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Apocalyptica
Bewertung:
(2.9)
Von: Marcus Niechciol
Alias: Tex
Am: 05.12.2010
Autor:Oliver Graute
Typ:Roman
Setting:Engel
VerlagFeder und Schwert
ISBN/ASIN:978-3-86762-060-4
Inhalt:248 Seiten, Softcover
Preis:10,95 EUR
Sprache:Deutsch

Das ist es also. Die Apokalypse. Das Ende. Der finale Schlusspunkt von zehn Jahren Engel, dem hauseigenen Rollenspiel von Feder und Schwert. Apocalyptica – der von Anfang an angekündigte Abschlussband, auf den die Engel-Fans so lange warten mussten. Immer weiter wurde die Veröffentlichung herausgeschoben, endlich liegt er vor. Bringt er die Geschichte von Engel zu einem würdigen Abschluss? Oder ist Apocalyptica – wie im Vorfeld oft befürchtet – nur hastig hingerotzter, halbgarer Schund? Das versuche ich in dieser Rezension zumindest ansatzweise zu klären.

 

Erster Eindruck; Aufmachung und Gestaltung

Wie bei allen anderen Engel-Romanen handelt es sich auch bei Apocalyptica um ein knapp 250 Seiten starkes Softcover. Doch beim Umschlag beginnen schon die Unterschiede zu den älteren Romanen: Die Aufmachung insgesamt ist deutlich „splattriger“ (ein besseres Wort fällt mir hier nicht ein, ein Blick auf das der Rezension beigefügte Coverbild sollte aber klar machen, was gemeint ist) geworden, das gewohnte, edle Gold ist einem Rotton gewichen, wodurch sich Apocalyptica dann doch deutlich vom Rest der Romane abhebt. Mir persönlich gefiel das einfachere Design der älteren Romane, die klaren Linien, das Zusammenspiel von Weiß und Gold (bestes Beispiel: Exodus), deutlich besser, aber das ist ja bekanntermaßen Geschmackssache. Was zählt ist der Inhalt.

 

An der Verarbeitung gibt es wie immer nichts zu meckern, sie ist wie von Feder und Schwer gewohnt schlicht hervorragend: gutes Papier, guter Druck, gut lesbarer Textsatz… apropos Textsatz: Beim Vergleich mit den älteren Romanen fällt sofort eines auf: Die Buchstaben sind größer, die Zeilenabstände ebenso. Naja. Bei nur 248 Seiten (von denen die letzten acht von einem Nachwort von Oliver Graute, dem Autoren und einem der Schöpfer von Engel, und dem üblichen Glossar eingenommen werden) etwas unbefriedigend.

 

Inhalt

Wie gewohnt gebe ich an dieser Stelle zur Handlung des Romans nur den Klappentext wieder, um potentiellen Lesern nicht den Lesespaß zu nehmen. Natürlich lässt es sich kaum vermeiden, bei der Bewertung des Inhalts gewisse Einzelheiten zu erwähnen, daher versehe ich diesen Teil der Rezension mit einer deutlichen Spoiler-Warnung!

 

Ein altes Sprichwort lautet: „Die Geschichte wird von den Gewinnern geschrieben.“ Was aber, wenn niemand übrig ist, der schreiben könnte? Ist dann alles, was bleibt, nur ein weißes Blatt Papier? Eine leere Fläche, die darauf wartet, mit Inhalt gefüllt zu werden ...?

 

Europa befindet sich am Scheideweg zwischen Neuanfang und Untergang. Die Angelitische Kirche führt Krieg in den eigenen Reihen und marschiert, angeführt von der eigenen Arroganz, sehenden Auges in die Katastrophe. Die finsteren Mächte versammeln sich, um den alles entscheidenden Schlag zu führen. Ausgerechnet zwei Kinder haben das Schicksal der Welt in ihrer Hand und bereiten die Bühne für die finale Schlacht zwischen Gut und Böse. Ein Kampf, der die Erde reinwaschen wird von allem Übel. So oder so. Alles, was bleibt, ist eine leere Fläche, bereit, erneut gefüllt zu werden.

 

Dies ist das finale Kapitel der Chroniken der Engel.

 

Soweit also der Klappentext, der schon mal ein furioses Finale verspricht. Leider – und damit tauchen wir direkt in die Bewertung des Buches ein – kann der Roman diese Versprechen nicht wirklich einlösen. Doch beginnen wir etwas früher, nämlich bei Deus vult, dem vorherigen Engel-Roman, mit dem Apocalyptica sozusagen eine Einheit bildet, denn die in Deus vult begonnenen Handlungsstränge sollen in Apocalyptica zusammengeführt werden. In Anbetracht der gewaltigen Cliffhanger, mit denen Deus vult endet (ich sage mal nur Kindesmord und Fegefeuer), hätte man eigentlich erwartet, dass Apocalyptica dann auch direkt daran anknüpft, doch dem ist nicht so. Stattdessen wird man direkt ins Jahr 2664 katapultiert – ganze vier Jahre nach der letzten Episode von Deus vult. Bedenkt man, dass alle (!) vorherigen Engel-Publikationen zusammen gerade einmal sechs Jahre auf der Zeitleiste abdecken, ist das schon ein riesiger Sprung. Zumal in diesen vier Jahren ja auch die gesamte Weltgeschichte umgekrempelt wird. Hier hätte ich mir eigentlich schon gewünscht, dass der Zeit dazwischen mehr Raum gegeben worden wäre, anstatt sie nur maximal in Rückblicken, in halben Nebensätzen erwähnt, abzuhandeln.

 

Nun aber weg von dem, was war, hin zu dem, was ist: Apocalyptica setzt also die Geschichte von Deus vult fort, und wieder wird die Geschichte aus vielen verschiedenen Blickwinkeln erzählt: Zum Einen wäre da Naphal, der Sohn von Isabella von Cordova, dann Lâle mit ihrer Tochter Schawâ und dem Wanderer (und seinen neuen, mysteriösen Begleitern), nicht zu vergessen Midael, der Ab der Samaeliten, der auch schon in Deus vult eine Hauptrolle spielte. Dazu dann noch Isabella selbst, Johannes zu Gemmingen, Auriel, die Trägerin der Michaelis-Lanze, Em Susat…. Klingt nach ganz schön vielen (zumindest zeitweiligen) Hauptpersonen für so ein kurzes Buch? Ganz genau, und das ist auch einer der größten Kritikpunkte: In Deus vult wurden ein ganzer Haufen Handlungsfäden gespannt, die jetzt alle irgendwie zusammengeführt und beendet werden müssen, und daneben stehen natürlich noch die ganzen Geheimnisse, die vorher nie geklärt wurden (z.B. ob Johannes zu Gemmingen wirklich so alt ist). Das ist ein ganz schöner Batzen, der aufgelöst werden muss, und so hetzt Oliver Graute förmlich durch die Handlung, verweilt nie allzu lange bei einem Faden und springt direkt zum nächsten. Und daran krankt Apocalyptica massiv. Man erhält als Leser nur selten Gelegenheit, in die Handlung einzutauchen, sie in sich aufzunehmen. Hat man sich einmal wieder in den Handlungsfaden eingelesen und die vorherigen Geschehnisse ins Gedächtnis gerufen, so wird man keine zwei Seiten später wieder an den nächsten Ort, zur nächsten Person geworfen und darf von neuem beginnen. Es kann natürlich sein, dass das nur mir so geht, und jemand anderes das nicht so gravierend empfindet. Oliver Graute kann ja fesselnd und spannend schreiben, das hat er mit seiner Kurzgeschichte in Exodus oder auch mit Deus vult bewiesen, wo die Geschichte ja nicht ganz so zerstückelt war.

 

Bei dem Abschlussroman eines ganzen Rollenspiels hat man als Autor natürlich einen gewaltigen Vorteil: Man kann auf alle vorherigen Romane und Bücher zurückgreifen, kann sie als bekannt voraussetzen – und sich somit die mühsamen Einführungen und Charakterisierungen der handelnden Personen zum größten Teil sparen. Eigentlich ein Vorteil, gerade, wenn man viel Handlung auf wenige Seiten bringen muss, doch hier funktioniert es nicht so richtig. Sicher, die handelnden Personen sind größtenteils bekannt, ebenso deren Vorgeschichte, doch ihre Aktionen in Apocalyptica passen irgendwie nicht dazu. Es ist zu oft nicht klar, warum genau diese Person jetzt genau jenes tut und nicht solches, obwohl man doch solches eigentlich erwarten würde. Dazu kommen noch stellenweise schlicht lächerliche Aktionen (etwa der Selbstzerstörungsmechanismus, wer das Buch gelesen hat, weiß, was ich meine), die wohl nur dazu dienen, bestimmte, bekannte Hauptpersonen noch schnell um die Ecke zu bringen. Auch an dieser Stelle wird man einfach das Gefühl nicht los, dass es eigentlich nur darum geht, das Ganze irgendwie mit Hängen und Würgen zu Ende zu bringen.

 

Und wenn man das Buch dann am Ende weglegt, so dominiert nur ein Gedanke: Wie, das war es jetzt? Echt? Es sind doch noch so viele Fragen offen? Was ist denn jetzt zum Beispiel mit den Fegefeuern? Warum brennen die der Erde Symbole ein, die den Engels-Tätowierungen so ähneln? Und warum sind sie jetzt plötzlich weg? Die Fegefeuer werden in Apocalyptica nicht ein einziges Mal erwähnt, obwohl doch ihr Verlöschen den Schlusspunkt von Deus vult bildete. Merkwürdig. Und was ist denn jetzt mit der Traumsaat und dem Herrn der Fliegen? Gerade im Hinblick auf die Berichte des Fra Domenico (siehe Traumsaat) bleiben da noch einige Fragen offen. Und überhaupt: das versprochene Finale ist mehr als unbefriedigend, fast schon etwas lieblos. Irgendwas ist da mit Naphal, dazu kommt Lâle, und irgendwie ist es dann vorbei. Alles sehr verwirrend, und für meinen Geschmack auch mit zu viel mystischem Brimborium versehen. In meinen Augen war eine der allergrößten Stärken von Engel insgesamt, dass dort zwar Mystik immer groß geschrieben wurde, aber hinter der mystischen Fassade stets eine glaubhafte Erklärung schlummerte - wenn denn mal eine Erklärung gegeben wurde, z.B. bei der Herkunft der Engel, die eben nicht von Gott gesandt wurden, sondern von der Kirche „produziert“. Dieses Konzept wird hier wieder etwas über den Haufen geworfen, und das gefällt mir persönlich nicht unbedingt – wobei ich auch nicht ausschließen will, dass ich vielleicht auch völlig falsch liege und das Genannte so nie das Konzept von Engel war.

 

Aber es war natürlich nicht alles schlecht an Apocalyptica, keine Frage. Mir haben die jedem Kapitel vorangestellten Berichte aus dem 21. Jahrhundert sehr gut gefallen, denn hier bekommt man endlich einmal etwas mehr Hintergrund zu den Himmeln (zu ihrem Hintergrund und ursprünglichen Zweck) und zum Veitstanzvirus. Ganz aufgeklärt wird natürlich auch hier nicht (die Erzengel in den Himmeln sind ja laut Deus vult Supercomputer, aber warum eigentlich?), aber es ist doch sehr interessant zu lesen, da es ja quasi Zeitzeugenberichte sind und diese eigentlich genau so heute in der Zeitung stehen könnten. Und die Geburtsanzeige eines gewissen Johannes zu Gemmingen ist auch eine nette Abwechslung…

 

Fazit

Was bleibt also nun unterm Strich übrig? Zu allererst muss man, so denke ich zumindest, Feder und Schwert hoch anrechnen, dass Apocalyptica überhaupt erschienen ist. Obwohl Engel das verlagseigene Baby war, das erste von Oliver Graute, Oliver Hoffmann und Kai Meyer völlig in Eigenregie entwickelte Rollenspiel, musste man am Ende doch den wirtschaftlichen Gegebenheiten Tribut zollen und geplante Publikationen streichen, z.B. das Ragueliten-Quellenbuch oder den Ordensbücher-Sammelband. Auch die erschienenen Bücher litten darunter (Codex Urbanis z.B. hätte deutlich besser werden können, ja müssen), der Erscheinungstermin von Deus vult und Apocalyptica wurde immer weiter herausgeschoben, so dass ich am Ende fast zweifelte, dass überhaupt noch etwas kommt. Insofern ist das Erscheinen des Abschlussbandes eigentlich eine gute Sache – wären da nicht die vielen Mängel, die man Apocalyptica attestieren muss. Zu sehr wird durch die viel zu zerstückelte Handlung gehetzt. Man erhält kaum Gelegenheit, in die Handlung einzutauchen und das gerade Gelesene zu verdauen, schon wird man zur nächsten Szene gezerrt. Das Problem ist hierbei aber weniger die Schreibe von Oliver Graute – gefällig schreiben kann er ja! – sondern vielmehr der Umstand, dass alles so wirkt, als sollte es um jeden Preis so schnell wie möglich fertig werden, komme was wolle (wozu dann auch passt, dass ein größerer Schriftsatz gewählt wurde, so dass man bei gleicher Seitenzahl weniger Text erhält im Vergleich zu früheren Romanen). Am Ende bleiben dann auch viel zu viele Fragen offen, deren Klärung heiß erwartet wurde – nicht sonderlich befriedigend für den Leser, fast schon ärgerlich. Und das, was dann geklärt wird, wird auch nicht zufriedenstellend erklärt. Weniger Mystik wäre hier schön gewesen. Auf der positiven Seite sind aber die Einschübe in Form von Zeitungsartikeln u.Ä. aus dem 21. Jahrhundert zu verbuchen, die sehr gut gefallen.

 

Insgesamt kann ich für Apocalyptica leider nichts Besseres als eine 2.9 vergeben - in Schulnoten ungefähr ein befriedigend, mit Tendenz nach unten. Und das ist schade, waren doch die bisherigen Engel-Romane fast alle im oberen Bereich des Notenspektrums anzusiedeln (zumindest meiner Meinung nach). So bildet Apocalyptica leider nicht nur den Schlusspunkt, sondern auch den Tiefpunkt von Engel. Doch sollte das nicht darüber hinwegtäuschen, dass Engel als Ganzes einfach nur ein fantastisches Rollenspiel(-Setting) ist, das über Jahre hinweg Spaß bereitet hat und dies auch noch auf Jahre hin tun wird – nun halt mit ein wenig mehr Arbeit verbunden. In diesem Sinne schließe ich diese Rezension genau so, wie es Oliver Graute bei Apocalyptica im Nachwort tut: Mit einen riesigen Danke, hier aber an die Macher von Engel. Selbst wenn nicht alles so gelaufen ist, wie es hätte laufen sollen, ihr habt etwas Großartiges auf die Beine gestellt!

 

Epilog

Da das Engel-Rollenspiel mit diesem Roman nun auch offiziell beendet wurde, haben Feder und Schwert sich dazu entschlossen, den Fans einiges an Zusatzmaterial bereitzustellen: Unter anderem findet man auf der Verlags-Homepage (siehe die der Rezension beigefügten Links) die offizielle Engel-Schriftart, die eigens entwickelt wurde, oder eine Zusammenfassung der Geschehnisse aus den letzten beiden Romanen. Geplant ist offenbar auch eine Zusammenfassung aller Engelsmächte, selbst der „verlorenen“ Ragueliten und Samaeliten. Eine sehr, sehr schöne Entscheidung, und ein echtes Geschenk an die Fans, das zumindest mich etwas versöhnlicher stimmt.