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Kingsport – Alpträume im Nebel
Bewertung:
(4.7)
Von: AlexH
Alias: AlexH
Am: 10.02.2013
Autor:Kevin Ross mit Mark Morrison, Keith Herber, Scott Aniolowski, Mirko Bader, Kaid Ramdani
Übersetzer:Robert Maier, Markus Widmer
Typ:Quellen- und Abenteuerband mit großformatiger Faltkarte
System:Cthulhu
Setting:1920er Nordamerika, Neuengland
VerlagPegasus Press
ISBN/ASIN:978-3-941976-30-6
Inhalt:274 Seiten Hardcover
Preis:39,95 EUR
Sprache:Deutsch

Aufmachung und Layout

Hier ist die gute Produktqualität von Pegasus schon häufig gelobt worden. Auch ich tue dies erneut, denn stetige Wiederholung macht die Tatsache, dass Pegasus hochwertiges Material erstellt, nicht unwahrer. Ein massives Hardcover, ansprechende Covergestaltung, eine Faltkarte, die in einer dreieckigen Kunststofflasche steckt, im Vergleich zu der Berge des Wahnsinns-Kampagne wieder gutes, leserfreundliches Layout mit ordentlichen Kontrasten. Bebilderung, Illustrationen, Handouts, zeitgenössische Fotografien: alles top!

 

Inhalt

Das Buch ist massiv und bietet dem geneigten Leser viel. Knapp hundert Seiten werden für Hintergründe und den Quellenteil verwendet. Der deutlich umfangreichere Rest des Buches ist dann den Abenteuern und Handouts vorbehalten. Ein umfangreiches Vorwort erleichtert den gezielten Einstieg in den Band, gefolgt von einem Glossar, in dem die wichtigsten Orte im Lovecraft-Country (dieses Buch ist Band 5 der Compilation) vorgestellt werden.

 

Quellenteil

Willkommen in Kingsport heißt es zunächst und gibt dem Leser einen ersten kurzen Abriss über Kingsport im Allgemeinen. Dabei werden Themen wie Wetter(Nebel!), Öffnungszeiten und ein Überblick über die verschiedenen Gruppen der Einwohner (soziale Schichten, Fischer, Verwaltung, Polizei etc.) angesprochen und ein kleiner Exkurs spricht auch die Wohnsituation an. Es folgen ein geschichtlicher Überblick und eine Schilderung des Kingsport von heute. Als „verträumtes“ Städtchen am Meer erfreut sich Kingsport steigender Beliebtheit bei Touristen und Künstlern, hinkt jedoch insgesamt dem Fortschritt noch etwas hinterher. Obwohl das ursprünglich 1639 gegründete Fischerdörfchen auch sehr gute Zeiten in Fischerei, Seehandel und Schiffsbau hinter sich hat, hat es zeitweilig den Anschluss verpasst, setzt aber zunehmend auf Fremdenverkehr. (Und vielleicht den ein oder anderen „Naherholungssuchenden“ aus dem benachbarten Arkham?)

 

Neben der offensichtlichen Geschichte wird auch die okkult-cthuloide Historie nicht ausgespart, außer der Kapitelbezeichnung „Kult von Kingsport“ bzw. „Der Kult in der Gegenwart“ werde ich hier jedoch nichts veröffentlichen, um Spielern nicht den Spaß zu nehmen. Jedenfalls ist hier sehr detailliert und mit Spielwerten und Hintergründen gearbeitet worden, so dass diejenigen Spielleiter, die sich an die Lektüre von „Das Fest“ von Lovecraft erinnern können, hier gute, ergänzende Informationen erhalten.

 

Es folgt dann das umfangreiche Kapitel Kingsport und Umland: Ein Stadtführer. In der inzwischen von der Lovecraft-Country-Collection gewohnten Weise werden hier einzelne Stadtbezirke vorgestellt, wobei die einzelnen Lokalitäten so durchnummeriert sind, dass man sie auf der Karte schnell finden kann. Außerdem findet sich am Anfang des Kapitels eine Übersicht der wichtigsten Orte, aufgeteilt nach Kategorien wie „außergewöhnliche Orte“, „Dienstleistungen“, „Einzelhandel“, „Einzelpersonen“ oder „Öffentliche Einrichtungen“, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Das gesamte Kapitel gestaltet sich sehr übersichtlich, das Hin- und Herblättern beschränkt sich dank der guten Ordnung innerhalb des Kapitels auf ein Minimum, so dass auch eventuelle „Spontanbesuche“ von Orten innerhalb Kingsports durch die Spielercharaktere am Spieltisch nur kurze Verzögerungen im Spielfluss nach sich ziehen dürften. Neben den Beschreibungen der einzelnen Orte finden sich auch Werte und Hintergründe von NSC und Gegenständen in den jeweiligen Einträgen wieder. Das ganze schön bebildert, mit Infoboxen versehen und übersichtlich. Jedes Stadtviertel wird zudem mit einem kleinen Text eingeleitet, der die jeweilige Stimmung und das „große Bild“ vermittelt, bevor dann in den Einzeleinträgen detailliertere Informationen folgen. Insgesamt lernt man so beispielsweise das Hafenviertel, Central Hill, Downtown oder auch das Umland kennen. Selbst wenig erfahrene Spielleiter werden bei dem ein oder anderen Eintrag sofort den Kopf voller Ideen für mögliche Szenarien innerhalb von Kingsport bekommen.

 

Allerdings, so historisch wertvoll und pittoresk Kingsport und der landschaftsprägende Bergrücken Kingsporthead auch sein mögen, hält man sich in dieser Stadt auf, ist so mancher Geplagt von schweren Träumen, wie es im folgenden Kapitel überschrieben steht. Hier wird der Spielleiter noch einmal auf die Besonderheit der Stadt hingewiesen, die doch dem ein oder anderen Bilder beschert, die er gerne vergessen möchte – schließlich ist der Schleier der Realität an diesem Ort nun nicht wirklich dick ausgefallen…und genau das erlebt man in den folgenden Abenteuern immer wieder!

 

 

Abenteuer

Bis auf Eternity und Hexenjagd sind alle Abenteuer dem US-Band von Kingsport entnommen.

 

Träumereien und Kapricen startet für Cthulhu klassisch: es gibt einen Selbstmord. Die Spielercharaktere werden bei den Ermittlungen in die Künstlerszene der Stadt eintauchen. Dies gelingt dem Abenteuer recht gut, erfordert jedoch zumindest ein literarisches Grundinteresse (wenigstens) des Spielleiters und am besten auch der Spieler. Ist dies gegeben, so kann dies ein sehr anspruchsvolles aber spannendes Abenteuer rund um Texte, Realität, Wahrnehmung und Kunst werden. Das Grundthema von Kingsport schlechthin, nämlich „Traum oder Realität…oder beides?“ wird hier sehr gut transportiert.

 

Tot im Wasser ist ein relativ einfaches Abenteuer rund um das Thema „Geisterschiff“, das wenig überrascht, mit einem guten SL und etwas Vorbereitung jedoch auch stimmungsvoll umgesetzt werden kann. Allerdings ist die Handlung hier (was bei Cthulhu-Abenteuern im Gegensatz zu anderen Systemen nicht schlimm sein muss) sehr stark vorgegeben. Ich werde es wahrscheinlich nicht leiten wollen.

 

Die Hure von Baharna ist ein Abenteuer, welches die Charaktere als Träumer in die Traumlande führt. Das Vorhandensein des Traumlande-Quellenbuchs ist dabei nicht erforderlich, aber im höchsten Maße unschädlich. Lovecrafts Traumlande sind sicherlich eine Geschmacksfrage, wenn sich die Charaktere jedoch auf Kingsport einlassen wollen, muss man wohl auch damit rechnen. Ich fand die Lektüre etwas verwirrend, das Szenario hätte an der ein oder anderen Stelle etwas detaillierter, aber vor allem gegliederter sein dürfen.

 

Das Bildnis führt uns zurück zu Kingsports Künstlerkolonie, und darüber hinaus auch nach Arkham(diesen Quellenband hat wohl hoffentlich schon jeder, wenn nicht: kaufen!). Es geht um vier vermisste Jugendliche, die alle in Verbindung mit einem bestimmten Künstler standen. Dieser Künstler wiederum steht jedoch in Verbindung mit … das sollte ich besser nicht verraten. Ein sehr anspruchsvolles Abenteuer, das teilweise skurrile Traumsequenzen und einige, einen erfahrenen Spielleiter benötigende Nichtspielercharaktere enthält. Ein sehr gelungenes Abenteuer, das viel verlangt, jedoch lange in Erinnerung bleibt. Hier überwiegt der reale Schrecken, der supernatürliche Mythosanteil schwingt nur subtil mit. Bislang eines der besten Szenarien für Cthulhu überhaupt!

 

Eternity ist ein sehr gelungenes, neues Abenteuer. Thema sind hier alte Seefahrer-Legenden und deren Auswirkungen auf die Gegenwart, ein Abenteuer, das sehr stimmungsvoll in der Lage ist, ganze Welten zu überwinden. Außerdem gibt es Spionage, Militär und „Superkräfte“ – insgesamt gelungenes Abenteuer, man muss sich aber auch darauf einlassen können.

 

 

In Hexenjagd bekommen es die Spieler mit einer scheinbar planlosen Reihe von Todesfällen von Bürgern Kingsports zu tun. Ein nachforschungsintensives Abenteuer, welches sich eher an mythoserfahrene Charaktere richtet, die aber Gelegenheit bekommen, mehr über den Kingsport-Kult zu erfahren. Geradlinig, stimmungsvoll, atmosphärisch dicht, zum Abschluss spektakulär und (das darf ja auch mal sein) relativ einfach vorzubereiten und zu leiten. Absolut gelungen!

 

Das Haus am Rande hat für Lovecrafts treue Leser einen enormen Wiedererkennungseffekt. Es beginnt sehr stimmungsvoll, ist typisch „Kingsport“, hat aber wenige (bis keine) Wendepunkt und ist strikt linear. Mit einem guten SL sehr gut machbar und dann sicherlich (weil nah an HPLs Werk) ein Highlight. Für Spieler die auch andere Systeme spielen, könnte es jedoch zu sehr in Richtung „Railroading“, sprich Spielercharaktere an der kurzen Leine, gehen. Trotz der Linearität dennoch angenehm realitätsverzerrend. Sollte man sich für den Schluss aufheben, wenn man mit Kingsport abgeschlossen hat und absehbar ist, dass die Charaktere nicht mehr zurückkehren.

 

 

Fazit:

Ein sehr gelungener Band, der sich vor allem für alle Freunde des Lovecraft-Country lohnt. Besitzer des Arkham-Bandes bekommen neue Abenteuerkost in der Nachbarschaft spendiert, wobei man getrost sagen kann, dass alleine schon die fast allesamt sehr guten Abenteuer den Kauf von Kingsport bereits lohnen würden. Das Spiel mit Traum und Wirklichkeit lässt eine andere Herangehensweise an den Mythos erkennen, die gerade erfahrene Spieler aus der gewohnten Vorgehensweise (stark vereinfacht: Recherche, Recherche, Handout entziffern, Schwachstelle finden, Monster verkloppen) herausholt uns sie vor neue Herausforderungen stellt. Der Quellenteil ist detailliert, super geordnet und stimmungsvoll bebildert, die Handouts sind toll und man kann, wenn man denn will, sicherlich monatelang in Kingsport spielen, recherchieren, Schrecken er- und überleben. Dazu kommt das wirklich in den Texten sehr gut eingefangene, zeitgenössische Neuengland-Gefühl, verbunden mit einer (in diesem Band eher dezenten) Lovcraft-Mythos-Note. Wer Realitätsspielereien und viel Text nicht unbedingt mag, sollte einen Blick vorab hinein werfen, für alle anderen gilt: uneingeschränkte Kaufempfehlung!