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Baltimore 1
Bewertung:
(4.9)
Von: Gordon Gurray
Alias: Talamar
Am: 28.08.2015
Autor:Mike Mignola, Christopher Golden, Ben Stenbeck
Typ:Comic / Graphic Novel
Setting:Erster Weltkrieg, Mignolaverse
VerlagCross Cult
ISBN/ASIN:978-3-86425-665-3
Inhalt:576 Seiten, Hardcover, 16x24, Limitiert auf 1222 Exemplare
Preis:50
Sprache:Deutsch

Inhalt:

Man schreibt das Jahr 1916 …

Seit Monaten breitet sich von den Schlachtfeldern des 1. Weltkriegs in Mit¬teleuropa eine verheerende Plage aus: eine Seuche, die die Menschheit ausrot¬tet oder in bluthungrige Wesen verwan¬delt und die Tore der Hölle auftut. Doch einem Mann kann der „rote Tod“ nichts anhaben, denn er befindet sich zwi¬schen den Welten, von Gott und Teufel abgewiesen: Lord Henry Baltimore. Auf seiner rachegetriebenen Suche nach dem Vampir, der die Seuche ausgelöst und seine Verdammnis verschuldet hat, sind Zeppeline des Terrors, U-Boot-Flot¬ten des Grauens und Dampfzüge des To¬des noch seine kleinste Sorge … die Welt steht vor dem Abgrund!

 

Meinung:

Bereits im Jahr 2009 veröffentlichte Cross-Cult einen illustrierten Roman namens “Baltimore oder der standhafte Zinnsoldat und der Vampir“, den Mike Mignola zusammen mit Christopher Golden geschrieben hatte. Der vorliegende Comic-Ziegelstein – und als diesen muss man Baltimore zwangsläufig bezeichnen – baut dabei auf besagten Roman auf. Doch keine Angst, man muss den Roman nicht kennen, um sich in Baltimore zurecht zu finden. Der massive Comicband, der die ersten vier US-Sammelbände („Die Pestschiffe“, „Die Glocken der Verdammnis“, „Ein durchreisender Fremder und andere Geschichten“ und „Die Knochenkapelle“) umfasst, steht für sich alleine.

 

Und das sogar ganz hervorragend. Der Leser verfolgt Lord Baltimore’s Rachefeldzug quer durch Europa und schon nach wenigen Seiten spürt man dabei die mythologische Magie, die nur ein Mike Mignola auf diese Art und Weise erzählen kann. Die Atmosphäre ist unglaublich dicht und knistert dabei vor Spannung und man wird als Leser förmlich in die Story hineingezogen. Das ist zunächst erst einmal verwunderlich, denn so richtig neu will die Geschichte auf den ersten Blick gar nicht erscheinen. Eine typische Vampir-Story halt, die eben nur zu Zeiten des Ersten Weltkrieges spielt. Aber Pustekuchen… das ist ein großer Irrtum, wie man schnell feststellen wird, denn Baltimore ist sehr viel mehr als eine einfache Vampirjäger-Geschichte. Sicherlich kommt hier die Vampir-und-Dämonen-Action – um sie mal so zu bezeichnen – nicht zu kurz, aber Baltimore ist auch eine psychische Berg- und Talfahrt, eine Hetzjagd durch Dunkelheit und Angst, ein Kampf gegen das absolute Böse und die Hoffnungslosigkeit. Dabei ist der Protagonist oft mehr ein Antiheld und tritt auch gerne mal als Unsympath in Erscheinung. Ironischerweise ist es aber genau das, was ihn dann wiederrum sympathisch und glaubwürdig erscheinen lässt, vor allem wenn man bedenkt was er alles durchgemacht hat, der standhafte Zinnsoldat.

 

Doch Baltimore dreht sich nicht nur um Vampire und Dämonen, auch der brutale erste Weltkrieg ist beständiges Thema. Gerade die Auswirkungen auf die normale Bevölkerung Europas ist gravierend und niederschmetternd und das rufen Mignola und Golden dem Leser immer wieder auf eine subtil düstere Art und Weise ins Gedächtnis. Da kommt Baltimore beispielsweise in ein einst florierendes Städtchen, in dem nun nur noch Frauen, Kinder und alte Menschen leben, kein einziger Mann ist hier zu finden, denn der Krieg hat sie alle zu sich geholt. Gespenstisch, vor allem wegen der fast schon belanglosen und nebensächlichen Weise, wie dies erzählt wird. Solche Anspielungen finden sich immer wieder und sie lenken ein wenig von der reinen Vampirjagd ab, was gut ist. Aber Mignola-typisch ist sowieso nicht alles so wie es scheint, denn Vampire sind nicht immer gleich Vampire – was man an den Nonnen in einem Kloster schnell erkennen kann, auf das Baltimore auf seiner Odyssee stößt.

 

Authentisch ist dabei die Tatsache, dass Baltimore nicht der strahlende Überheld ist, sondern jemand der auch mal auf die Fresse kriegt und immer wieder in tödliche Situationen gerät, die er nicht unbedingt im Griff hat. Auch er ist hier und da auf Hilfe angewiesen, auch wenn sich seine Helfer damit oft selbst in Gefahr bringen. Baltimore ist zwar ein Einzelgänger, ein Eigenbrödler, aber er ist sich auch im Klaren, dass er nicht alles alleine schaffen kann und das führt letztendlich auch zum fulminanten und überwältigenden Showdown, bei dem zumindest einige Fragen aufgedeckt werden. Schönerweise bleibt am Ende aber immer noch Platz und eine vage Möglichkeit für mehr Baltimore… und darauf kann man nur hoffen.

 

So überaus hervorragend die Erzählung an sich ist, so umwerfend gut sind auch die Artworks, die zwar (leider) nicht von Meister Mignola selbst stammen – immerhin hat er aber die grandiosen Cover dazu gesteuert – sondern von Ben Stenbeck (B.U.A.P. – Der ektoplasmische Mann, Witchfinder: In the Service of Angels), dessen illustrativer Stil schon ziemlich „mignolaesque“ , dabei aber schönerweise auch eigenständig ist. Stenbecks Artworks sind dabei deutlich detaillierter als die eines Mignolas, dafür versteht sich der Zeichner aber ebenso gut mit dem Schattenspiel, was dazu führt, das Baltimore an sich äußerst düster und bedrohlich wirkt – und das mit so ziemlich jedem der fast ausschließlich sauber und präzise angeordneten Panels. Verschachtelungen gibt es hier nur sehr selten und ebenso selten sind Splashpages, meistens geht es subtil und geordnet zu, eine Methodik die ebenfalls die Handschrift Mignolas erkennen lässt.

 

Abgerundet wird dieser wirklich üppige und hervorragend produzierte Sammelband dann noch mit zahlreichen Skizzen und Konzept-Artworks und einigen Interviews mit dem Zeichner. Und als ob das nicht schon mehr als genug wäre, gibt es vor jedem der vier Geschichten im Buch noch das Vorwort eines anderen Autors (bspw Joe Hill).

 

Fazit:

Oh Kacke…. Ich bin absolut überwältigt von diesem Brecher der neunten Kunst. Mignola, Golden und Stenbeck schaffen es eine unglaublich atmosphärisch dichte und dabei authentische Vampirjagd-Geschichte zu Zeiten des ersten Weltkrieges abzuliefern. Ich mochte seinerzeit schon den Baltimore-Roman, doch dieser monströse Sammelband überflügelt das Ganze noch einmal um Längen. Hier stimmt einfach alles… von der düster hoffnungslosen Weltkriegs-Stimmung bis hin zur psychologischen Achterbahnfahrt des Protagonisten. Dazu gibt es dann noch genug Vampir-und-Dämonen-Action, so dass auch diese Seite natürlich nicht zu kurz kommt. Abgerundet wird das Ganze schließlich durch die atemberaubenden Artworks, die der tollen Story den letzten Feinschliff geben. Kurzum: wer Mignola-Werke liebt, muss… ja muss… auch dieses haben. Absolute Oberklasse!