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Surcouf 1 – Die Geburt einer Legende
Bewertung:
(3.8)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 09.01.2014
Autor:Arnaud Delalande, Erick Surcouf (Autoren) und Guy Michel (Zeichnungen)
Übersetzer:Tanja Krämling
Typ:Comic / Graphic Novel
Setting:Piraten um 1800
VerlagSplitter Verlag
ISBN/ASIN:978-3-86869-625-7
Inhalt:48 Seiten, Hardcover
Preis:13,80 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt:

Am 29. Januar 1796 gelingt es dem jungen französischen Kapitän Robert Surcouf das englische Schiff „Triton“ in der Straße von Bengalen zu kapern. Es ist bei weitem nicht sein erstes Schiff, aber sein bislang größter Erfolg, der nunmehr auch die englische Heimat beschäftigt. Die renommierte Tageszeitung „Times“ schickt den jungen Journalisten Jonas Erasmus Wiggs los, um mehr über diesen mysteriösen Surcouf in Erfahrung zu bringen, der die größte Marine der Welt erzittern lässt. Handelt es sich um einen Freibeuter, einen Abenteurer oder einen Helden?

 

Getarnt als amerikanischer Geschäftsmann John J. James begibt sich Wiggs nach Saint-Malo, der Geburtsstadt von Robert Surcouf, wo er vom Hafenmeister Le Kellec einiges über dessen Jugendjahre in Erfahrung bringen kann: Ungestüm und stets bereit Kopf und Kragen zu riskieren, schicken die wohlhabenden Eltern ihren Jungen in ein von Jesuiten geleitetes Internat. Doch auch hier hält es Robert, den es nach Abenteuern dürstet und der mit den strengen Regeln des Internates nicht zurecht kommt, nicht lange aus.

 

In einer Spelunke namens „La Bolée“ trifft er auf den Fischer Becqueux, der die Geschichte von Le Kellec weiter erzählen kann und berichtet, wie die Eltern von Robert diesen 1787 als erzieherische Notmaßnahme als Matrose auf die Brigg „Héron“ vermitteln, damit Robert endlich Disziplin kennen lernt. Hier hält es ihn nicht lange und er heuert 1789 als Freiwilliger auf dem Dreimaster „Aurore“ an, wo er eine fundierte Ausbildung erhalten soll.

 

Wiggs folgt weiter der Spur nach Freunden und Weggefährten von Surcouf und trifft auf Kapitän Lavarain, der ihm von Surcoufs ersten Erfahrungen im Sklavenhandel in Port Louis auf der Ile de France erzählt, aber auch von dem Wunsch nach Hause zurückzukehren und seine Freundin aus Kindertagen zu heiraten, die Tochter eines reichen Reeders.

 

So wird der Leser weiter mitgenommen auf der Entdeckungsreise des Journalisten Wiggs, der sich dem Mythos Surcouf auf Umwegen und Erzählungen Dritter langsam nähert, um irgendwann persönlich diesem Menschen gegenüberzustehen, von dem er so viel gehört hat.

 

Schreibstil & Artwork:

Der Franzose Arnaud Delalande, geboren 1972, ist hautberuflich Drehbuchautor und Schriftsteller. Von seinem ersten Roman „Notre Dame sous la Terre“ wurden mehr als 10.000 Exemplare verkauft und dieser auch in mehrere Sprachen übersetzt. Sein historischer Kriminalroman „Le piège de Dante“ (dt. Die Dante-Verschwörung) wurde in 17 Sprachen übersetzt. „La lance de la destinée“ (dt. Die Lanze des Herrn) wurde in Frankreich ein großer Erfolg und für das Fernsehen sogar als Mehrteiler verfilmt. Für seine Arbeit erhielt er 1998 den „Prix Evasion des Relais H“ sowie den „Prix Charles Oulmont“ der Fondation de France. Arnaud Delalande ist Mitglied der „Société des auteurs de Normandie“. Nach dem großen Erfolg der Comic-Reihe „Le Dernier Cathare“, entschloss er sich zur Arbeit an der Reihe „Surcouf“.

 

Wer würde sich als Co-Szenarist und Berater besser eigenen, als der 08.05.1948 geborene Erick Surcouf, der Ur-Ur-Neffe von Robert Surcouf, dem berühmten „König der Piraten", der sich beruflich nicht nur als Schatzsucher, sondern auch als Schriftsteller betätigt.

 

Als erster unabhängiger französischer Forscher führt Erick Surcouf seit dreißig Jahren erfolgreich auf allen sieben Weltmeeren archäologische Unterwasserfahrten auf der Suche nach versunkenen Schiffen und deren Schätze an. Und so hat er zahlreiche Expeditionen organisiert und fand weltweit dutzende Wracks aller Art: spanische Galeonen, portugiesisch Karavellen, Schiffe der niederländischen Ostindien-Kompanie, englische und französische Piratenschiffe, chinesische Dschunken, sei es in der Nähe von Haiti, in der Straße von Mosambik, Mauritius, den Seychellen oder Indonesien. Nach einigen Romanen über seinen Großvater, aber auch über seine eigenen Entdeckungen und Erlebnisse, ist die Splitter-Reihe „Surcouf“ sein erster Comic.

 

Die Seekriege in der Ägide Napoleons haben viele Heldenlegenden hervorgebracht. Frankreich erinnert sich besonders gern an den legendären Robert Surcouf, der wie keine andere Gestalt derartig von Legenden, Anekdoten und Heldengeschichten umrankt ist und als französischer Korsar Anfang des 19. Jahrhunderts die Briten erzittern ließ. Schon zu Lebzeiten eine Legende, diente Surcouf dem französischen Seefahrervolk in den nächsten Dekaden als Stütze des Nationalstolzes für eine Ära, in der Frankreich ansonsten an Land brilliert hatte, zumal sich sein abenteuerliches Leben vorzüglich eignet, um von Romanciers oder wie im vorliegenden Fall, von Szenaristen verarbeitet zu werden. Den Kunstgriff, mit der Figur von Jonas Wiggs einen Journalisten der „Times“ auf die Spur von Surcouf zu setzen, der Stück für Stück die Lebensgeschichte des legendären Heldes erzählt, entpuppt sich als Glücksfall, können doch große Etappen des unsteten Lebens auf grandiose Ausschnitte reduziert werden und lassen das Szenario hierdurch überaus authentisch wirken.

 

Es dürfte vornehmlich Arnaud Delalande sein, der sich für das Szenario verantwortlich zeigt und durch Erick Surcouf einige Unterstützung in Sachen historischer Genauigkeit bekommt. Zwar bleibt Delalande dicht an der Wirklichkeit, aber wo es keine genauen Aufzeichnungen oder Berichte gibt, kann er seiner Phantasie freien Lauf lassen. Was zu Beginn des Szenarios vielleicht noch etwas trocken wirkt, entwickelt sich auf den folgenden Seiten zu einem recht überzeugenden Szenario, in dem auch die Dialoge der Akteure (die sich zum Teil auf damalige Hintergründe beziehen) nicht zu kurz kommen.

 

Guy Michel wird am 29. Juli 1975 in Miragoane (Haiti) geboren. 1986 kommt er nach Frankreich, wo er in Paris an der Universität Sorbonne Nouvelle sein Kunststudium antritt, das er aber schon nach kurzer Zeit abbricht. Er kehrt in seine Heimat zurück, in der nach der Verfassungsreform von 1987 das Militär, unterstützt durch die reiche Oberschicht, putschte und bis zu den Wahlen 1990 regierte. Enttäuscht von den chaotischen Zuständen auf Haiti kehrt nach Paris zurück und beginnt Jura zu studieren.

 

Über die Arbeit für das Fanzine „Avenir“, lernt Guy Michel den Szenaristen Jean-Luc Istin kennen, der seit 1999 für das Fanzine arbeitete. Gemeinsam arbeiten Istin und Michel an der Reihe „Aquilon“ und „Arthur Pendragon“. 2003 zeichnet er den Abschlussband von Petit d'homme (dt. Winzling) nach einem Szenario von Crisse. Mit Jean-Luc Istin ist Guy Michel nicht nur freundschaftlich, sondern auch durch mehrere erfolgreiche Comicprojekte verbunden. Er beteiligt sich als Zeichner an der Serie "Les Contes de Korrigan" (Editions Soleil) und an den 4 Bänden von „Contes de Brocéliande“. Seit 2005 entsteht die Reihe „Sang du Dragon“ (dt. Drachenblut), von der 2007 der erste Band erschienen ist.

 

In seiner Gestaltung verzichtet Guy Michel weitestgehend auf das klassisch gewohnt Gutter. Hier setzt er Wert auf grafische Elemente oder breitformatige Panels, die gleichsam den Panelrahmen sprengen oder sich vor dem Hintergrund manchmal seitengroßer Hintergrundbilder entfalten. In der Ausgestaltung seiner Hintergründe – insbesondere auf den unterschiedlichen Schiffen – zeigt sich ein recht schön anzuschauender Detailreichtum, der manchmal allerdings etwas zu glatt wirkt. Hier hätten Schraffuren für mehr Atmosphäre gesorgt. Was für das Szenario gilt, macht auch vor der historisch korrekten Gestaltung von Kleidung, Ausstattung und Benehmen keinen Halt. Im Zusammenspiel mit den Figuren und den Perspektiven entstehen viele schöne Bilder, doch die Ausgestaltung ist etwas ungleichmäßig ausgefallen, Gesichter und Bewegungen wirken oftmals zu glatt, statt zugunsten von Emotionen und Spannung zu strotzen. Unterstützt wurde Guy Michel von Zeichner Steven Cabrol und so stellt sich mir die Frage, ob es nicht vielleicht hier und da einige Abstimmungsprobleme in der Ausführung gab. Die Kolorierung von Simon Quemener mit ihren kräftigen und vornehmlich dunklen Farben in Braun, Blau und Schwarz sorgt für ein stimmungsvolles Gesamterscheinungsbild des Szenarios und zeugt von einem sicheren Gespür für die Bedeutung der Farbgebung.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung:

Wie immer braucht sich dieser Hardcoverband des Splitter Verlages in Sachen Qualität nicht zu verstecken. Für sein Geld erhält der Leser einen solide verarbeiteten Band in schöner Hochglanzoptik, der sowohl durch seine gute Verarbeitung, ein sauberes Druckbild und die gelungene Übersetzung von Tanja Krämling überzeugt. In Sachen Ausstattung gibt es am Ende des Bandes einige großformatige Skizzen, von denen ich gerne mehr gesehen hätte. Aber vielleicht gibt es bei den noch folgenden Bänden einen entsprechenden Nachschlag.

 

Fazit:

Ende des 18. Jahrhunderts, als die Revolution in Frankreich in vollem Gange ist und England über Weltmeere herrscht, schickt sich der eigentlich eher untersetzte und etwas dickliche Surcouf, der kein wilder Draufgänger war, sondern ein überdurchschnittlich intelligenter Geschäftsmann mit der Begabung, Chancen zu erkennen und zu nutzen, an, mit einem Kaperbrief gegen die überlegenen Engländer ins Feld zu ziehen. Weniger leidenschaftlicher Patriot, noch Anhänger der Revolution oder erklärter Gefolgsmann Napoleons, sondern stets auf seinen Vorteil bedacht, entstand ein Mythos, dem dieser zugegebenermaßen recht französische Band ein weiteres Stück Verklärung draufsetzt. Doch das ist nicht schlimm, lässt sich dieser Band trotzt seiner zahlreichen Handlungsorte und Sprünge in der Entwicklung vom Jungen zum Kapitän überaus angenehm lesen und macht neugierig auf die folgenden Bände. Allerdings sollte man schon ein gewisses Faible für historische Stoffe und maritimes Flair mitbringen, um auch kleineren Verweisen in den Texten sinnvoll folgen zu können. Für mich eine Empfehlung für Freunde historisch-maritimer Abenteuer, die weiterhin den Wunsch nach einem guten deutschen Störtebeker-Comic aufkommen lässt.