Sharner Kobold Sharner Kobold

 

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Endless Quest 1 - Claw of the Dragon
Bewertung:
(3.8)
Von: Patrick Pricken
Alias: Berandor
Am: 18.06.2008
Autor:Bruce Algozin
Typ:Soloabenteuer
System:Endless Quest Soloabenteuer
VerlagWizards of the Coast / Mirrorstone
ISBN/ASIN:978-0-7869-4719-5
Inhalt:192 Seiten Softcover
Sprache:Englisch

Vorwort

Solo-Abenteuerbücher gehören zu meinen frühesten Fantasy-Erinnerungen. Wer nicht weiß, worum es sich dabei handelt: In diesen Büchern findet man sich in der Rolle des Romanhelden wieder und muss nun an bestimmten Stellen entscheiden, wie man weitermacht. Je nachdem, wie die Entscheidung ausfällt, muss man das Buch auf einer anderen Seite weiterlesen

 

Claw of the Dragon zeigt auf den ersten Blick, wie gut man heute schon günstig drucken kann. Das Papier, das dünne Cover sind beide nicht sehr hochwertig, aber trotzdem fällt das Buch nicht auseinander. Das Cover zeigt einen feuerspeienden Drachen über den sich wenig Gutes wie Schlechtes sagen lässt.

 

Claw of the Dragon ist das erste Buch in der Reihe der „Endless Quests“, die von WotC unter dem Verlag Mirrorstone herausgegeben wurden. Ich konnte aber nicht herausfinden, ob auch die weiteren Bände in derselben Welt spielen oder vom selben Autor geschrieben wurden.

 

Der Inhalt

“You look once more at the lights at the top of the mountain in the distance. It’s difficult to judge how far away they are or even how much time is left before dawn. On the other hand, Finn’s spell may well be dangerous. He said he didn’t have the ability to send you to the Ayrie, but now, armed only with the Old Man’s spellbook, he’s about to try. What should you do?“

 

Wie sehr kann man in einem Buch die Entscheidung in die Hand des Lesers legen? Noch dazu in einem Buch, das durch seinen großen Druck noch kürzer ist, als es die Seitenzahl vermuten ließe? Die Antwort lautet: „Nicht sehr“. Claw of the Dragon enthält etwa dreißig Stellen, an denen man sich entscheiden muss, welchen Weg man geht. Die Geschichte ändert sich jedoch nicht so sehr.

 

Der Plot des Buches bzw. Abenteuers ist schnell erzählt. Der Leser ist Tory, ein angenehm geschlechtsloser Name für einen gefühlt männlichen Helden (dies wird jedoch m. W. nicht explizit gesagt). Tory lebt in einem Dorf, das immer wieder von Drachen angegriffen wird. Eines Tages stößt sie/er auf einen sterbenden Drachen, der einen Auftrag zu vergeben hat. Und hier beginnt das Abenteuer – oder auch nicht.

 

Das Buch beginnt nicht gerade vielversprechend. Die erste Entscheidung ist es, ob man den Drachen, der ja anscheinend das Dorf angegriffen hat, tötet oder reden lässt. Tötet man den Drachen, endet das Buch mit dem Untergang des Dorfes. Die zweite Entscheidung, wenn man so weit kommt, stellt Tory vor die Wahl, das Dorf zu warnen oder zu Fuß zu den Drachen aufzubrechen, um sie von ihrem Massenangriff abzuhalten. Wählt man die Warnung, so endet das Buch damit, dass kaum jemand auf die Warnung hört. Schon die ersten beiden Entscheidungen also führen entweder zum Ende der Geschichte oder weiter ins Abenteuer. Damit ist man dann auch auf den Stil des Autors geeicht, der mit eher weniger dezenten Hinweisen verrät, wie es denn tatsächlich weitergeht – so liest man angesichts eines verräterischen Magiers in etwa zehnmal davon, dass dieser böse sein soll, dass der Vater ihm nicht traut usw.

 

Die dritte Entscheidung ist auch nicht besonders wichtig. Wir lernen nämlich den Kobold Finn kennen, und die Entscheidung gibt nur an, wie wir diese Bekanntschaft machen. Im Verlauf des Buches können wir auch noch einen Zwerg treffen – aber egal, wie wir uns entscheiden, weder der Zwerg noch Finn begleiten uns bis zum Schluss. Dann hätte man nämlich mehrere Schlusskapitel schreiben müssen.

 

Nach der Begegnung mit dem Kobold kommt dann der große Mittelteil des Buches, bei dem wir irgendwie Hilfe suchen müssen, um rechtzeitig zu den Drachen zu kommen. Ab hier können wir nicht mehr sterben, aber sogar einen Schatz finden und mit dem nach Hause zurückkehren – ohne das Dorf zu retten, aber mit dem Gold, ein neues Leben zu beginnen. In diesem Mittelteil finden auch die meisten Entscheidungen statt, sodass der Weg, den man zu den Drachen genommen hat, sich am Ende wohl als das unterschiedlichste Element der Geschichte entpuppt: Man kann von sechs verschiedenen Seiten auf das eigentlich gewünschte Ende kommen.

 

Gleichzeitig kann man aber auch nur dann wirklich falsche Entscheidungen treffen, wenn man nicht auf die gröbsten Hinweise des Autors hört und z. B. dem Magier doch vertraut. Selbst dann stirbt man nicht, kann aber niemanden warnen oder aufhalten. Ansonsten rutscht man halt so durch, ohne den Eindruck zu haben, wirklich Gefahren zu bewältigen. Zwei- oder dreimal wird eine Idee benötigt, um eine Gefahr zu umgehen, aber die Idee wird jeweils vom Autoren ohne Entscheidung eingebracht.

 

Und am Ende landet man mit sehr großer Wahrscheinlichkeit bei den Drachen. Hat man es bis dahin geschafft, könnte es noch passieren, dass man die Drachen komplett vernichtet oder aber – drei von den vier möglichen Enden – dass man die Drachen aufhält. Auch hier hält sich die wirkliche Entscheidungsgewalt also eindeutig in Grenzen.

 

Von der Sprache ist Claw of the Dragon eindeutig an junge Leser gerichtet, auch die Gefahren sind für versierte Rollenspieler ungewohnt gewaltlos. Die wenigen tatsächlichen Tode werden nicht ausführlich beschrieben, sondern fast nur impliziert. Ansonsten ist das Buch weder besonders geistreich noch irgendwie anders herausragend geschrieben. Auch die Geschichte an sich ist Keksgeschnitt.

 

Fazit:

Es ist sicher nicht einfach, ein solches Abenteuerbuch zu schreiben. Schließlich muss man die Möglichkeit einräumen, Entscheidungen zu treffen, und gleichzeitig alle möglichen Kombinationen von Entscheidungen vorab berücksichtigen. In Claw of the Dragon hat sich der Autor dazu entschlossen, die Wirkung der Entscheidungen zu begrenzen und immer wieder auf einen Zielpunkt zurechtzustutzen. Eine andere Möglichkeit wäre die Begrenzung auf sehr wenige, dafür wirkliche Entscheidungen – oder aber ein wesentlich längeres Buch.

 

Ein solches längeres Buch wäre wahrscheinlich die richtige Idee, denn nur dann liest man das Buch vielleicht ein weiteres Mal. In dem vorliegenden Format war es kein Problem für mich, alle Möglichkeiten parallel nachzulesen und durchzugehen, also sozusagen zu „pfuschen“. Und einen Unterschied hätte es eben auch kaum gemacht. Wenn ich aber tatsächlich sowohl die Möglichkeit gehabt hätte, das Dorf umzustimmen oder die Drachen aufzuhalten oder den Magier zur Hilfe zu überreden oder auch von den Drachen gefressen zu werden oder ... dann hätte das wesentlich interessanter werden können.

 

Letztlich ist das Buch natürlich für jüngere Leser gedacht, die vielleicht auch nicht so viele Ansprüche stellen und auch das „Railroading“ in diesem vorgeschriebenen Text nicht sofort bemerken. Mir ging es früher ja nicht anders. Insofern könnte man Claw of the Dragon einem zehnjährigen Kind, das bereits Englisch beherrscht, sicher gut schenken. Für den erwachseneren (also über zehn Jahre) Fantasy-Leser allerdings bietet das Buch allenfalls nostalgischen Wert. Selbst die üblichen Rollenspielromane sind hier eindeutig bessere Wahl.