Sharner Kobold Sharner Kobold

 

u
Tipps zur Charakterentwicklung

4 Tipps zur Charakterentwicklung

vorherige Ausgabe | nächste Ausgabe


Das Entwickeln der Spielercharaktere gehört zu den größten Spaßfaktoren im Rollenspiel. Das haben auch die Designer erkannt, weswegen es kein Rollenspiel ohne Erfahrungssystem gibt. Leider beschränkt sich aber in vielen Runden die Charakterentwicklung allein auf das Ansteigen von Stufen und das Anheben von Spielwerten.

Viel interessanter und auf Dauer für alle befriedigender ist hingegen eine storyorientierte Charakterentwicklung, die in die Kampagne eingearbeitet wird und den Charakter mit der Zeit in seiner Persönlichkeit wachsen lässt. Eine solche Entwicklung sollte natürlich auf den Stufenanstieg des Charakters, bzw. auf die Veränderungen seiner Spielwerte abgestimmt sein. Persönlichkeit und Spielwerte sollten immer gleichermaßen wachsen. Anders ausgedrückt: Regeln und Rollenspiel müssen sich gegenseitig ergänzen und dürfen sich nicht widersprechen.

1. Initiation

Die Spielercharaktere im Rollenspiel unterscheiden sich von den Durchschnittsbürgern der Spielwelt. Sie ragen aus der Masse heraus und schlagen einen Weg ein, der sie dem Alltäglichen entreisst. Ihr Leben ist erfüllt von Heldentaten und Abenteuern. Aber warum ist das so? Was macht die Spielercharaktere zu Helden? Warum leben sie nicht ein Leben wie jeder andere auch?

Grund dafür ist stets ein außergewöhnliches Ereignis, das sie aus ihrem Umfeld und ihrem Alltag heraus reißt. Jeder große Held hat ein entsprechendes Ereignis: Luke Skywalker verliert seine Eltern an das Imperium und wird so zu Heldentaten getrieben. Robinson Crusoe strandet auf einer einsamen Insel. Faust erscheint der Teufel.

Am leichtesten kann man die Initiation bei Superheldencomics verfolgen. Am Beginn der Heldenkarriere steht meistens ein besonderes Ereignis, das einem normalen Menschen übermenschliche Fähigkeiten verleiht und ihm so zum Superhelden werden lässt. Bei Peter Parker (Spider-Man) ist das beispielsweise der Biss der radioaktiven Spinne. Bei Superman ist es sogar die Vernichtung seiner Heimatwelt - ein wirklich einschneidendes Erlebnis.

Diese beispiele sind äußere Initiationen, vergleichbar mit einem Ritual oder einem Auftrag.

Noch interessanter sind innere Initiationen, die einen Charakter in seiner Psychologie verändern und sein Handeln motivieren. Um bei den Superheldencomics zu bleiben, ist Batman ein gutes Beispiel dafür: Seine Eltern werden vor seinen Augen erschossen, weswegen er allen Verbrechern Rache schwört. Eine sehr starke innere Motivation (die auch durch ein äußeres Ereignis bewirkt wird).

Auf Rollenspielabenteuer übertragen bedeutet dies, dass du als Spielleiter mit den Spielercharakteren zu Beginn ihrer Karriere (also VOR dem ersten Abenteuer und der 1. Stufe), ein Ereignis durchspielen solltest, das sie zu Helden macht. Dies kann praktisch jeder Schicksalsschlag und jede außergewöhnliche, nicht alltägliche Situation sein.

Wichtig sind dabei folgende Punkte:

  1. Die Initiation muss endgültig sein - es darf kein Zurück mehr geben.
  2. Die Initiation muss ein wirklich schicksalshaftes Ereignis sein, ein schwerer Schlag, der den Charakter zwangsläufig zu Heldentaten treibt.
  3. Besonders schön sind Initiationen, die einem Charakter bereits mit Motiven für sein späteres Handeln versorgen.

2. Erzfeind(e)

Im Laufe seines Heldendaseins wird sich ein Spielercharakter nicht nur Freunde machen. Er wird sich Feinde schaffen, von denen einige sehr mächtig und auf besondere Weise mit seinem eigenen Schicksal verbunden sind. Diese nennt man Erzfeinde.

Erzfeinde zeichnen sich durch zwei Dinge aus:

  1. Sie sind genauso mächtig wie der Held.
  2. Sie sind sein Gegenstück, sein dunkles Spiegelbild.

Es gilt der Grundsatz: Zeig mir deine Feinde und ich sag dir, wer du bist. Jeder Spielercharakter sollte in einer Kampagne mit der Zeit mindestens einen Erzfeind erhalten, einen Dorn in seiner Seite, ein Schmerz, der immer wieder zurückkehrt - gerade dann, wenn er es am wenigsten gebrauchen kann.

Erzfeinde wachsen mit den Helden. Manchmal scheinen sie ihnen auch einen Schritt voraus zu sein.

Ein berühmter Erzfeind ist beispielsweise Doktor Moriaty aus den Sherlock Holmes-Geschichten. Alle Superhelden haben meistens gleich einen ganzen Sack voller Erzfeinde. Aber auch die Charaktere in Serien wie Star Trek begegnen oft immer wieder ihren gleichen, dunklen Ebenbildern. So waren beispielsweise die Klingonen in den älteren Star Trek-Serien das Gegenteil der Föderation.

3. Konflikte

Helden werden nicht nur durch ihre Heldentaten interessant, sondern auch durch die zahlreichen Konflikte, die sie bestehen müssen. Manchmal können diese Konflikte mit Heldentaten identisch sein. Meistens gehen sie jedoch darüber hinaus. Während Heldentaten oft äußere Handlungen sind (das Finden eines Artefakts, Retten einer Person usw.), bestehen Konflikte aus inneren Vorgängen. In der Literatur oder im Film wird das meistens dadurch erreicht, dass ein Held schlechte Eigenschaften überwinden oder einem Irrglauben abschwören muss.

So, wie auch die Erzfeinde und die Begegnungen der Spielercharaktere mit der Zeit immer mächtiger werden, sollten auch ihre inneren Konflikte zunehmen. Denk dir ein moralisches Dilemma aus, das du für jeden einzelnen Charakter ganz persönlich konstruieren kannst. Konfrontiere einen Dieb mit den negativen Folgen seiner Habgier, einen Kämpfer mit den fatalen Auswirkungen seiner Aggressivität oder einen Magier mit den Konsequnzen seiner weltfremden Haltung.

Konflikte können auch konkret aus einzelnen Abenteuern entwickelt werden: Vielleicht ist der Auftraggeber zwar ein edler und gerechter Herrscher, aber er ist auch gleichzeitig kriegslüstern und will sein Land in eine Schlacht führen, welche die Spielercharaktere für unsinnig erachten? Vielleicht ist der Räuber, den sie zur Strecke bringen sollen ja in Wirklichkeit ein Robin Hood, der mehr Gutes tut als ihr Auftraggeber? Vielleicht verliebt sich einer der Helden und muss sich zwischen seinem Leben als Abenteurer und der Ehe entscheiden? Vielleicht kommen die Helden in eine Situation, in der sie selbst betrügen müssen, um ein größeres Ziel zu erreichen?

Auf jeden Fall sollten die Charaktere aus einem Konflikt verändert hervorgehen. Ihre Persönlichkeit sollte einen Wandel durchmachen.

4. Ziel

Jede Entwicklung braucht ein Ende - sonst wäre sie keine Entwicklung. Versuche jedem deiner Spielercharaktere im Laufe der Kampagne ein Ziel zu geben, einen übergeordneten Auftrag, den sie erst nach vielen Abenteuern erledigen können. Vielleicht ist einem der Spielercharaktere ja geweissagt worden, er wäre zum neuen Herrscher des Landes geboren und habe als solcher eine Aufgabe zu erfüllen, die nur er erfüllen könnte. Vielleicht besteht das Ziel aber auch nur darin, eine großes Bedrohung von der Heimat abzuwenden, sodass man sich endlich niederlassen und eine Familie gründen kann, um das Leben zu genießen.

Jede Kampagne sollte also auch ein Ende besitzen, das für die Spieler zur Genugtuung wird, weil ihre Charaktere einen Endpunkt in der Entwicklung ihrer Charaktere erreicht haben.

Fazit

Wie du es auch anstellst, eines solltest du als Spielleiter beachten: Gib den Spielercharakteren in deiner Kampagne mehr als eine bloße Ansammlung von Zahlen auf einem Charakterblatt. Gib ihnen eine heldenhafte Entwicklung. Finde einen guten, plausiblen Grund dafür, dass sie zu Helden werden - und er sollte nicht nur aus einem Auftrag bestehen, der ihnen beiläufig in einer Taverne erteilt wird. Denk dir ein Ereignis aus, das Charaktere grundlegend verändert. Gib den Helden anschließend ein übergeordnetes Ziel, eine Prophezeiung, etwas, das sie erreichen müssen, um ihre Entwicklung abzuschließen. Anschließend wirfst du ihnen Hindernisse in Form von Erzfeinden in den Weg, die sie vom Erreichen dieser Ziele abhalten und die sie nur überwinden können, indem sie ihre bisherige Weltsicht verändern und über sich hinauswachsen.

 

PDF-Download:

© Marcus Johanus


vorherige Ausgabe | nächste Ausgabe