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Der Wind in den Weiden
Bewertung:
(4.3)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 02.01.2014
Autor:Michel Plessix (Autor und Zeichnungen)
Übersetzer:Harald Sachse
Typ:Comic / Graphic Novel
VerlagToonfish / Splitter
ISBN/ASIN:978-3-86869-696-7
Inhalt:128 Seiten, Hardcover
Preis:29,80 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt:

Jedes Jahr im Frühling macht der Maulwurf sich an seinen Hausputz. Da wird gefegt, gewischt, gewienert und was noch alles zu einem richtigen Großreinemachen gehört. Die Natur war allerdings zu neuem Leben erwacht – wer wollte ihrem Lockruf schon widerstehen? So auch der Maulwurf, der sich kurzerhand zu einem Spaziergang anschickt und am Flussufer auf Ratte trifft. Diese lädt ihn zu einem Picknick ein und rasch schließen die beiden Freundschaft. Gemeinsam am Fluss erleben sie einige wunderbare Abenteuer, von denen man später am Kamin erzählen kann. Zudem lernt der Maulwurf auch die Freunde der Ratte, den Otter und den Dachs kennen.

 

Das Leben der beiden könnte eigentlich nicht ruhiger und harmonischer sein, wäre da nicht Kröterich, der in seinem großen Schloss Krötinhall am Fluss lebt. Stets von neuen Ideen besessen, deren er genauso schnell auch wieder überdrüssig ist, verfällt Kröterich dem neuen Fortbewegungsmittel der Zukunft – dem Automobil. Diese Sucht bringt den Kröterich schon ziemlich rasch in arge Bedrängnis, da er einen Wagen nach dem anderen zu Schrott fährt. Selbst als seine Freunde ihn auf Krötinhall einsperren, um ihn von seinem Wahnsinn zu befreien, flüchtet er und stiehlt ein Automobil. Doch seine Ausfahrt bleibt nicht ohne Folgen, wird er nach einem Unfall mit dem gestohlenen Wagen verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Aber auch hier zeigt sich wieder Glück im Unglück für den Kröterich, der es schafft aus dem Gefängnis zu fliehen und zurück an den Fluss zu kommen. Aber seine schwerste Aufgabe liegt noch vor ihm, da Krötinhall von den Wieseln besetzt wurde. Jetzt bedarf es der Hilfe seiner Freunde und dem Eingeständnis, sein Leben vielleicht doch von Grund auf zu ändern.

 

Schreibstil & Artwork:

Michel Plessix wurde am 10.11.1959 in Saint-Malo geboren. Er studierte Medizin und Kunst und arbeitete zwischendurch als Krankenwagenfahrer und Koch. Er verbrachte den Großteil seiner Freizeit in dem Comic-Atelier von Jean-Claude Fournier, wo er auf Jean-Luc Hiettre und Emmanuel Lepage traf. Gemeinsam mit Hiettre veröffentlichte er seine erste Geschichte mit dem Charakter „Mark Jones“. Sie wurden ab 1987 in der Lokalzeitung Frilouz veröffentlicht und erschienen später als Sammelband.

 

Plessix arbeitete für Fanzines wie „Dommage“, in der Mitte der 1980er Jahre an einigen Gemeinschaftsprojekten oder unterstützte Künstler wie Yves Magne bei „Défi dans l'Atlantique“ und Malo Louarn bei „Rona“. Sein Debüt als professioneller Comic-Künstler gab Plessix mit dem Band „La Déesse aux Yeux de Jade" (Die Göttin mit den Jadeaugen, Carlsen), das erste und einzige Album der Serie „Ed et Benjamin“, das von Milan veröffentlicht wurde und zugleich seine erste Zusammenarbeit mit Dieter war.

 

Mit der Zeit wurden die Zeichnungen von Plessix immer realistischer, so das Dieter und Plessix sich für eine Veränderung der Landschaft und Charaktere entschlossen. 1989 begannen sie an der psychologischen Abenteuer-Serie „Julien Boisvert“ für den Verlag Delcourt (dt. Julian B.) zu arbeiten. Die von den Kritikern gefeierte Serie endete nach vier Folgen in 1995, als Plessix und Dieter feststellten, die psychologische Entwicklung ihres Globetrotter-Abenteurers sei nunmehr abgeschlossen.

 

Ein Jahr nach dem Abschluss der Reihe „Julien Boisvert“, wandte sich Plessix einem jüngeren Publikum mit seiner international gefeierten Comic-Adaption des Kenneth Grahame Roman "Der Wind in den Weiden" zu. Der Verlag Delcourt veröffentlichte die vier Bände des poetischen "Le Vent dans les Saules", ein Projekt, für das Plessix das komplette Szenario des Romans und eine neue Art der Färbung entwickelte. Die Reihe war überaus erfolgreich und wurde in dreizehn Sprachen übersetzt.

 

Zusätzlich schrieb Plessix „Les Forell“ für Künstler Bruno Bazile und beteiligte sich an einer Hommage an Will und einem gemeinsamen Buch über La Fontaine, bevor er sich der nächsten Reihe, basierend auf einer Idee von Kenneth Grahame „Der Wind in der Wüste" widmete, das 2005 veröffentlicht wurde und in dem es ein Wiedersehen mit den einzigartigen Charakteren aus der „Der Wind in den Weiden“ gibt.

 

Kenneth Grahame kam 8. März 1859 im schottischen Edinburgh zur Welt und wuchs nach dem Tod seiner Mutter mit seinen drei Geschwistern bei der Großmutter in England auf, weil sein Vater sich nach dem Tod der Mutter nicht um die Kinder kümmern konnte. Nach dem Besuch der St. Edward's School in Oxford untersagte der Vormund von Kenneth aus finanziellen Gründen ein Studium an der University of Oxford und so fing er als Angestellter bei der Bank of England an zu arbeiten, wo er es im Lauf seiner Karriere bis zum Geschäftsführer brachte. Allerdings empfand Grahame seine Arbeit immer als eintönig und so wundert es nicht, das er sich nebenbei als Schriftsteller versuchte und einige Kurzgeschichten veröffentlichte.

 

Im Jahr 1899 heiratete er Elspeth Thomson, die 1900 den gemeinsamen Sohn Alastair zur Welt brachte. Alastair, dem Grahame den Spitznamen „Maus“ gab, war von Geburt an auf einem Auge blind, konnte auch auf dem anderen nur schlecht sehen und hatte lebenslange gesundheitliche Probleme. Der vierjährige Alastair hatte sich von seinem Vater eine Geschichte gewünscht, in der ein Maulwurf, eine Giraffe und eine Wasserratte vorkommen sollten. Auf die Giraffe musste er verzichten, weil Giraffen nun mal nicht an englischen Flüssen leben. Dafür bekam Alastair allerdings die Abenteuergeschichten vom neugierigen Maulwurf und der unternehmungslustigen Ratte zu hören.

 

Als Grahame 1907 aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand gehen musste, nutzte er die Gelegenheit und veröffentlichte 1908 sein wohl berühmtestes Buch, „Der Wind in den Weiden“, das sich in den folgenden Jahrzehnten zu einem Klassiker der Kinderliteratur entwickeln sollte. Grahame starb am 6. Juli 1932 in Pangbourne, England an einer Gehirnblutung und wurde in Oxford beerdigt.

 

Was aber machte dieses Buch von Kenneth Grahame zu einem Klassiker (nicht nur) der englischen Kinderliteratur?. Grahame verstand es, recht unterschiedliche Charaktere von höchst unterschiedlichem Wesen und Temperament und in der Welt am Fluß leben, in kindgemäße Abenteuer zu verwickeln. Da gibt es den vernünftigen, ehrlichen und offenherzigen Maulwurf, die herzensgute, furchtlose, kluge und recht poetische Ratte, den weisen, prinzipientreuen, menschenscheuen und immer wieder recht skeptisch gegenüber den gesellschaftlichen Moden veranlagten Dachs, als auch den spontanen, rauflustigen und doch sehr familienverbundenen Otter. Das alleine würde aber bei weitem nicht ausreichen, da das Leben am Fluss ansonsten doch zu beschaulich, wenn nicht sogar langweilig wäre ohne den Kröterich, der unbelehrbar, eingebildet und furchtbar reich, schnell neuen Ideen nachjagt, ihrer überdrüssig wird und durch sein sprunghaftes Handeln nicht nur sich, sondern auch seinen Freunden zusetzt.

 

Michel Plessix versteht es mit großem Einfühlungsvermögen sich der Vorlage von Grahame anzunehmen und sie in wunderbare Bilder zu verwandeln. Dass Plessix nicht auf der Welle eines ewigen Bestsellers schwimmt, sondern mit ganzem Herzen in dieser Geschichte lebt, spürt man besonders in der feinsinnigen Gestaltung der einzelnen Charaktere, wobei bei ihm die Einbindung ins soziale Milieu der Edwardianischen Zeit noch stärker als das Vorbild dient. Die Schilderung der Naturstimmungen steht zudem der verklärten, pantheistische Aura des Klassikers in nicht nach. Diesen Zauber entdeckt man immer wieder in den detailreichen Zeichnungen, die ebensoviel Atmosphäre über die Flusslandschaft legt, wie Plessix erzählerische Leidenschaft im Szenario die Spannung im Leben der vier Freunde befördert.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung:

Der Toonfish Verlag schickt sich an, die ursprünglich mehrbändige Comic-Adaption, die zwischen 1998 – 2002 bei Carlsen erschien, in einer qualitativ Gesamtausgabe zu vereinen, die sowohl vom Druck als auch von der Verarbeitung an dieser Stelle nur lobend hervorgehoben werden kann. Zwar gibt es keine Extras, wie man sie unter Umständen bei einer gelungenen Gesamtausgabe erwarten könnte, doch bedarf diese zeitlose Geschichte keiner großen Erklärungen. Lediglich einen Blick in das wahrscheinlich über die Jahre angewachsene Skizzenbuch von Plessix dürfte sicherlich einen Blick Wert sein. Die schöne Übersetzung aus dem französischen stammt von Harald Sachse, wobei das Lettering etwas gewöhnungsbedürftig und nichts für schwache Augen ist, hat Plessix doch einiges an Text zu bieten. Kai Frenken ist es gelungen eine sowohl optisch ansprechende als auch leidlich gut lesbare Schrift für den Band zu finden und so hat man durchaus seine Freude an der „Entschleunigung“, wenn man den Geschehnissen des Szenarios folgt.

 

Fazit:

Ich kann Plessix, der insgesamt sechs Jahre an dieser Reihe arbeitete, nur für sein vortreffliches Einfühlungsvermögen in die Vorlage beglückwünschen. Ohne jeglichen Kitsch und unnötigen Pathos schafft er es in wunderbar arrangierten Panels die beschauliche Idylle am Fluss darzustellen und den Tieren Leben einzuhauchen, so das diese geradezu menschliche Züge annehmen und das Gefühl eines britischen Junggesellenclubs vermitteln. Auch die überzogene Darstellung des Kröterich, dessen Augen sich beim Lärm von Automotoren wunderbar verdrehen, sorgt als zeitgemäße Interpretation für Gemütsstimmungen, welche diese Figuren so liebenswert machen.

 

Für mich eine absolute Kaufempfehlung, da ich diesen Klassiker selten in so schönen Bildern und mit einer so gelungenen Adaption des Textes von Grahame gelesen habe.