und lässt sich angenehm lesen.

 

Fazit:

Es gibt mit Sicherheit eine ganze Reihe von Comics, die im laufe der letzten Jahrzehnte entstanden sind und von denen es heißt, man müsse sie unbedingt gelesen haben. Die Reihe „Der Incal“ gehört zweifelsohne mit dazu, auch wenn dem vielleicht jüngeren Leser manche Panels bekannt vorkommen mögen oder die Geschichte mit ihrem trockenen anarchistischen Humor etwas zu aufgetragen erscheint – vieles was später entstanden ist und unser Auge heute für den normalen Standard im Bereich SF hält, hat zu einem nicht unwesentlichen Teil seine Wurzeln beim „Incal“.

Statt eines Nachrufes möchte ich an dieser Stelle den französischen Literaturwissenschaftler Francis Lacassin bemühen, dem 1971 ein Eintrag in der „Grande Encyclopédie Alphatbetique Larousse”, gelang, in welcher er die Comic-Kunst als „9. Kunst” ausrief und er damit eine Definition ins Leben rief, die sich weltweit durchsetzte. Durch Künstler wie Giraud, die mit ihrer unbändigen Kreativität und ihrem Mut zu Innovationen aus Comics mehr machten, als eine belächelte Randerscheinung von Zeichnern und Autoren, wurde diesem Synonym Leben eingehaucht, welches über den Tod von Moebius hinaus Bestand haben wird.