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ObsidianherzDas Obsidianherz
Bewertung:
(4.0)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 05.05.2008
Autor:Ju Honisch
Typ:Roman
Setting:Alternativwelt, Gothic-Novel
VerlagFeder und Schwert
ISBN/ASIN:978-3867620284
Inhalt:810 Seiten, Taschenbuch
Sprache:Deutsch

Das Obsidianherz...

München 1865. Ein magisches Manuskript von ultimativer Zerstörungskraft ist verschwunden. Der britische Agent Delacroix soll die Schrift aufspüren und zurückbringen, wobei ihm zwei junge bayerische Offiziere sowie ein Magiewissenschaftler hilfreich zur Seite stehen. Doch auch andere, finsterere Kräfte, sind auf der Jagd nach dem Artefakt. Sie alle streben nach der Macht des Manuskripts, um die Welt in ein Abbild ihrer eigenen grausamen Phantasien zu verwandeln. Nichts von all dem ahnt Miss Corrisande Jarrencourt, eine junge Dame, die in München nur einen wohlsituierten Ehemann sucht. Ins Geschehen hineingezogen muss sie feststellen, dass es auf dieser Welt Dinge gibt, von deren Existenz sie bis dahin nichts ahnte.

 

Soweit der Klappentext auf der Rückseite des optisch schön gestalteten, dicken Wälzers des Mannheimer Verlags – ob sich auch der Inhalt lohnt, ist den folgenden Zeilen zu entnehmen:

 

Über das Buch (Keine Spoiler!)

Wenn man sich den Anspruch von Feder und Schwert betrachtet, mit der Reihe „Origin“ phantastische Romane zu veröffentlichen, die neuen und originellen, vor allem aber deutschen Erstveröffentlichungen aus dem Bereich der Phantastik eine Plattform bieten möchte, kann ich dies mit dem vorliegenden zweiten Band dieser Reihe nur bestätigen. Mit dem Roman „Das Obsidianherz“ bietet der Verlag nunmehr der Autorin Ju Honisch die Möglichkeit, ihr kreatives Talent auf rund 810 Seiten auszuleben.

 

Seit dem großen Erfolg von Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“, haben sich historische Romane wieder fest auf dem deutschen Büchermarkt etabliert, da nicht zuletzt immer mehr Leser das Interesse an Geschichten aus vergangenen Zeiten entdeckt haben. Beim historischen Roman kann man aber spitzfindig zwischen den Gegebenheiten differenzieren: Es gibt historische Romane, die ausschließlich auf Nachforschungen beruhen und deren Personen alle durchgehend tatsächlich existiert haben und die im zum Teil krassen Gegensatz zu den Romanen stehen, die aus reellen und fiktiven Personen und Schauplätzen bestehen.

 

Der Roman „Das Obsidianherz“ ist in dieser Hinsicht zwar ein historischer Roman, da der geschichtliche Hintergrund stimmt und einige der erwähnten Personen tatsächlich zu dieser Zeit dort lebten, allerdings ist das Szenario des Romans das einer klassischen Alternativwelt-Utopie. Seine Handlung spielt überwiegend in einem fiktiven Münchner Hotel im Jahre 1865 und versteht es auf überaus geschickte Art und Weise, historische Ereignisse, Personen und fantastische Elemente miteinander zu verweben. Eine Welt, in der Elben und Magie tatsächlich existieren und das Bild dieser Welt entscheidend geprägt haben, macht sich dies sowohl in Ereignissen großer politischer Bedeutung bemerkbar, als auch in den Details des täglichen Lebens. Fabelwesen sind real und als Fey oder Sí den Menschen zwar bekannt - über ihre Talente und Fähigkeiten weiß man aber fast nichts. Noch weniger ist über ihre Loyalitäten, Ziele oder ihre Herkunft bekannt.

 

Es ist ein seltsames Quintett, welches von höchster Stelle zur Suche nach einem mysteriösen Manuskript in einem Münchner Luxus-Hotel beauftragt wurde: Cérise Denglot, eine berühmte Opersängerin, die zur Zeit ein Engagement an der Münchner Oper hat und recht freudlos an den Proben zur Aufführung einer Wagner Oper arbeitet, Leutnant Udolf von Görenczy, Offizier im Königlich Bayrischen 3. Chevauleger-Regiments „Herzog Karl-Theodor“ sowie Leutnant Asko von Orven - ein Offizier im Königlich Bayrischen 1. Jäger-Bataillon „König“, die ein äußerst charmantes und überaus ungleiches Paar bilden, tauchen auf. Colonel Delacroix, seines Zeichens Offizier eines britischen Kavallerieregiments und Agent für besondere Aufgaben scheint neben Alexander Vonderbrück, der als Meister des Arkanen der Gruppe magischen Beistand leistet, sind ebenfalls auf der Jagd nach dem Manuskript.

 

Corrisande Anthea Jarrencourt, die sich in Begleitung ihrer Anstandsdame und Gesellschafterin Mrs. Eliza Parslow sowie ihrer Zofe Marie-Jeannette Bouchard in eben jenem mondänen Münchner Luxus-Hotel weilt, gerät zufällig mitten in die Verfolgung eines Wiatruschod, einem Sí-Ungeheuer, von dem die Legende berichtet, es lebe in der östlichen russischen Tundra und es könne in einen menschlichen Körper eindringen und diesen dann übernehmen. Unversehens findet sie sich inmitten dieser illustren Schar von Charakteren im Kampf gegen diese Wesenheit und auf der Jagd nach dem geheimnisvollen Manuskript wieder.

 

Der eigentliche Grund von Corrisandes Aufenthalt in München, die Suche nach einer passenden Partie für die Tochter aus vermeintlich gutem Hause, gerät hierbei rasch in den Hintergrund und so sieht sich Corrisande alsbald vollkommen neuen Herausforderungen an der Seite ihrer neuen Bekanntschaften von höchst unterschiedlichen Naturell ausgesetzt, denen sie zunächst zu entfliehen sucht. Eine Abreise aus dem Hotel nach unheimlichen Begegnung mit dem Wiatruschod stellt sich für sie allerdings als unmöglich dar, ist doch das gesamte Hotel mit einem Schutzzauber versehen worden, der Fey daran hindert, das Gebäude zu betreten oder aber auch zu verlassen. Unversehens stellen sich nunmehr Corrisande Fragen nach der eigenen Herkunft und ihrer eigenen möglichen Verbindungen zu den Fey, als auch die Begehrlichkeiten des Quintettes ein, die in Corrisande die Möglichkeit sehen, ihnen bei ihrer Suche behilflich zu sein, scheint sie doch über besondere Fähigkeiten zu verfügen.

 

In einer schnellen Abfolge von kurzen Kapiteln, die zum Teil immer nur wenige Seiten umfassen, entfaltet sich ein Reigen von Figuren und Hintergründen, die diesem Roman seinen eigentlichen Reiz verleihen. Kapitel für Kapitel taucht man in die Geschichte der einzelnen Akteure ein und erfährt langsam mehr über deren Vergangenheit und die Beweggründe ihres Handelns. Kaum konnte man etwas Neues aufschnappen, taucht man auch schon wieder in die Welt eines anderen Akteurs ein.

 

Doch nicht nur die Protagonisten haben sich auf die Suche nach dem Manuskript gemacht. So verfolgt auch die Kirche höchst eigene Absichten. Unter dem Dach des noblen Hotels weilen auch Vertreter der „Bruderschaft des Lichts“, die einiges über die Herkunft und Erziehung von Colonel Delacroix wissen und alles daran setzen, an das Manuskript zu gelangen. Aber noch weitere finstere und bedrohliche Mächte hat das Manuskript bereits angelockt - doch sei an dieser Stelle nicht zuviel verraten.

 

Auch wenn sich das Geschehen dieses Romans fast ausschließlich in den Räumen und Gängen eines imaginären Münchner Hotels abspielt, so verliert dieser Roman doch nie an Tempo und schafft es immer wieder mit neuen unerwarteten Geschehnissen und Wendungen, bis hin zum fulminanten Höhepunkt, den Leser in seinen Bann zu ziehen. Um nicht gänzlich den Überblick bei den handelnden Personen zu verlieren, gibt es zum Glück noch ein Namensverzeichnis sowie eine nette Übersetzung von ab und zu auftauchenden französischen Redewendungen im Anhang.

 

Über die Autorin

Eigentlich als Juliane Honisch in Berlin geboren und in Bayern aufgewachsen, entdeckte die Umgebung die Sperrigkeit des Vornamens und wandelte ihn kurzerhand in Ju um. Eine Entscheidung, die der angehenden Schriftstellerin behagte und bei der es letztlich auch blieb. Trotz erster, scheinbar überaus intensiver Ausflüge in die Bereiche der Phantastik und einiger sehr privater schriftstellerischer Versuche, schaffte Ju Honisch dennoch ihr Abitur und studierte Englisch und Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Nachdem sie einige Zeit in Irland gearbeitet hatte, lebt sie nunmehr mit ihrem Mann und einer Hundertschaft Teddybären in Frankfurt am Main.

 

Ihr erstes Buch, die Anthologie „Bisse“ erschien im Oktober 2007 beim Hexentorverlag und avancierte, nicht zuletzt durch die positive Resonanz auf die Lesungen der Autorin, rasch zu einem kleinen Geheimtipp. Nicht so sehr der spektakuläre Horror, sondern leise Töne und der Aufbau rund um das Normale sind es, welches sich sanft und plötzlich als anormal entpuppt und den Leser frösteln lässt.

 

Unter Umständen ist dem einen oder anderen der Name Ju Honisch bereits hinlänglich aus einem gänzlich anderen Bereich vertraut, steht doch Ju Honisch gemeinsam mit Kerstin Dröge als Duo „Katy und Ju“ des öfteren auf etlichen Bühnen und verbreitet die freundlich-chaotische Subkultur der Filk-Musik.

Filk ist eine Musikrichtung, die sich formal an Folk anlehnt (daher der Name) und inhaltlich Science-Fiction und Fantasy-Themen verwendet, wozu auch Themen aus dem Rollenspiel, insbesondere aus dem Bereich LARP, mit zu diesem Genre zählen. Beim Filk hat der Liedtext einen besonderen Stellenwert, da in den Liedern oft Geschichten erzählt oder Bezüge auf literarische Vorlagen genommen werden, aber auch Parodien sehr beliebt sind.

 

Bereits fünfmal für den internationalen „Pegasus Award“ (For Excellence in Filking) nominiert und zweifache Preisträgerin des britischen Filk Award „Sam“ kann Ju Honisch einiges an Reputation vorweisen. Wer jetzt nicht nur auf die schriftstellerische Passion neugierig geworden ist, sollte sich einfach die CD besorgen: „Witch Way to reality“, erhältlich bei Juliane Honisch / Harald Sawatzki, Linksstraße 32 in 65933 Frankfurt.

 

 

Fazit

Nach dem für mich persönlich eher schwachen Start der Reihe „Origin“ mit dem Roman „Fairwater oder Die Spiegel des Herrn Bartholomew“ von Oliver Plaschka, legt Feder und Schwert nunmehr wirklich ein außerordentliches Buch vor, angefüllt mit Figuren, denen man mit Vergnügen begegnet, sowie einen Schauplatz und Ereignisse, welche man nicht vergisst. Für mich war es von Anfang bis Ende ein großes Lesevergnügen, nicht zuletzt weil Ju Honisch es schafft, einen literarisch bislang recht ungewohnten neuen Blick auf magische Elemente zu etablieren. Nach eigener Aussage wird man in den Veröffentlichungen von Ju Honisch niedliche Feen und romantische Elfen vergeblich suchen und sie bestätigt dies vollends mit den Charakteren der Fey in „Das Obsidianherz“.

 

Der unbändige Spaß der Autorin, diese Mischung aus Gesellschaftskomödie voller wundersamer Ereignisse, faszinierender Charaktere und mörderischen Intrigen auf rund 810 Seiten zu entwickeln und dabei eine Geschichte zu entwickeln, die sich in einem wunderbaren Tempo zu einem spannenden Höhepunkt steigert, hat mich beim Lesen angesteckt.

 

Sicherlich gibt es auch hier und da auf den insgesamt rund 810 Seiten einige Schwächen, aber der Gesamteindruck nach der Lektüre bleibt doch eine Wohltat, die ich dem Leser an dieser Stelle nur inbrünstig ans Herz legen kann. Der Roman „Das Obsidianherz“ ist nach meiner Kenntnis der erste Teil einer bislang wohl drei Romane umfassenden Reihe, bei der allerdings jeder einzelne Band für sich stehen soll. Ich zumindest freue mich schon auf die „Fortsetzungen“, die nach Aussage der Autorin bereits fertig geschrieben sind und nur noch auf ihre Veröffentlichung warten.