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Der Große Tote 2 - Pauline
Bewertung:
(3.7)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 20.05.2010
Autor:Régis Loisel und JB Djian (Autoren) und Vincent Mallié (Zeichnungen):
Übersetzer:Uwe Löhmann
Typ:Comic / Graphic Novel
Setting:Urban Fantasy
VerlagEhapa Comic Collection
ISBN/ASIN:978-3-7704-3282-0
Inhalt:64 Seiten, Hardcover
Preis:12,00 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt:

Gegen Ende des ersten Bandes erreicht die Gruppe der Reisenden, die aus Pauline, Erwan und vier Vertretern der Clans des Kleinen Volkes besteht, den Großen Toten – ein gigantisches menschliches Skelett – um das bereits angedeutete Ritual durchzuführen. Pauline bleibt es verwehrt an diesem Ritual teilzunehmen, doch kämpft sie ohnehin mit einer seltsamen Übelkeit, die sie plötzlich übermannt und die Erwan auf den Genuss eines besonderen Trankes des Kleinen Volkes zurückführt. Doch das Ritual in dem Kopf des riesigen Skelettes und einer anderen Kultstätte entwickelt sich in seiner Gesamtheit anders als erwartet und scheinbar ist eine Intrige im Gange, die Erwan nicht einschätzen kann. Bevor er jedoch handeln kann, verschlägt es ihn wieder zurück in unsere Welt.

 

Da die Wirkung der Tropfen aufgehört hat, ist Pauline bereits vor Erwan wieder in unsere Welt zurückgekehrt. Doch zu ihrem Erstaunen ist es Winter, als sie ziemlich verfroren in ihrem Sommerkleid vor dem Haus von Cristo steht, welches verlassen ist und das nunmehr zum Verkauf angeboten wird. Erschrocken über die Geschehnisse macht sie sich auf den Weg zur Straße, wo sie als Anhalterin von einem Auto mitgenommen wird und der Handlungsfaden sich wieder Erwan zuwendet.

 

Das Elixier von Cristo – die Tränen der Bienen – zeigt auch bei der Rückkehr von Erwan die angedeutete Wirkung, da die Zeit in unserer Welt wesentlich schneller vergangen ist. So schreibt man mittlerweile das Jahr 2011, wie Erwan schmerzlich erfahren muss, als er wieder am Haus von Cristo auftaucht und dort eine fremde Familie vorfindet, die in der Sommerfrische damit beschäftigt ist zu grillen. Cristo, so der neue Besitzer, ist schon vor längerem verstorben und da er scheinbar keine Familie hatte, wurde sein ganzer Besitz verkauft, darunter auch die Bücher und seine anderen Utensilien.

 

Zum Glück hatte Erwan vorgesorgt und seine eigene Unterkunft seinem guten Freund Jerome überlassen, der sich in der Zwischenzeit auch um die Geschäfte von Erwan kümmern sollte. Jerome freut sich über das unerwartete Wiedersehen mit Erwan, von dem er annahm er sei auf einer exotischen Weltreise. Er erzählt ihm, das Pauline vor rund sechs Monaten mitten im Winter vor seiner Tür stand und nach ihm fragte. Auch wenn er nicht wusste, wo Erwan zu dieser steckte, so hinterließ Pauline einen Brief für Erwan, der ihn dazu veranlasst nach Paris zu reisen.

 

Erwan macht sich also aus der ländlichen Idylle der Bretagne auf den Weg nach Paris, um dort Pauline zu treffen. Langsam aber stetig wird er mit den Ereignissen der großen Welt konfrontiert, als er mit dem Zug immer weiter in Richtung Paris kommt: Eine gigantische Wirtschaftskrise lähmt die Staaten weltweit und hat auch Frankreich nicht verschont, überall entstehen neue Krankheiten und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie auch seine Heimat erreichen und selbst der Klimawandel scheint sich beschleunigt zu haben.

 

Das Ausmaß der Katastrophe wird Erwan erst richtig in Paris bewusst, als er das Bahnhofsgelände verlässt und die Bettler und Obdachlosen auf den Straßen sieht und sich der bereits von Jerome geäußerte Eindruck über die Lage bestätigt – es scheint alles vor die Hunde zu gehen. Die ganze Stadt ist geprägt von Verarmung, Furcht und Unruhen, die sich immer wieder in Plünderungen oder Demonstrationen äußern.

 

Erwan macht sich mit einem Taxi auf den Weg in die Rue de Charenton Nr. 2411, der Adresse von Pauline. Doch der Verkehr fließt wegen einer Demonstration nur langsam und so steigt Erwan einige Blocks vor seinem Ziel aus, um sich zu Fuß weiter zu begeben. Unterwegs trifft er Jacques Labrosse, einen Mann mit dem er ins Gespräch kommt als er diesen nach dem Weg fragt und der ihm einiges über die Entwicklung des Landes in den letzten Monaten erzählen kann, die ihn selbst und seine Familie persönlich tief getroffen haben.

 

Angekommen in der Rue de Charenton Nr. 2411 muss Erwan leider feststellen, das Pauline wohl vor drei Monaten umgezogen ist. Eine ältere Frau, die im gleichen Haus wohnt, erzählt Erwan von Pauline und deren Tochter. Erwan ist verblüfft, war doch bei Pauline nie die Rede von einer Tochter, doch erinnert er sich an die Übelkeit von Pauline und so könnte unter Umständen doch die Möglichkeit bestehen, das durch die Zeitverschiebungen Pauline bereits schwanger war und das Kind hierdurch schneller zur Welt kam? Zumindest kann ihm die ältere Frau die neue Adresse von Pauline geben.

 

Mit der U-Bahn fährt Erwan nach Ivry-sur-Seine, einem heruntergekommenen Vorort von Paris, wo sich Pauline zur Zeit aufhalten soll. Doch unter der neuen Adresse kann er keine Pauline Mercier finden. Der Hinweis auf einem nicht nachgesandten Brief für Pauline am Briefkasten führt ihn schließlich zu einer weiteren Adresse, da Pauline scheinbar in eine anderes Appartement umgezogen ist. Doch auch hier wird Erwan von neuem enttäuscht. Scheinbar ist Pauline vor zwei Wochen auch aus dieser Wohnung ausgezogen. Der neue Mieter verweist Erwan auf die Nachbarin von gegenüber, die Pauline wohl recht gut kannte. Nach anfänglichem Zögern erfährt Erwan von deren Sohn einiges über Pauline und ihre Tochter – auch das sie bei McDonalds an der Place d´Ítalie gearbeitet hat und er sich vielleicht dort ihre neue Adresse besorgen kann.

 

Müde von seiner Suche nach diesem ersten Tag in Paris macht sich Erwan abends auf den Weg in ein kleines Hotel. Hier öffnet er nach einigem zögern den Brief, den er aus dem Briefkasten in Ivry-sur-Seine mitgenommen hat. Er scheint von Gaelle, einer Freundin von Pauline zu stammen. Über einige Umwege findet Erwan die Adresse dieser Freundin heraus – irgendwo muss es doch schließlich einen Hinweis auf Pauline und ihr Kind geben. Doch bei Gaelle erwartet Erwan eine gänzlich andere Überraschung!

 

Schreibstil & Artwork:

Der Bretone Régis Loisel wurde 1951 in Saint-Maixent, Frankreich, geboren. 1972 erschien seine erste Veröffentlichung „Les Pieds Nickelés Magazine“. Im folgenden Jahr besuchte er an der Universität Vincennes Comiczeichenkurse, die insbesondere durch Jean-Claude Mézières („Valerian und Veronique") animiert wurden. Hier lernte Loisel auch den Zeichner und Szenaristen Serge Le Tendre kennen und so entstanden bereits 1975 einige Seiten der Serie „Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit“ („La Quête de l'oiseau du temps“) für das Magazin „Imagine“.

 

Seinen endgültigen Durchbruch schaffte er, als 1982 der erste Band des Zyklus „Die Suche nach dem Vogel der Zeit“ veröffentlich wurde (der zuerst im Magazin „Charlie Mensuel“ veröffentlicht erschien) und sich in der in der Folgezeit für einige frankobelgische Fantasyreihen stilbildend herausstellte. Er illustrierte aber auch die sexuellen Fantasien des Autors Le Guirec im Comic „Freudenfeste“.

 

1991 erschien der erste Band seiner Adaption von „Peter Pan“, für das er unter anderem 1992 den „Max-und-Moritz-Preis“ der Stadt Erlangen erhielt, wobei es allerdings bis zum Jahr 2005 dauern sollte, das der sechste und letzte Band der Reihe erschien. Doch neben der langwierigen Arbeit an dieser Reihe zeigt sich Loisel recht umtriebig und veröffentlichte in dieser Zeit eine ganze Reihe Einzelalben als Autorencomic oder arbeitet als Szenarist oder Zeichner für Kollegen.

 

2006 erscheinen die beiden ersten, der auf fünf Bände ausgelegten Erzählung seiner dritten großen Serie „Das Nest“ („Magasin Général“), bei denen er mit dem Künstler Jean-Louis Tripp zusammengearbeitet hat und die das Leben in dem winzigen Dorf Notre-Dame-des-lacs portraitiert.

 

Jean-Blaise Mitildjian, besser bekannt unter seinem Pseudonym „Djian“ wurde 1953 in Courbevoie, einem Vorort nordwestlich von Paris, geboren. Obwohl ein leidenschaftlicher Comic-Freund, arbeitete er zunächst allerdings als Komponist und als Freiberufler im Lebensmittelhandel, ehe er 1987 Régis Loisel kennen lernte. Wenn man natürlich niemand geringeren als Loisel als Tutor gefunden hat, so hilft dies ungemein und so konnte Djian die Erfahrung von Loisel für das Verfassen von eigenen Szenarios nutzen. Gemeinsam schufen sie 1988 ein vierseitiges Szenario für das Album „Le Retour de la Bande à Renaud“, das bei Delcourt veröffentlicht wurde und ihm zum Durchbruch verhalf. In den folgenden Jahren entstand mit dem Zeichner Adrien Floch für den Verlag Soleil die SF-Reihe „Fatal Jack“. Weitere Arbeiten mit zahlreichen anderen Zeichnern sollten folgen, unter anderem mit Emmanuel Proust, Alain Zibel und Jean-Francois Cellier um nur einige zu nennen. Dabei zeigt sich Djian in den unterschiedlichsten Bereichen als äußerst kreativ, egal ob es sich um Science-Fiction, Western oder Fantasy handelt.

 

Auch der zweite Band lässt den Leser darüber im Unklaren, was nun eigentlich die Aufgabe von Erwan ist und was es mit der Verbindung des „Großen Toten“ zu unserer Welt und dem Kleinen Volk auf sich hat. Hat der erste Band noch durch eine sehr einfach und scheinbar geradlinige Erzählung bestochen, so wird der Leser nunmehr in eine Welt geführt, die eher dem sich abzeichnenden Untergang anheim fällt, als das eine Erlösung in greifbarer Nähe sei. Inmitten dieser zum Teil schon fast apokalyptischen Stimmung wandert Erwan, der stoische Protagonist, durch ein düsteres Paris auf der Suche nach Pauline. Ein wenig schmunzeln musste ich schon, als sich herausstellte, das Erwan sein Lebensunterhalt mit dem Anbau von Hanf hinter seinem Haus verdient – vielleicht eine Ursache für seinen ausgeglichenen und ruhigen Charakter?

 

Zumindest haben die Autoren Loisel (wenn auch nur als Ideengeber) und Jean-Blaise Djian ganze Arbeit geleistet, da sich hinter der vermeintlich banalen Geschichte um die Verstrickung zweier Welten viel mehr zu verbergen scheint, als man auf den ersten Blick meint und man begierig darauf ist zu erfahren, was sich hinter diesen ganzen Geschehnissen verbirgt.

 

Pauline scheint schwanger geworden zu sein und hat ein Kind auf die Welt gebracht, doch wie soll dies möglich gewesen sein, da sie noch in der anderen Welt keinerlei Anzeichen einer Schwangerschaft zeigte und wie kann sich unsere Welt innerhalb kürzester Zeit so dramatisch verändern? Fragen die Erwan beschäftigten, als er auf der Suche nach Pauline auf Antworten hofft, sie allerdings nicht erhält.

 

1992 schloss sich der Franzose Vincent Mallié einem Kunstatelier in Paris an. Er studierte grafische Kunst für zwei Jahre, bevor er als Storyboard-Zeichner und Auszubildender für Bühnenmalerei arbeitete. Gemeinsam mit Joel Parnotte gestaltete er 1996 erste kurze Comic Geschichten für die Zeitschrift „Golem“. Gemeinsam starteten sie die Reihe „Les Aquanautes“ im Jahr 2000. In 2003 begann Mallié gemeinsam mit dem Szenaristen Jérôme Félix die „L´Arche“ sowie die Reihe „Hong Kong Triade“.

 

Der Zeichner Vincent Mallié ist sehr bemüht um Kontinuität und dies merkt man seinem sicheren und glatten Strich an. Der Bildaufbau und –ablauf ist weiterhin sehr großzügig, aber auch recht konventionell gestaltet und als Leser ist man vielleicht etwas enttäuscht über den allzu sauberen und aufgeräumten Stil von Mallié, der die Ideen von Loisel und Djian zwar technisch sehr gut umsetzt, denen aber manchmal das gewisse Etwas fehlt, um den Leser anzustecken.

 

Die Figuren des zweiten Bandes überzeugen durch ihre gekonnte Darstellung in Mimik und Bewegung, ebenso wie die großzügige Anordnung der Panels, in denen er sich viel Platz für seine Darstellung nimmt. Loisel scheint in diesem Comic wirklich nur der Ideengeber für das Szenario gewesen zu sein, da man der Arbeit von Mallié nicht anmerkt, das sie von ihm beeinflusst sei. Wer also meint, er würde einen „echten“ Loisel-Comic kaufen, den muss ich an dieser Stelle leider enttäuschen.

 

Während der erste Band sich noch durch die wunderbare, fast heitere Darstellung der Natur in der Bretagne und der Landschaften im Land des Kleinen Volkes auszeichnete, so wechselt diese Darstellung mit der Zugreise nach Paris wunderbar über in das graue und von Tristesse gekennzeichnete Paris. Erneut zeigt sich hierin auch die hervorragende Zusammenarbeit von Mallié mit dem Koloristen Lapierre, der es ohne Probleme wiederum schafft Paris in passende Grau-, Braun- und Beigetöne zu tauchen.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung

In Sachen Qualität braucht sich braucht sich die „Ehapa Comic Collection“ mit Sicherheit nicht vor der Konkurrenz zu verstecken und so überzeugt der Hardcovereinband durch solide Verarbeitung und die Bilder durch ein angenehm frisches Druckbild. Die Ausstattung – wie so oft auch schon bei anderen Verlagen moniert – lässt zumindest aus meiner Sicht einige Wünsche offen. Gerne hätte ich mir einen Kommentar von Loisel zu seiner Idee für diese Geschichte durchgelesen oder aber auch einen Blick in das Skizzenbuch geworfen, doch leider wird der Leser hier enttäuscht. Die Übersetzung von Uwe Löhmann ist absolut in Ordnung und lässt sich angenehm lesen.

 

Fazit:

Die wundersame und phantastische Geschichte um die seltsame Reise von Erwan und Pauline erhält im zweiten Band eine neue Facette. Stand im ersten Band noch das Ritual des „Großen Toten“ im Vordergrund, so steht nunmehr die Verbindung der beiden Welten im Fokus der Erzählung. Bei dem Ritual ist etwas anders verlaufen und diese Änderung wirkt sich auch äußerst negativ auf unsere Welt aus, wie man unschwer an der fast schon apokalyptischen Stimmung in Paris entnehmen kann. Mit seiner wunderbar leichten und unbekümmerten Art sucht Erwan in Paris nach Pauline, auch wenn seine Motive hierfür eigentlich nicht richtig deutlich werden. So begleitet man ihn und fragt sich ebenfalls, was es mit dem Kind von Pauline auf sich hat, warum sich die Welt innerhalb kürzester Zeit so negativ entwickelt hat und ob es eine Lösung für das aus dem Lot geratene Gleichgewicht zwischen den Welten geben wird.

 

Selbst wenn man als Leser diese wunderbar leichte und sehr schön erzählte Geschichte mit vielen Fragen verfolgt, die nicht beantwortet werden, so bleibt sie doch überaus sehens- und lesenswert und man ist geradezu gespannt auf den nächsten Band der Reihe. Für mich eine überaus gelungene Reihe, die zwar nicht mit spektakulären Bildern oder einer bahnbrechenden Story aufwarten kann, aber einen sehr eigenen und ruhigen Charme besitzt, der einen gefangen nimmt.