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Buch 0: "Grundsätzliches", Kapitel 1: "Rollenspiel-Manifest"

Buch 0: "Grundsätzliches", Kapitel 1: "Rollenspiel-Manifest"

Einleitung

In den nächsten Artikeln werde ich mich an Einsteiger unter den Spielleitern widmen. Spätere Kapitel werden Tipps enthalten, die sich mit den grundsätzlichen Überlegungen des Rollenspiels beschäftigen: Hausregeln, Improvisation, Planung, Abwicklung von Kämpfen, Gruppenprobleme, usw. Ich beginne jedoch mit dem Manifest für Spielleiter.

Das Manifest besteht aus zehn Leitsätzen, die ich für sehr nützlich halte, und die man sich eigentlich stets vor Augen halten kann. Sie tauchen in dieser oder einer ähnlichen Form in vielen Diskussionen auf. Wie immer gilt jedoch auch für diese Leitsätze: Wenn dir eine Regel nicht gefällt, missachte sie.

Das Manifest für Spielleiter (siehe PDF)

  1. Regeln sind auf Papier gedruckt, nicht in Stein gemeißelt
  2. Es gibt keine offiziellen Antworten, nur offizielle Meinungen
  3. Wenn Würfel und Story streiten, gewinnt immer die Story
  4. Kein System ist perfekt
  5. Kenne deine Erwartungen
  6. Kenne deine Spieler
  7. Der Spielleiter bestimmt absolut über das Spiel
  8. Der Spielleiter arbeitet mit, nicht gegen die Spieler
  9. Wenn du etwas nicht weißt, erfinde es
  10. Wenn die Gruppe Spaß hat, bist du ein guter Spielleiter

Gehen wir die Sätze Schritt für Schritt durch.

Regeln sind auf Papier gedruckt, nicht in Stein gemeißelt

Sieh dir dein Regelbuch genau an. Dies sind nicht die zehn Gebote. Dies ist nicht das Grundgesetz. Dies sind nur Worte auf Papier. Die Aufgabe dieser Regeln ist es, dir die Arbeit als Spielleiter zu erleichtern. Sie sollen eine einheitliche Abwicklung der gängigsten Aktionen ermöglichen, damit du dich auf etwas anderes konzentrieren kannst: die Story. Wenn sie ihren Job aber nicht erfüllen, dann haben sie keine weitere Daseinsberechtigung.

Regeln, die dir zu komplex sind oder nicht in dein Spiel passen, können problemlos geändert oder auch ignoriert werden. Niemand wird dir die Regelpolizei auf den Hals hetzen. Du solltest nur darauf achtgeben, deinen Spielern etwaige Regeländerungen mitzuteilen. Außerdem sollte man gerade als Einsteiger – aber auch als erfahrener SL – Regeln nicht zu voreilig und auf Verdacht nach Guantanamo schicken. Es empfiehlt sich, eventuell problematische Regeln testweise einzusetzen oder zumindest ihre Änderung mit den Spielern zu besprechen.

Es gibt keine offiziellen Antworten, nur offizielle Meinungen

Der Zauber „Andere Verwandeln“ hatte bei D&D 3.0 vier oder fünf verschiedene Versionen, und war schließlich immer noch nicht befriedigend. Das allein sollte dir sagen, dass selbst die hochheiligen Autoren des D&D-Regelwerkes Menschen sind. Sie machen Fehler, und sie sind nicht allwissend.

Wenn dir im Spiel etwas nicht gefällt, ist es egal, was die Designer dazu sagen. Wenn eine Regel geändert wird (in Errata-Texten oder der FAQ), sind das ebenfalls nur Möglichkeiten, Meinungen. Wenn sie dir nicht gefallen, ignoriere sie. Nur, weil der Autor der Regeln eine Veränderung vorschlägt, muss diese Veränderung nicht unbedingt in dein Spiel passen.

Wenn Würfel und Story streiten, gewinnt immer die Story

Der Reiz des Rollenspiels ist die Verbindung aus interaktiver Erzählung und Zufallschancen. Es geht auch darum, das Beste aus dem zu machen, was einem das Glück (oder Pech) beschert. Trotzdem gibt es Situationen, in denen bestehende Regeln oder Proben der Story Im Weg stehen. Ignoriere sie – die Story ist wichtiger.

In bestimmten Situationen kann es empfehlenswert sein, keinen Würfelwurf zu machen. Vielleicht möchtest du auch etwas ermöglichen, das laut Regeln gar nicht geht. Beides ist absolut legitim. Eventuell würfelst du sogar hinter dem Spielleiterschirm, ohne das Ergebnis zu beachten – nur aus Show. Auch denkbar. Solannge die Spieler nicht mitbekommen, dass du die Regeln brichst, ist alles wunderbar. Wenn du aber von den Spielern einen Wurf verlangst, solltest du das Ergebnis aber auch anwenden, denn ansonsten verlieren die Spieler die Motivation. Wenn es egal ist, was sie würfeln, ist es im weiteren Sinne egal, was sie tun, und damit im weiteren Sinne egal, ob sie überhaupt mitspielen. So sollte es nicht sein.

Als Nebenregel dazu gilt: „Je geringer die statistische Wahrscheinlichkeit, desto sicherer ist der Erfolg.“ Wenn du die Spieler nur würfeln lässt, weil ohnehin nur eine 20 auf dem w10 zum Erfolg führt, werden sie diese 20 würfeln. Immer. Genauso wird der NSC, wenn er nur keine 1 mit 2w6 würfeln darf, jedes Mal eben diese 1 produzieren. Also Vorsicht.

Kein System ist perfekt

Kein Rollenspielsystem deckt alles ab, was im Spiel benötigt wird. Genauso macht kein Rollenspielsystem alles, was es abdeckt, gleichermaßen gut. Du musst dir der Stärken und Schwächen des Systems deiner Wahl zumindest halbwegs bewusst sein, um sicher zu sein, dass du das richtige System ausgewählt hast.

D&D ist sehr gut darin, epische Kämpfe zu inszenieren. Die Charaktere sind übermenschlich, Magie ist extrem mächtig, ein Held ist beinahe nicht umzubringen. Das Stufensystem und die Trefferpunkte funktionieren sehr gut für ein heroisches High-Fantasy-Spiel, weniger für ein düsteres, tödlich-realistisches Spiel. Ebenso hat das D&D-System Probleme, wenn es um Massenkämpfe gibt.

(Anmerkung: Durch das d20-System und die OGL gibt es eine Fülle von Zusatzwerken, die sich unter anderem dieser Schwächen annehmen, z.B. Grim Tales, Conan d20, Fields of Blood, etc.)

Kenne deine Erwartungen

Auch wenn viele Leute dasselbe System spielen, heißt das noch lange nicht, dass sie alle dieselben Kampagnen spielen. Unterschiedliche Spielleiter legen Wert auf politische Intrigen, auf Charakterrollenspiel, auf Kämpfe oder auch darauf, Rätsel zu lösen. Manche Spielleiter wollen die Charaktere gewinnen sehen; andere lassen sie gegen letztlich unbezwingbare Gegner ums Überleben kämpfen. Für manche sind die Charaktere wie alle NSC, während andere in ihnen Helden sehen, die über den „normalen Leuten“ stehen.

Du solltest dir klar machen, was für eine Art von Kampagne du leiten möchtest. Diese Erwartungen solltest du einersets den Spielern weitergeben, damit sie sich darauf einstellen – es ist daher wichtig, dass du selbst versuchst, diesen Erwartungen gerecht zu werden. Andererseits hilft dir diese Klarheit, das richtige Rollenspielsystem für dich und deine Gruppe auszuzwählen, und ggf. die richtige Kampagnenwelt.

Kenne deine Spieler

Ebenso wie jeder Spielleiter Vorlieben hat, sind auch Spieler nicht alle gleich. Manche wollen Rätsel lösen, andere nur kämpfen, wieder andere möchten den mächtigsten und unbesiegbarsten Charakter aller Zeiten erschaffen. Manche lieben es, ihren Charakteren Hintergrundgeschichten zu erstellen und abseits des Spiels über weitere Schritte nachzudenken; andere kommen zum Spieltermin, wollen aber abseits der Treffen nichts mit ihrem Charakter zu tun haben.

Die Spieler werden dann Spaß am Spiel haben, wenn ihre Erwartungen zumindest teilweise erfüllt werden. Du kannst dich nur selten nur mit Spielern umgeben, die genau deinen Geschmack haben; ebenso kannst du nicht alleine spielen. Du musst also die Geschmäcker der Spieler mit ins Spiel einfließen lassen. Gib dem Spieler mit der Hintergrundgeschichte einen Plot, der aus dieser Geschichte erwächst. Belästige den anderen Spieler nicht mit ähnlichen Erwartungen.

Das bedeutet nicht, dass du die Erwartungen der Spieler immer und zu hundert Prozent erfüllen musst, noch dass du deine Erwartungen über ihren vergessen sollst. Aber verliere sie nicht aus den Augen. Wenn du und deine Spieler gar nichts gemein haben, ist es wahrscheinlich besser, nicht gemeinsam zu spielen (oder zumindest jemand anderem das Leiten zu überlassen).

Der Spielleiter bestimmt absolut über das Spiel

Dieser Teil gefällt die bestimmt gut. Als Spielleiter hast du die absolute Kontrolle über das Spiel. Du bestimmst, was geschieht, wo, und warum. Du kannst Regeln zulassen, verbieten, ändern, ignorieren. Du kannst mit einem Fingerschnippsen jeden Charakter töten. Dein Wort ist Gesetz.

Dieser Grundsatz ist unentbehrlich. Egal, wie viele Regelbücher, offizielle Auslegungen und Diskussionen in Rollenspielforen dir ein Spieler präsentiert – du entscheidest. Wenn einem Spieler nicht gefällt, wie du eine Regel anwendest, kann er das kurz anmerken, aber während des Spieles sollste nicht diskutiert werden. Gib ihm recht oder nicht, aber dann muss das Spiel weitergehen und der Spieler sich deiner Entscheidung fügen. Außerhalb des Spiels kann er ja noch einmal versuchen, deine Entscheidung zu verändern.

Der Spielleiter arbeitet mit, nicht gegen die Spieler

Wenn der Spielleiter absolute Macht hat, so gilt dies nur theoretisch. Denn die Spieler haben den Spielleiter in der Gewalt: sie können einfach aufhören, zum Spiel zu kommen. Und dann? Deshalb können Spielleiter ihre Macht nur sehr selten einsetzen. Erzählt das aber nicht den Spielern, sonst bilden sie sich noch etwas ein.

Das Ziel des Spiels ist es letztendlich, Spaß zu haben. Gerade, weil der Spielleiter unbegrenzte (und unanfechtbare) Macht besitzt, ist es wichtig, dass er sich Gedanken macht, bevor er sie einsetzt. Und wenn man sie einsetzt, sollte dies zum Wohle der Spieler und der Geschichte geschehen. Willkür bei Spielleiternn führt schneller zu Frust als die meisten anderen Fehler.

Denkt immer daran: Die Probleme, die ihr den Spielern vor die Nase setzt, sind dazu da, bezwungen zu werden. Nicht dazu, die Spieler zu bezwingen.

Wenn du etwas nicht weißt, erfinde es

Kaum etwas kann eine gute Atmosphäre so schnell zerstören wie endlose Diskussionen und Nachschlagerei. In so einem Moment stoppt das Spiel, und während einer nachguckt, zwei sich streiten, schläft der vierte ein und der fünfte macht den Fernseher an.

Wenn es einmal Unklarheiten in der Gruppe gibt, die durch ein kurzes Nachlesen nicht bereinigt werden können, musst du als Spielleiter eine Entscheidung treffen. Denk dir etwas aus, das für die Situation funktioniert. Sag den Spielern, dass die Diskussion nach dem Spiel fortgesetzt wird, und weiter geht’s. Genauso, wenn eine Information im Abenteuer fehlt oder du sie nichts findest. Sag den Spielern eventuell noch Bescheid, aber dann denk dir was aus und fertig.

Wenn die Gruppe Spaß hat, bist du ein guter Spielleiter

Dieser Grundsatz steht ganz am Schluss, weil er der wichtigste ist. Beim Rollenspiel geht es darum, Spaß zu haben. Ganz egal wie du als Spielleiter vorgehst, ob du alle Regeln befolgst oder gar keine, ob du nur Kämpfe hast oder nie. Wenn deine Spieler Spaß haben, dann machst du was richtig.

Das bedeutet nicht, dass du nicht vielleicht besser sein könntest, aber du bist zumindest schon mal nicht schlecht.

Epilog

Worum geht es bei diesem Manifest? Im Grunde nur darum, dem Spielleiter Selbstvertrauen zu geben. Solange dein oberstes Ziel der Spaß der gesamtem Gruppe ist, ist alles andere egal. Mach, was du willst. Du wirst merken, was funktioniert und was nicht. Zögere nicht lange, wenn du einmal nicht weiter weißt. Du bist der Spielleiter. Du hast die Macht. Nutze sie.

Einer der denkwürdigsten Kämpfe meiner Rollenspielgeschichte hat mehr als nur eine Regel verletzt (unter anderem gab der Spielleiter dem Gegner, den wir sehr gut im Griff hatten, mitten im Kampf durch eine „Regenerationskraft“ – Humbug – einfach noch einmal 70% seiner Trefferpunkte zurück). Hat uns nicht interessiert, und wir haben kaum etwas davon gemerkt. Er war der Spielleiter, er wusste was er tat. Und im Sinne des Spaßes und der Story tat er es auch.

 

Bis zum nächsten Mal,

 

Game On!

 

Anlagen:

 

 

© Patrick Pricken (Berandor)