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Yiu - Die Apokalypse 6 - Das Buch des Lichts
Bewertung:
(3.9)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 11.05.2011
Autor:Téhy (Szenario), Nicolas Guenet (Zeichnungen) und J. M. Vee (Ausarbeitung)
Übersetzer:Tanja Krämling
Typ:Comic / Graphic Novel
Setting:Science-Fiction
VerlagSplitter Verlag
ISBN/ASIN:978-3-86869-004-0
Inhalt:72 Seiten, Hardcover
Preis:14,80 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt

„In alten Schriften heißt es, dass im Moment der Zeugung in jedem von uns ein Buch geschaffen wird – das Buch des Lichts. Man nennt es Volumen Magnificientiarum. Und dieses Buch sieht alle deine Taten und kennt alle deine Geheimnisse. Es wächst mit uns heran. Es ist unsere Geschichte…“

 

Das Zentrum von Jerusalem: Am Fuße der zerstörten Ökumenischen Festung liegt die von Delfi Miyazannhauer erschaffene Kreatur, welche Tod, Zerstörung und die Vorboten der Apokalypse zur Welt brachte, im Sterben. Der Körper wird immer noch von Shiva-Teks, kybernetischen Wesen, welche von den „Hinduisten der letzten Entsagung“ geschickt wurden, bewacht. Aber die Gefahr ist bei weitem noch nicht gebannt, da überall energetische Replikanten der Kreatur erschienen sind, die sich anschicken Männer und Frauen in sich aufzusaugen und unter den Flüchtenden für noch größeres Chaos sorgen. Einzig die Eliteeinheit „Shoot-to-Kill“ ist dem ökumenischen Orden noch verblieben, die sich den Kreaturen mit aller Entschlossenheit entgegenstellt.

 

Unter dem Befehl von Major Erkii-Ys greifen die Männer in den ungleichen Kampf gegen die entfesselten Elemente der Hölle mit ihren Streitkräften ein und auch Yiu nutzt die Gelegenheit um sich in den Fahrzeugen der „Shoot-to-Kill“-Einheit mit neuen Waffen und Munition zu versorgen. Doch bevor sie sich dem letzten Kampf mit der sterbenden Kreatur stellt, meldet sich Medir Daka Daka Dakadiran als Braincopy in Yiu. Sein Körper ist zwar gestorben, aber seinen Geist konnte er als Persönlichkeit im Hirn von Yiu speichern und kann von hier aus auch selbständig agieren.

 

Währenddessen schickt sich der Geno-Chirug Claus Dreammaker in den gesicherten Katakomben des Krankenhauskomplexes Sankt Johannes von Jerusalem an, den Bruder von Yiu einer Totaltransplantation zu unterziehen, um ihn von seiner Krankheit zu heilen. Ein hochriskanter Eingriff, der bis dato noch nie an einem menschlichen Wesen vorgenommen wurde – doch die Auftraggeber von Yiu stehen in deren Schuld.

 

Während die Einheiten von Major Erkii-Ys in Kämpfe mit den Shiva-Teks verwickelt werden und schwere Verluste hinnehmen müssen, nutzt Yiu das Kampfgeschehen, um sich bis zur Kreatur zu bewegen. In ihr gibt es nur einen einzigen Wunsch – die Kreatur zu töten, damit sie ihren Auftrag erfüllt und ebenfalls zu ihrem Wort steht, um ihren Bruder retten zu können. Sie schießt dem Wesen direkt ins Herz – so lange, bis es aufhört zu schlagen.

 

Durch Daka erhält sie die Bestätigung, dass im OECU-Net die Meldung über die Operation an Ji-A existiert und alle notwendigen Schritte eingeleitet wurden. Doch wie soll Yiu jetzt zum Krankenhauskomplex gelangen – die Shiva-Teks sind immer noch nicht ausgeschaltet, die energetischen Wesen (die von den Menschen zum Teil als „Gefallene Engel“ bezeichnet werden) zwar verstummt aber immer noch existent und die Straßen durch die flüchtenden Menschenmassen ein einziges Chaos. Ein gefährlicher Weg liegt vor Yiu, wenn sie ihren Bruder wieder in ihren Armen halten möchte.

 

Schreibstil & Artwork:

Der Szenarist und Zeichner Thierry Terrason (Jahrgang 1966) studierte nach seinem BAC (Baccalauréat) zunächst an der renommierten „École de bandes dessinées“ in Angoulême, bevor er gemeinsam mit seinem Bruder im Animationsbereich zu arbeiten begann, bis er 1988 in den Bereich der Comics wechselte und erstmalig unter dem Pseudonym Téhy für den Verlag Vents d´Ouest an dem Band „La Teigne“ arbeitete und in Erscheinung trat. Allerdings blieb er dem Animationsbereich treu und arbeitete ab 1992 für verschiedene Fernsehsender, wie beispielsweise Canal J., Canal + und France 3 im Bereich Layout und Storyboard.

 

Andere Arbeiten folgten unter dem zweiten Pseudonym Jim, wobei er allerdings auch unter dem Namen Téhy Szenarios für Zeichner wie Béatrice Tillier („Fee et Tendres Automates“), Curd Ridel („Rigoletto Loustic“) oder aber Fredman und Gaston verfasste. Mit bislang über 70 veröffentlichten Alben, von denen mehr als eine Millionen verkaufter Exemplare unter dem Namen Jim bzw. über 300.000 unter dem Namen Téhy erschienen, dürfte Thierry Terrason, der Mann mit den zwei Pseudonymen, heute sicherlich zu den kommerziell herausragenden französischen Künstlern des Genres gehören.

 

Es ist eine mehr als gut in Szene gesetzte Idee Medir Daka Daka Dakadiran als Braincopy in Yius Kopf zu verpflanzen und sie in ihrem weiteren Kampf bzw. der Fahrt zum Krankenhauskomplex begleiten zu lassen. Diese A.I. hält Yiu mit einem gerüttelten Maß an Weisheit und Lebenserfahrung gnadenlos einen Spiegel vors Gesicht, insbesondere, wenn er sie nach dem Sinn in ihrem Kampf fragt und Yiu hierauf nur eine Antwort geben kann: Das Leben von Ji-A retten. Aber trotz dieser vermeintlich guten Tat sind es längst nicht mehr Ehre, sondern Eigensinn und Verblendung, die zur Religion von Yiu geworden sind und unweigerlich ist sie, so zumindest die Aussage von Daka, zur vergifteten Frucht der kranken Religionen geworden, ein Äffchen, welches von der Koalition der drei Religionen dressiert worden ist.

 

So stehen in diesem sechsten Band der Reihe, neben den atemberaubend in Szene gesetzten Panels, urplötzlich ganz andere Fragen im Raum, die den Leser vielleicht auch schon beschäftigt haben – die Frage nach der Moral dieser düsteren Zukunftsvision. Die vollständige Dominierung der Gesellschaft durch die „eine“ Staatsreligion macht Yiu in ihrem unermüdlichen Kampf zum Wohle ihres Bruders zu einer seelenlose Maschine, die damit begonnen hat, ihren letzten Funken Menschlichkeit zu verlieren. Gab es im letzten Band bereits einige leise Andeutungen, so bringt sie die A.I. in seinen Ausführungen (denen Yiu gezwungenermaßen zuhören muss) zum Ausdruck. Und so bleibt es in diesem überaus spannenden weiteren Teil des groß angelegten Szenarios dabei - Téhy lässt sich mit seiner „Auflösung“ noch ein wenig Zeit und dürfte im letzten Band sicherlich mit einigen nicht absehbaren Überraschungen aufwarten, insbesondere was den Charakter von Yiu betrifft.

 

Nach seinem Kunststudium begann Nicolas Guénet 1993 bei dem Verlag Soleil zu arbeiten. Hier arbeitete er unter anderem mit dem Szenaristen Eric Corbeyran an der Reihe „Dédal“ und „Le Voleur de Paradis“. Seit 1999 arbeitet er als Zeichner und Grafiker gemeinsam mit seinem Kollegen Renéaume an der Reihe „Yiu“ bzw. später an „Yiu – Die Apokalypse“, die er seit dem dritten Band der Reihe allerdings alleine betreut. 2002 begann er seine Reihe „Suleyman“ nach einem Szenario von Hubert Touzot. Gemeinsam mit Tacito illustrierte er die Reihe „Magika“, deren Skript von Angleraud stammt.

 

Unermüdlich tobt sich Nicolas Guénet, unterstützt von J.M. Vee, weiterhin in packenden und rasanten Szenen aus, die immer wieder durch ihren Einfallsreichtum bezüglich der technologischen Ausgestaltung bestechen. Immer wieder gibt es in den Bänden neue Details über die dystopische Gesellschaft der Reihe zu erfahren, die aufwändig und dynamisch in Szene gesetzt werden. So hat man von der ersten bis zur letzten Seite beim Betrachten der zum Teil groß und beeindruckend angelegten Panels keine Langeweile, geschweige denn Zeit zum Verschnaufen, egal ob es sich um wilde Verfolgungsjagden durch die Straßen von Jerusalem handelt, bei denen Yiu von Shiva-Teks verfolgt wird oder aber auch um die stillen Momente, in denen der Leser der komplizierten Operation von Ji-A beiwohnt. Unterstrichen wird die dunkle Endzeitstimmung mit der hereinbrechenden Apokalypse durch die farblich hervorragend abgestimmte Koloration.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung

Auch der sechste Band der Reihe präsentiert sich In Sachen Qualität und Verarbeitung weiterhin tadellos: Ein robuster Hardcoverband mit Fadenheftung, der auf 72 Seiten in Sachen Druckqualität keine Wünsche offen lässt. Die Übersetzung besorgte Tanja Krämling, deren Texte sich angenehm lesen lassen.

In Sachen Ausstattung gibt es am Ende des Bandes als Extra für den Leser noch einige ergänzende Informationen über einige wichtige Personen, die in diesem Band auftauchen: Shoot-to-Kill-Einheiten, das A.I.-Construkt oder aber auch Doktor Claus Dreammaker und die Totaltransplantion. Für mich als Leser ist es immer wieder spannend und überaus unterhaltsam, mehr über den komplexen Hintergrund des Weltentwurfes und seine Protagonisten zu erfahren, die in ihrer Summe leicht das Potential hätten noch etliche weitere Bände der Reihe „Yiu“ zu füllen.

 

Fazit

Auch wenn es den Anschein hat, als hätte Yiu letztlich gegen die Kreatur von Delfi Miyazannhauer gesiegt, so sind doch die Vorzeichen der Apokalypse schier unaufhaltsam und scheinen, die gesamte Welt in ihren Würgegriff genommen zu haben. In dieser weiterhin ausweglosen Situation bricht Yiu allerdings nicht zusammen, sondern schöpft neue Kraft aus dem Gedanken der nahenden Heilung für ihren Bruder.

 

Téhy, Guenet und Vee setzen stilistisch unbeirrt ihren bisher eingeschlagenen Weg fort und bestechen durch die perfekte Inszenierung von Bildern und Text. Die Idee, Medir Daka Daka Dakadiran als künstliche Intelligenz in Yius Kopf zu nutzen, um ihr einen Spiegel vors Gesicht zu halten und ihre Verhalten zu reflektieren erweist sich als außerordentlich gut gelungener erzählerischer Trick. Hierdurch erscheint die gesamte Reihe wieder rund und in sich stimmig, da man diese Zwischentöne benötigt, um die perfekte Inszenierung der zum Teil brutalen Bilder wieder dahin zu bringen, womit die Geschichte eigentlich begonnen hat – der Hoffnungslosigkeit von Yiu und der sich bietenden Möglichkeit genügend Geld für eine Operation durch ihre Tätigkeit als Killerin zu verdienen. Und so darf man gespannt sein, ob aus dem großherzigen jungen Mädchen im Laufe der letzten Einsätze wirklich eine scheinbar gefühlskalte Auftragsmörderin geworden ist.

 

Trotz dieser Zwischentöne verliert auch dieser Band seine gewohnte Dynamik nicht. Der düstere Entwurf des nahenden Weltunterganges bleibt erhalten und selten hat man ihn mit solcher Macht und Spannung in Szene gesetzt bekommen. Wie ich allerdings auch schon bei den letzten Bänden zum Ausdruck gebracht habe, glänzt die Reihe „Yiu - Die Apokalypse“ nicht nur durch ihre perfekte Inszenierung ihrer zum Teil brutalen Bilder, sondern auch ansonsten durch einen beißenden und bitteren Ton ihrer Akteure vor der Kulisse von brachialer Gewalt und offensichtlich vorherrschender Menschenverachtung.

 

Es ist ein gnadenloser und schier aussichtsloser Kampf einer sehr eigensinnigen jungen Frau vor der Kulisse einer düsteren und von religiösen Fanatikern bevölkerten Welt, die für mich eine absolute Empfehlung für all die hartgesottenen Kenner von SF-Comics ist, die ihre Freude am Comicmagazin „Schwermetall“ hatten (und noch haben).

 

Mit diesem Band sind 85,68 % der Geschichte abgeschlossen.